Politik

EU-Wahl: Resümee zur EU-Umweltpolitik

Die nun auslaufende Legislaturperiode begann viel versprechend: Neben der Generaldirektion Umwelt wurde eine eigene Generaldirektion für Klimapolitik samt Kommissarin geschaffen – ein Novum in der EU-Kommission. Das bereits 2008 von der EU-Kommission formulierte Ziel „20-20-20“, also 20 Prozent weniger Treibhausgasemissionen, ein Anteil von 20 Prozent erneuerbarer Energie und 20 Prozent mehr Energieeffizienz bis zum Jahr 2020, sollte zielstrebig weiterverfolgt werden.  Parallel dazu veröffentlichte EU-Verkehrskommissar Siim Kallas das Weißbuch Verkehr. Umweltpolitisch spielt der Verkehrsbereich eine wesentliche Rolle, trägt er zu den Treibhausgasemissionen doch maßgeblich bei. Das Ziel im Transportwesen ist, die Treibhausgasemissionen bis zum Jahr 2030 um 20 Prozent und bis 2050 um 60 Prozent gegenüber 1990 zu senken. Ob es die EntscheidungsträgerInnen auf EU-Ebene mit ihren umweltpolitischen Ankündigungen auch ernst meinen, lässt sich aber nur anhand der konkreten Gesetzgebung sagen. 

Grenzwertig

Das Beispiel der Luftqualitätsrichtlinie zeigt, dass in der Umweltpolitik zwischen Ankündigung und Realität eine große Lücke klafft: Die Richtlinie wurde bereits im Jahr 2008 verabschiedet und regelt unter anderem die Immissionsgrenzwerte für Feinstaub und Stickstoffdioxid. Die darin vorgesehenen Grenzwerte können nun von vielen EU-Mitgliedsländern nicht eingehalten werden, weil es an entsprechend engagierten EU-Rechtsnormen fehlt, beispielsweise hinsichtlich der Emissionsgrenzwerte für PKW und LKW. Die nun gültigen Abgasvorschriften führen dazu, dass relativ neue Kraftfahrzeuge unter bestimmten Bedingungen sogar mehr emittieren als ihre Vorgängermodelle. Striktere Regelungen werden mit dem Hinweis auf Wettbewerbsnachteile für die Autoindustrie verzögert, entschärft und/oder umgangen. Symptomatisch ist auch, dass die EU-Kommission bereits seit Jahren einen neuen Rechtsvorschlag zur Begrenzung der Emissionen von Maschinen und Geräten, die vor allem im Bausektor eingesetzt werden, ankündigt. Eine Reform der Richtlinie ist insbesondere für die Beschäftigten der Bauindustrie wichtig, da die ArbeiterInnen nach wie vor einem großen Gesundheitsrisiko aufgrund der hohen Schadstoffemissionen dieser Maschinen ausgesetzt sind.

Beim Thema Klima- und Energiepolitik haben die EntscheidungsträgerInnen auf EU-Ebene ebenfalls enttäuscht. Eine ausführliche Bewertung findet sich im Beitrag von Christoph Streissler ab Seite 14 dieser Ausgabe. Auch hier spielen Wirtschaftsinteressen eine wesentliche Rolle, argumentiert wird sehr oft mit Wettbewerbsnachteilen gegenüber Drittstaaten. Tatsächlich wird heute eine große Anzahl von Waren aller Art in Drittländern produziert, die in Konkurrenz mit Produkten der europäischen Industrie stehen. Der Wettbewerbsdruck, mit dem die Industrie zu kämpfen hat, besteht vor allem in Umwelt- und Lohnkosten. Es ist daher nicht nachvollziehbar, dass die Europäische Union weiterhin ein Konzept von Freihandelsabkommen mit Drittstaaten propagiert, die weder verbindliche Umwelt- noch Sozial- und Arbeitsstandards vorsehen. Nur wenn für Produkte aus Drittstaaten vergleichbare Normen gelten, wie sie für die EU bestehen, kann von einem gleichen Wettbewerb gesprochen werden, und nur dann können die umweltpolitischen Ziele auch umgesetzt werden. 

Hingegen wären die umweltpolitischen Ziele des Verkehrsweißbuches mangels externen Wettbewerbsdrucks leicht umzusetzen. Der liberale EU-Verkehrskommissar Siim Kallas dürfte sich jedoch hauptsächlich wirtschaftspolitischen Interessen verpflichtet fühlen, wie die beiden folgenden Beispiele zeigen.

Liberalisierungszug

Die Eisenbahn ist einer der Verkehrsträger mit den niedrigsten CO2-Emissionen. Dementsprechend müsste die Kommission daran interessiert sein, den Schienenverkehr zu fördern. EU-Kommissar Kallas schlägt nun aber im Rahmen des 4. Eisenbahnpakets vor, dass der öffentliche Personennahverkehr auf der Schiene ausgeschrieben werden muss. Hilfreich ist der Vorschlag der Kommission nur für international tätige Transportkonzerne. Sie können sich dann jene Routen herauspicken, die Gewinne versprechen. Für die Gesellschaft ist der Liberalisierungsvorschlag jedoch ein klarer Nachteil, muss sie doch auf die gewinnbringenden Strecken verzichten, während der öffentlichen Hand die wenig ertragreichen Routen bleiben. In Summe zahlt die Gesellschaft mit dieser Liberalisierungsstrategie also drauf. Umweltpolitisch ist zu befürchten, dass es aus Kostengründen zu weiteren Stilllegungen der nicht ertragreichen Nebenstrecken kommt und viele Passagiere daher von der Schiene auf die Straße wechseln müssen. Das ist jedenfalls ein Widerspruch zum Weißbuch Verkehr, das von den Zielen der Verlagerung des Transports auf die Schiene und einer Reduktion der Treibhausgase spricht.  Das EU-Parlament hat gerade erst Ende Februar über den Kommissionsvorschlag abgestimmt: Die EU-Abgeordneten sehen nun eine Direktvergabe zwar vor, allerdings nur, wenn strikte Auflagen erfüllt sind. Für die Mehrheit der EU-MandatarInnen sind damit Wirtschaftsinteressen wichtiger als die Bedürfnisse der Gesellschaft.

Megatricks

Den Vogel abgeschossen hat der liberale EU-Verkehrskommissar Siim Kallas jedoch bei der Frage zur grenzüberschreitenden Zulassung von mit 25,25 Metern überlangen und bis zu 60 Tonnen schweren Lastkraftwagen. Nach einem Besuch bei der internationalen Frächterorganisation IRU verkündete Kallas kurzerhand – ohne einen neuen Rechtsvorschlag dazu zu verfassen – dass diese LKW nun im gesamten EU-Raum grenzüberschreitend genutzt werden dürfen, wenn die jeweils betroffenen Mitgliedstaaten damit einverstanden sind. Bisher sind LKW mit maximal 40 Tonnen erlaubt. Aus der Warte der Umweltpolitik wäre eine derartige Maßnahme verheerend: Güter, die aufgrund ihrer Beschaffenheit und ihres Volumens derzeit nur mit den umweltschonenden Verkehrsträgern Bahn und Schiff transportiert werden, könnten künftig auch per LKW verbracht werden. Die Schadstoffemissionen werden damit in die Höhe geschraubt, statt sie zu senken. Das EU-Parlament machte bei diesem Vorhaben vorerst nur deswegen nicht mit, weil es sich vom Verkehrskommissar umgangen fühlte. Kallas reichte schließlich doch noch einen deutlich abgeschwächten Richtlinienvorschlag nach. Im Verkehrsausschuss des EU-Parlaments stimmten die Abgeordneten vorerst gegen den grenzüberschreitenden Einsatz der Megatrucks, viele wirtschaftsnahe MandatarInnen stehen aber nach wie vor klar zu den Megatrucks. 

Der schockierendste Vorschlag kam jedoch von EU-Kommissar Barnier mit der so genannten „Dienstleistungskonzessions-Richtlinie“. Darin ist, im Rahmen eines überaus komplexen Rechtstextes versteckt, die Liberalisierung öffentlicher Dienstleistungen vorgesehen, insbesondere des Allgemeingutes Wasser. Nur heftige Proteste vieler Organisationen, darunter der Gewerkschaften sowie der Arbeiterkammer, konnten verhindern, dass die öffentliche Versorgung mit Wasser dem privaten, auf Gewinn ausgerichteten Markt, geopfert wird. Eine Petition gegen den Privatisierungsplan (www.right2water.eu/de) erbrachte beinahe 1,9 Millionen Unterschriften.

Wirtschaftsnah

Der Grund, warum sich immer wieder die Wirtschaftsinteressen einzelner Unternehmen oder Unternehmensverbände durchsetzen, dürfte zu einem wesentlichen Teil an den politischen Kräfteverhältnissen liegen. Die wirtschaftsnahen Parteien verfügen in allen drei EU-Institutionen über beeindruckende Mehrheiten (siehe auch Kasten und Grafik Seite 11). Und das nicht erst seit der letzten Legislaturperiode: Fast kann man davon sprechen, dass absolute Mehrheiten für den wirtschaftsnahen Flügel Tradition haben: Im EU-Parlament war der Wirtschaftsflügel in sechs von sieben Legislaturperioden die stärkste Kraft. Um Umweltziele durchsetzen zu können, ist es also notwendig, zumindest Teile der wirtschaftsnahen Parteien von Umweltvorhaben zu überzeugen.