Wissenschaft: Direktvergabe im Bahnverkehr statt hemmungsloser Wettbewerb

Guter öffentlicher Verkehr ist nicht kostendeckend und muss es auch nicht sein. So bezahlen die Menschen in Österreich den Betrieb der öffentlichen Verkehrsmittel zu ca. einen Drittel über den Kauf von Fahrkarten. Die restlichen zwei Drittel finanzieren sie in ihrer Eigenschaft als Steuerzahler*innen. Damit es hier zu keiner ungerechtfertigten Verschwendung öffentlicher Gelder kommt, regelt die sogenannter PSO-Verordnung 1370/2007 EG (PSO = Public Service Obligation) der EU Organisation, Vergabe und Finanzierung dieser gemeinwirtschaftlichen (= defizitären) Verkehre.

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Eine große Errungenschaft dieser Verordnung war, dass es im Eisenbahnverkehr die Wahlmöglichkeit zwischen Direktvergabe und wettbewerblicher Ausschreibung gab. So konnte man – wie beispielsweise in Deutschland – zuvor definierte Bahnnetze ausschreiben und danach unter mehreren Bewerbern den Best- bzw. Billigstbieter bestimmen. In Österreich und der Schweiz geht man einen anderen Weg: Die Behörden setzen auf eine vertrauensvolle und langjährige Zusammenarbeit und vergeben den Auftrag zur Erbringung von Eisenbahndienstleistungen direkt an das Unternehmen ihrer Wahl. Sieht man sich die Kennzahlen in diesen beiden Ländern – wie z.B. Pünktlichkeit, Qualität oder zurückgelegte Bahnkilometer – an, so entpuppt sich die Direktvergabe als Erfolgsgeschichte.

Welche der beiden Vergabeformen gewählt wird, ist eine ideologische Frage. Neoliberale Vordenker streichen häufig drei Vorteile einer Ausschreibung hervor:

  • Für einen genau definierten Auftrag gibt es mehrere Angebote, aus denen das Beste ausgewählt wird.
  • Durch Wettbewerb sollen Dienstleistungen besser und billiger werden. Neue und qualitativ hochwertigere Unternehmen bzw. Klein- und Mittelbetriebe kommen zum Zug.
  • Verschwendung öffentlicher Gelder wird verhindert, öffentliche Auftragsvergaben werden transparent und fair.

Mindestens genauso zahlreiche und gute Argumente sprechen aber auch gegen Ausschreibungen:

  • Gute Ausschreibungen sind aufwändig und teuer; sowohl für Behörden als auch für Auftragnehmer. Daher herrscht oft Kandidatenmangel und es kommt folglich zur Bildung von Oligopolen.
  • Die ausschreibenden Behörden haben kaum Kundenkontakt; sie sollen aber beispielsweise Fahrpläne vorgeben. Auf spätere Änderungen des Fahrgastverhaltens zu reagieren kann bei Ausschreibungen schwierig und kostspielig werden.
  • Horrorszenario einer Ausschreibung ist, wenn sie rechtlich gekippt wird. „Wasserdichte“ Vergaben schränken aber die Gestaltungsspielräume ein.
  • Bei Ausschreibungen herrscht das Prinzip: „The winner takes it all“. Ein Unternehmen bekommt den Zuschlag, während die anderen auf ihren Kosten und Bemühungen sitzen bleiben.
  • Verliert ein bisheriger Betreiber eine große Ausschreibung, so stehen dann hunderte Eisenbahner*innen ohne Job da. Das wäre eine soziale, aber auch volkswirtschaftliche Tragödie. 
  • Im Bahnverkehr gibt es viele Fixgrößen. Energie, Schienenmaut oder Rollmaterial kosten für alle Unternehmen gleich viel. Es ist eine traurige Erfahrung, dass eine der wenigen flexiblen Stellgrößen die Personalkosten sind. Häufig zahlt bei solch einem Wettbewerb die Belegschaft und die Qualität drauf.

Da die Europäische Kommission neoliberal denkt und von einem all umfassenden Wettbewerbsgedanken beseelt ist, war ihr die Direktvergabe ein Dorn im Auge. Also wurde eine Novellierung der PSO-Verordnung (2016/2338) auf den Weg gebracht, die diese Wahlmöglichkeit einschränken soll. Die neue PSO-Verordnung ist seit 24.12.2017 in Kraft, die wichtigsten Übergangsfristen enden am 25.12.2023. Danach ist dann bei Eisenbahnverkehren laut Paragraph (4a) eine Direktvergabe nur möglich, wenn:

a) Die Direktvergabe aufgrund der jeweiligen … Merkmale des Marktes und des betreffenden Netzes … gerechtfertigt ist und

b) ein derartiger Auftrag zu einer Verbesserung der Qualität der Dienste oder der Kosteneffizienz … führen würde.

Hier sollten also Schranken aufgebaut werden, um eine Direktvergabe zu erschweren. Offenbar muss diese nämlich gerechtfertigt werden, während das bei einer Ausschreibung nicht notwendig ist. Viele Akteure leiteten von dem Gesetzestext ab, dass eine Direktvergabe praktisch unmöglich sei. Um diese Erzählung zu durchbrechen und Klarheit zu schaffen, erstellten die beiden Rechtsanwälte und Vergabeexperten Josef Aicher und Rudolf Lessiak im Auftrag der AK Wien ein Rechtgutachten. Sie kommen zu folgenden Ergebnis:

„Eine Vorrangigkeit der wettbewerblichen Vergabe oder Nachrangigkeit der Direktvergabe ist aus der PSO nicht ableitbar. Sind alle Elemente des Tatbestandes der zulässigen Direktvergabe erfüllt, dann bedarf es keiner zusätzlichen Begründung, weshalb direkt und nicht im wettbewerblichen Verfahren vergeben werden soll. Unbeschadet der Gleichrangigkeit der Vergabemethoden bleibt (in beiden Fällen) die Notwendigkeit sachlicher Rechtfertigung der gewählten Vorgangsweise.“

Hier zeigt sich, dass die Direktvergabe kein Selbstzweck sein kann. Es wäre ja auch widersinnig, ein Eisenbahnunternehmen mit schlechten Sozial- oder anderen Qualitätsstandards zu beauftragen. Im Gutachten wird daher diskutiert, welche Kriterien sinnvollerweise für eine Rechtfertigung für diese Vergabeform herangezogen werden sollten. Direktvergaben sind aber auch in Zukunft möglich.