Wissenschaft: So produzieren wir die Mobilitätswende

Um die Klimaziele zu erreichen, muss sich unser Mobilitätsverhalten drastisch ändern. Die Bundesregierung hat ehrgeizige klima- und verkehrspolitische Ziele beschlossen. Was aber fehlt, ist ein Plan, wie diese rasch genug umgesetzt werden können, denn die dafür notwendigen Güter müssen auch produziert werden. Die AK lässt derzeit untersuchen, wie die Produktion der Mobilitätswende gelingen kann und welche Chancen sich dabei für die Beschäftigten auftun. 

Krise in der Kfz-Industrie

Die drei Grundpfeiler des automobilen Geschäftsmodells werden aktuell grundlegend in Frage gestellt: Will man ein Auto verwenden, so 1. kauft man es, 2. fährt es selbst, und es wird 3. von einem Verbrennungsmotor angetrieben. Dem stehen in der Zukunft drei große Entwicklungen des Automobils gegenüber: Sharing-Modelle, Automatisierung und Elektrifizierung. Hinzu kommen noch die weitere Digitalisierung und Automatisierung in der Produktion. Das wird einschneidende Folgen für die Kfz-Industrie haben (siehe Interview mit Reinhold Binder). 

So arbeiten in der österreichischen Kfz-Industrie etwa 75.000 Beschäftigte, die Hälfte davon im Fahrzeugbau, die andere Hälfte in der Zulieferindustrie. Ihre Industrie ist aufgrund der Abhängigkeit vom geopolitischen Wettbewerb zunehmend in Krisen geraten. Strategische Entscheidungen werden häufig nicht in Österreich getroffen. Zudem hat der Verbrenner in einer Wirtschaft, die innerhalb der planetaren Grenzen agiert, keine Zukunft mehr. 

Die europäische Kfz-Industrie hat diese absehbaren Entwicklungen verschlafen und versucht, so lange wie möglich am alten Geschäftsmodell festzuhalten – ohne Einbindung der Beschäftigten und ihrer Vertretungen. Dabei sind die meisten von ihnen hoch qualifiziert, gewerkschaftlich gut organisiert und entsprechend gut bezahlt. Aber werden ihre Fähigkeiten und die Produkte, die sie erzeugen, in Zukunft überhaupt benötigt? Wo liegen die Entwicklungschancen, wo die Risiken? Wie können die Gewerkschaften in diesen Bereich kampfstark bleiben und zu Treibern – und nicht Bremsern – einer positiven Entwicklung werden?  

Zukunft der Mobilität

Laut „Mobilitätsmasterplan“ des BMK steht dem Verkehrssektor im Jahr 2040 nur mehr ein Drittel der derzeit verbrauchten Energie zur Verfügung und diese muss zur Gänze aus erneuerbaren Quellen stammen. Elektroautos sind zwar viel energieeffizienter als die Verbrenner, trotzdem wird eine Antriebswende allein nicht reichen. Der öffentliche Verkehr in Österreich muss daher massiv ausgebaut und entsprechend genützt werden.  

Da auch andere Länder eine Mobilitätswende anstreben, ist die weitere Entwicklung klar: Es werden weniger Autos benötigt und diese auch seltener genützt. Ihr Antrieb wird wohl batterieelektrisch erfolgen, was weniger Aufwand in der Produktion und bei der Wartung bedeutet. Dafür wird der Anteil bei der Nutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln und Fahrrädern stark zunehmen. Auch im Güterverkehr muss der Trend Richtung Reduktion gehen, durch Verlagerung auf die Schiene und den Einsatz emissionsfreier Lkws. Klar ist: Die Bahnen sind das Rückgrat der Mobilitätswende (siehe Schwerpunkt-Artikel "Was unsere Bahnen jetzt brauchen"). 

Die österreichische Bahnindustrie ist bereits sehr gut aufgestellt und technologisch hoch entwickelt. Diese Stärken gilt es weiter auszubauen, nicht zuletzt um auch ausreichend Arbeitsplätze für jene Menschen zu schaffen, die von einer Krise der Automobilindustrie betroffen sein werden. Bisher gibt es kaum industriepolitische Bemühungen, dieses Potenzial zu heben und die Fähigkeiten der Beschäftigten aus der Automobilindustrie für die Mobilitätswende wertzuschätzen und zu nutzen. 

Produktionsbedingungen für die Mobilitätswende

Die These der AK-Studie: Eine aktiv planende Wirtschaftspolitik sollte sich auf zukunftstaugliche, sozial und ökologisch sinnvolle Verkehrssysteme konzentrieren. Ein Forschungsteam der Johannes Kepler Universität Linz schafft dafür am neu gegründeten Linz Institute for Transformative Change die wissenschaftliche Grundlage.

Die Forscher:innen untersuchen erstens die Bedingungen für eine solche Wirtschaftspolitik: Was braucht es, um den Arbeitskräftebedarf für die Produktion der Güter der Mobiltätswende zu gewährleisten? Was kann die österreichische Industriepolitik leisten, auch in Anbetracht europäischer Wettbewerbsregeln und globaler Konkurrenz? Wie sind die Eigentums- und Machtverhältnisse in den Verkehrsindustrien und wie steht es um die Mitbestimmungsmöglichkeiten der Beschäftigten? Zweitens zeigt die Studie das Potenzial einer Wirtschaftspolitik für die Mobilitätswende auf, indem sie die ökonomischen Auswirkungen und insbesondere die Chancen für die Arbeitenden, bemisst.

Rund um die Studie ist bereits ein Netzwerk entstanden. Die Gewerkschaften PRO-GE und GPA, öffentliche Verkehrsunternehmen, Betriebsrät:innen der Verkehrsindustrien und Expert:innen der Verwaltung setzen sich mit der AK und dem Forschungsteam mit der Frage der Produktionspolitik auseinander. 

Soziale und ökologische Verkehrspolitik

Für die AK ist klar, dass die Mobilitätswende nicht, wie bislang allzu oft in öffentlichen Debatten dargestellt, durch individuelle Konsumveränderungen herbeigeführt werden kann. Das Auto ist schließlich ein wichtiger volkswirtschaftlicher Faktor und an dem Kfz-Geschäftsmodell hängen eine Vielzahl an Arbeitsplätzen. Die soziale mit der ökologischen Frage zu verknüpfen, bedeutet aus Sicht der AK deshalb eben auch eine produktionsseitige Betrachtung, denn eine aktive Wirtschaftspolitik darf diese Menschen nicht im Stich lassen, sondern muss eine umfassende soziale und ökologische Antwort finden. Eine neue Wirtschafts- und Sozialpolitik mit guten Beschäftigungsbedingungen, öffentlichen Investitionen und einer strategischen Produktionspolitik kann dies leisten.