Interview: Wachstumsfetischismus am Ende
Warum sind Keynes Langfristprognosen bezüglich kürzerer Arbeitszeiten nicht eingetroffen?
Zinn: Keynes umriss seine Erwartungen für die „Enkelgeneration“. Der Produktivitätsfortschritt werde anhalten und das das Pro-Kopf-Einkommen in den reichen Ländern werde in 100 Jahren um das Achtfache oder gar mehr steigen. Dann würde dem Wohlstand besser durch Arbeitszeitverkürzung als durch weiteres Konsumwachstum gedient. Keynes machte aber zwei Vorbehalte: Kein starkes Bevölkerungswachstum und keine größeren Kriege! Beide Vorbehalte wurden leider relevant. Damit änderte sich die Entwicklung – vorerst. Die meisten Kommentatoren übergehen die beiden historisch wesentlichen Vorbehalte. Wie wäre wohl die Entwicklung ohne Krieg und Kriegsfolgen verlaufen? Nur eine ahistorische Ökonomik kann Keynes vorwerfen, er hätte sich geirrt.
Welche Zukunftsoptionen haben wir?
Zinn: Auf der Linie der Keynes‘schen Langfristprognose weitergedacht erscheint die Erwartung äußerst plausibel, dass die reichen Volkswirtschaften ihre Beschäftigungsprobleme und alle sich daraus ergebenden sozialpolitischen und gesellschaftlichen Schwierigkeiten nicht lösen können, ohne sich mental und strukturell auf ein Ende hohen Wachstums umstellen. Die Arbeit muss neu verteilt werden, d. h. alle arbeiten weniger, und niemand ist arbeitslos. Selbstverständlich verlangt das sehr weitreichende strukturelle Anpassungen. Ob der gegenwärtige Kapitalismus dazu noch in der Lage ist, muss leider skeptisch beurteilt werden.
Ist ein gutes Leben für alle möglich, ohne die Umwelt zu schädigen?
Zinn: Das Zeitfenster ist wahrscheinlich schon geschlossen. Ohne fundamental veränderte Verteilungsverhältnisse auf der Erde wird sich die längst angelaufene Katastrophe nicht mehr verhindern lassen.