Betrieb

Baustellenbetrieb: Grüne Logistik

Der Baustellenbetrieb wirbelt im wahrsten Sinn des Wortes viel Staub auf. Rund zwei Drittel des Güterverkehrs in Tonnen entfallen in einer Großstadt wie Wien auf den Baustellenverkehr. Typischerweise kommen hier auch tendenziell ältere Lkw zum Einsatz. Beim Abfallaufkommen in Wien macht der Bausektor sogar 75 Prozent in Form von Baurestmassen aus. An der Baustellenlogistik sollte also bei ressourcenschonendem Wirtschaften und der Vermeidung von Verkehrsaufkommen, Lärm und Luftverschmutzung kein Weg vorbeiführen.

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In Wien gibt es dazu bereits einen reichen Fundus an Musterbaustellen. Initiiert wurde dies durch RUMBA (Richtlinie für umweltfreundliches Bauen), ein seit 2001 im Rahmen des EU-Life-Umweltprogramms gefördertes Demonstrationsvorhaben. Ziele sind eine Reduktion des Lkw-Schwerverkehrs und Staubs im Bau, eine Vorsortierung  von Baurestmassen sowie die Entwicklung von institutionellen Rahmenbedingungen für eine umweltorientierte Baustellenlogistik. Seit Bestehen hat dies kontinuierlich für einen Innovationsschub und Lerneffekte in der Baubranche gesorgt. Ohne wohlwollende Förderung durch offizielle Stellen der Stadt Wien wäre dies jedoch nicht so nachhaltig gewesen.

Anfangsprojekte

Am Anfang wurden Praktiken zur verkehrsvermeidenden Sortierung von Bauabfällen bei eher kleineren Wohnbauprojekten (z.B. Wohnhausneubaustelle Weyringergasse, 1040 Wien) entwickelt. Diese ersten Erfahrungen flossen konzentriert in die Errichtung eines großen Wohnkomplexes am Areal des ehemaligen Kabelwerkes in Meidling und in  Simmering („Thürnlhof“). Letzteres Projekt wurde im Jahr 2007 mit dem Staatspreis für Logistik ausgezeichnet. Im Vergleich zu herkömmlicher Bauweise wurden bei dieser Wohnsiedlung mit 903 Wohneinheiten um gut ein Drittel (37 Prozent) weniger Lkw-Fahrten und 66 Prozent weniger Lkw-Kilometer, vor allem aufgrund eines entfernungsabhängigen Entgelts für alle Rohbau- und Aushubtransporte sowie aufgrund einer Sortierinsel für Bauabfälle, zurückgelegt. Betriebswirtschaftlich schlugen damals die Einrichtung einer Baustellenlogistik nur mit 0,25 Prozent, gemessen an den Baukosten, zu Buche, obwohl Effizienzgewinne der Firmen darin nicht einmal berücksichtigt sind.

Mit der Errichtung der Seestadt Aspern und 2.600 geförderten Wohneinheiten „auf der grünen Wiese“ herrschen geradezu idealtypische Bedingungen für den Einsatz ausgefeilter Baulogistik vor. Nicht nur, dass Bauarbeiter sogar mit einer neuen U-Bahn bequem und umweltfreundlich die Baustelle erreichen können. Als erste Stadtentwicklung Österreichs wurde Aspern einer Städtebau- und Straßenbau-Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) unterzogen und bekam Auflagen zu Lkw-Fahrten (max. 350 pro Tag), Baustellenlärm und Vermeidung von Baustellenstaub. 

Ausgefeilte Logistik

Seit Mai 2013 ist das Baulogistikcenter, zugleich auch Umweltcenter, für die Einhaltung der Auflagen, in Betrieb. Schon jetzt zeichnet sich aber ein neuer Innovationsschritt auf der bisher größten RUMBA-Baustelle ab. Grund hierfür ist, dass das gesamte Aushubmaterial der Baustelle nicht wegtransportiert, sondern vor Ort verwendet wird. Sandige Kiese werden für den Straßenunterbau und für die Geländegestaltung wiederverwendet. Reine Kiesschichten dagegen werden abgesiebt und direkt als Zuschlag für herkömmliche Betongüten verarbeitet.  Für Hochleistungsbetone wird der Rohkies gewaschen, in verschiedene Korngrößen sortiert und anschließend in der Vor-Ort-Betonanlage für den Bau von Wohnungen verwendet. Der Antransport von Zement für die Betonherstellung erfolgt sogar ausschließlich über Schiene, da sowohl alle Zementwerke in Österreich als auch die Baustelle Aspern über ein Anschlussgleis verfügen. Insgesamt werden gegenüber  herkömmlichen Baustellenabwicklungen dadurch rund 100.000 Schwerlast-Lkw-Fahrten eingespart.

Wirklich machbar wurde diese Bauweise aber erst durch das Beharren der Betreiber auf Lkw-Vermeidung. Insbesondere die Betonherstellung mit Baustellen-Kies vor Ort in der erforderlichen Qualität wurde von sämtlichen Firmen der Bauwirtschaft stark angezweifelt. Rein gesetzlich wird auch derzeit ein Projektwerber nicht einmal angehalten, diese Option zu prüfen. Ökonomie und Ökologie müssen kein Widerspruch sein. Volkswirtschaftlich rechnet sich dies durch Einsparung von Lkw-Folgekosten allemal. In Zeiten stark steigender Wohnungspreise stehen aber betriebswirtschaftliche Errichtungskosten auf dem Prüfstand. Auch hier schreibt die Baustelle Aspern Süd eine Erfolgsstory. „Für die Bauwirtschaft bedeutete dieser Arbeitsprozess, also Nass- und Trockenaufbereitung von Kies, Bahntransport bei Zement, Miete für Zwischenlagerung, insgesamt sogar eine Minderung von 4,5 Prozent beim Betonpreis“, sagt DI Thomas Romm von der Bietergemeinschaft ROMM/MISCHEK Bauabwicklung Aspern Süd nicht ohne Stolz. Auf Basis dieser Erfahrungswerte steht jetzt fest, dass sich der innovative Einsatz solcher Baustellenbetonanlagen schon ab 40.000 m3 Beton, also ab einer Projektgröße von 400 Wohnungen, rechnet. Eine Anlage für etwa dieses Volumen wurde auch kürzlich am Hauptbahnhof Wien im Sonnwendviertel in Betrieb genommen. Dies setzt freilich auch voraus, dass auf der Baustelle genügend Platz für die Zwischenlagerung von Aushubmaterial zur Verfügung steht und der Bauherr dies von Beginn an bei der Planung einbezieht.

Eine logistisch gut strukturierte Baustelle steht und fällt mit einem kontrollierten Baustellenzugang. Auf Baustellen sind zwangsläufig viele Akteure tätig, die arbeitsteilig und isoliert voneinander arbeiten. Überblick und Kontrolle hat de facto nur ein „Baustellenportier“, der jeden Eintritt auf das Baustellengelände registriert. Dies trifft auch für bau- und umweltrechtliche Auflagen zu. Das Verlassen der Baustelle von Lkw mit verschmutzten Reifen ist hier anzuführen. Aber auch Behördenauflagen zur Minimierung von Lkw-Fahrten bleiben totes Recht, sofern der Zugang nicht kontrolliert wird. Die Schaffung einer solchen Stelle scheitert in der Praxis aber an betriebswirtschaftlichem Kalkül. 

Ein verstärktes Vorgehen gegen Sozialbetrug und Verstöße gegen Arbeitsrecht auf der Baustelle könnte dies aber ändern. Das impliziert, dass tagtäglich die ArbeitnehmerInnen von Subauftragunternehmern und ihre Personaldokumentation auf ihre Korrektheit hin überprüft werden. Der Wiener Krankenanstaltenverbund (KAV) wollte aus seinem Selbstverständnis heraus dies auf einer Baustelle beim Krankenhaus Rudolfstiftung sicherstellen. Deshalb kam auf der Baustelle ein System namens ISHAP mit einer Zutrittskontrolle zum Zug, bei der Eintretende sich durch Ausweis mit Barcode identifizieren müssen und der Baustellenportier sie mit einem Scanner überprüft. Durch tägliches Abgleichen der Datensätze mit der Sozialversicherung wird sichergestellt, dass alle Arbeitsverhältnisse auf der Baustelle den gesetzlichen Bestimmungen entsprechen. 

Synergieeffekte

Aus Sicht der ArbeitnehmerInnen ändert dies zwar nicht die Notwendigkeit, die öffentliche Kontrolltätigkeit beim Bau generell auszubauen, das vorherrschende Lohndumping stärker zu bekämpfen und die Unterauftragnahme im Rahmen der öffentlichen Auftragsvergabe  zu beschränken. Sind aber solche Systeme zur Steuerung und Kontrolle von Baustellen einmal installiert, können in der Folge dem „Portier“ andere baustellenlogistische Aufgaben übertragen und Synergieeffekte für Umwelt und AnrainerInnen erschlossen werden. 

Eine durchdachte Baustellenlogistik kann zu erstaunlichen Ergebnissen führen. Verfolgt man öffentliche Diskussionen mit ähnlicher Problemstellung (z.B. Verringerung der Luftbelastung in städtischen Umweltzonen), würde man Projekten mit einer „Umweltbilanz Baustelle“ einen größeren Stellenwert wünschen.