Interview mit dem Wiener Stadtrat Peter Hacker: Corona auch als soziale Krise meistern

Was sind die wichtigsten Ansatzpunkte und Erfolge der Krisenbekämpfung durch die Stadt Wien?

Die Stadt Wien hat bereits sehr früh die Pandemie wahrgenommen und schon im Jänner einen Krisenstab gebildet. Wir haben mit dem Gesundheitstelefon 1450 als zentrale Anlaufstelle und dem Ärztefunkdienst mit den mobilen Testteams erste entscheidende Maßnahmen gesetzt, um im Verdachtsfall rasch testen zu können. Wir haben die Spitäler geschützt, planbare Aufnahmen in den Krankenhäusern verschoben, Betten – vor allem auch im Intensivbereich – freigemacht und besonders gefährdete Personengruppen – wie Menschen in Pflegeeinrichtungen – streng geschützt. Wien gehört deshalb unter den Millionenmetropolen Europas zu jenen mit den wenigsten Infizierten und Toten. Jetzt, nachdem die Epidemie zurückgegangen ist, gehen wir den Infektionsketten penibel nach.

Die Corona-Krise ist nicht nur eine gesundheitliche, sondern auch eine soziale Bedrohung. Wie geht die Stadt damit um?

Diese soziale Bedrohung macht mir besonders große Sorgen. Nach der Kurzarbeit ist in vielen Betrieben mit Kündigungen zu rechnen, auch werden nicht alle Firmen diese Krise überleben. Die Bundesregierung redet dieses Problem derzeit klein. Ich will endlich Hilfspakete, die auch wirklich bei den Menschen ankommen. Die Stadt Wien setzt viele Schritte, um eine soziale Krise abzufedern. So werden Gastrogutscheine für alle Haushalte verteilt, um der Gastronomie zu helfen und Arbeitsplätze zu erhalten. Es wurde eine sehr gut angenommene Homeofficeförderung geschaffen; die Stadt Wien beteiligt sich zudem an Firmen, um Jobs zu sichern; nicht zuletzt unterstützt die Stadt Wien die Wiederbelebung des Tourismus.

Die öffentlichen Dienstleistungen der Daseinsvorsorge – Spitäler, Pflege, öffentlicher Verkehr, Strom- und Wasserversorgung – haben sich in der Krise als Rückgrat der Krisenbewältigung bewiesen. Welche Lehren könnte man daraus ziehen?

Die wichtigste Lehre ist, dass der Markt nicht alles regelt und dazu gehören sicher die zentralen öffentlichen Dienstleistungen im Gesundheitsbereich. Für mich ist die wichtigste Lehre, dass wir im Gesundheitsbereich den Forderungen nach möglichst wenig Betten, reduziertem Personal und privatisierten Gesundheitseinrichtungen nicht nachkommen werden. Große Einheiten sind robuster als kleine, da sie flexibler agieren können, sollte mal eine Abteilung unter Quarantäne gestellt werden.

Wie sollen in Zukunft neue Infektionswellen vermieden und negative soziale Folgen minimiert werden?

In erster Linie muss unsere Wirtschaft wiederbelebt werden. Die Bundesregierung hat zwar versprochen „koste es, was es wolle“ jetzt aber wird geknausert. Unzählige Unternehmen wissen nicht, wie es weitergehen soll. Darunter leiden natürlich auch zig Tausende Arbeitnehmer. Man hat das Gefühl, die Bundesregierung unternimmt viel zu wenig. Die Wahrscheinlichkeit einer zweiten Welle ist sicher gegeben. Wir werden österreichweit einen Bettenplan brauchen, um dann sofort COVID-Betten zur Verfügung zu haben. Sehr wichtig ist auch, dass die Regierung ein Rettungspaket für das Gesundheitswesen schnürt, denn durch die höhere Arbeitslosigkeit gehen der Krankenversicherung sehr hohe Beitragssummen verloren.