Politik

Standortentwicklung mit Tunnelblick

Verfahrensbeschleunigung ist ja nicht gerade ein neues Thema, wenn man den Werdegang des Umweltverträglichkeitsprüfungsgesetzes (UVP-G) verfolgt. Schon bald nach dem Scheitern des Donaukraftwerks Hainburg im Jänner 1985 begannen Überlegungen für eine integrierte Umweltprüfung und eine echte Bürgerbeteiligung in Verfahren. Doch die Wirtschaft war entschieden gegen neue bürokratische Hürden. Erst die laufenden EU-Beitrittsverhandlungen und die Gewissheit, dass EU-UVP-Richtlinie davor umgesetzt sein muss, haben den Weg für eine Umsetzung freigemacht. Die war dann gemessen am damaligen Rechtsbestand echt ein Quantensprung: Denn indem das UVP-G 1993 erstmals den Wunsch der Wirtschaft nach einem konzentrierten Genehmigungsverfahren in Österreichverwirklichte, konnte es auch die Wünsche nach effektiven Nachbarrechten und einer echten Öffentlichkeitsbeteiligung erfüllen. Das war der Deal, dem sich die Wirtschaft nicht verschließen konnte. 

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Und natürlich ist es seither ständig um Verfahrensbeschleunigung gegangen, wenn das UVP-G auf der Agenda war. Gelöst scheint die Frage nicht. Drum kann man schon zurecht fragen, ob die Bundesregierung mit der Anfang März präsentierten „Offensive für den Wirtschaftsstandort“ tatsächlich der Debatte eine neue Qualität gibt. Unter der Überschrift „Bekenntnis zu einem wettbewerbsfähigen Wirtschaftsstandort“ finden sich als Leuchtturmprojekte: Die Schaffung eines Staatszieles „wettbewerbsfähiger Wirtschaftsstandort“ und die Erarbeitung eines Standortentwicklungsgesetzes. Zudem werden weitere verfahrensbeschleunigenden Maßnahmen wie die Einrichtung eines Standortanwalts im UVP-G angekündigt. 

Den Entwurf für ein neues Staatsziel hat die Bundesregierung schon im Mai – trotz massiver Einwände im Begutachtungsverfahren – dem Parlament zugeleitet (Siehe Wirtschaft&Umwelt 2/2018 S. 5 – Neoliberaler Lieferservice). Mit Ferienbeginn hat die Regierung die übrigen Versprechen eingelöst: Der Entwurf für eine Novelle des UVP-G sieht eine Parteistellung für einen – noch einzurichtenden – Standortanwalt vor. Das größte Echo hat freilich der Entwurf für ein Standortentwicklungsgesetz ausgelöst. Während aus der Wirtschaft, vor allem der Industriellenvereinigung (IV) große Zustimmung gekommen ist, ist der Entwurf von vielen Seiten – Bundesländern, Umwelt-NGOs, aber auch von Fachvereinigungen der Richter und Anwälte – schon wegen seiner rechtlichen Mängel rundweg abgelehnt worden. Auch die Bundesarbeitskammer (BAK) hat hervorgehoben, dass der Entwurf Europarecht, Völkerrecht und Verfassungsrecht in kaum behebbarer Weise widerspricht, sodass er schon deswegen zurückgezogen werden sollte. Vor allem aber sei die brachiale Methode, Projektanträge nach einem Jahr automatisch – und unabhängig von Verbesserungsbedarf und -möglichkeiten – zu genehmigen, nicht geeignet, Projekten die Akzeptanz in der Öffentlichkeit zu verschaffen, die sie brauchen. Der Widerstand würde sich dann nur auf anderen Ebene verlagern.

Was sagt der Entwurf? Investoren sollen rascher Planungs- und Investitionssicherheit be­kommen, indem die Bundesregierung ihren Vorhaben ein besonderes öffentliches Interesse bestätigt. Landeshauptleute oder Minister können Projekte, die zur UVP eingereicht worden sind, dafür vorschlagen, was dann geprüft wird und bejahendenfalls in eine Verordnung der Bundesregierung mündet. An diese „Bestätigung“ sollen sich dann verfahrensbeschleunigenden Maßnahmen knüpfen: Der Entwurf beschränkt sich da aber nicht bloß auf gängige Maßnahmen wie z.B. kürzere Fristen zur Verfahrensstraffung, sondern legt eine einjährige Frist ab Veröffentlichung der Verordnung fest und verknüpft den Fristablauf mit einer Genehmigungswirkung ex lege (~Genehmigungsautomatismus). Dies bedeutet, dass das Projekt genehmigt ist, unabhängig davon, welche Auswirkungen das Projekt hat und wo das Verfahren gestanden hat und was die Verfahrensverzögerungen verursacht hat. Investorenanliegen über alles. Das war wie ein Paukenschlag für die Öffentlichkeit, denn ein derart brachiales Instrument ist im Betriebsanlagenrecht bis jetzt unbekannt. Doch damit nicht genug: Der Entwurf beschränkt dann noch die Beschwerdemöglichkeiten, dass es einer Abschaffung der gerichtlichen Überprüfung gleichkommt. Außerdem sieht er für erfasste Projekte geringere Umweltschutzanforderungen als das UVP-G vor, ohne zu erklären, was das genau bedeutet. Umweltschutz nur wenn unbedingt erforderlich – das wären euer Zündstoff in künftigen Verfahren. In Summe erinnert der Entwurf an die Aussage des IV-Präsidenten Kapsch, der unter dem Eindruck der ablehnenden Dritte-Piste-Entscheidung gemeint hatte: „Wir müssen bestimmte Projekte durchboxen können.“ Genau dies setzt der Entwurf um, als hätte man ihm die Wünsche von den Lippen abgelesen.

Wie Bundesministerin Schramböck – auf die viele Kritik an ihrem Entwurf angesprochen – zuletzt sagen konnte, dass er vielleicht „ein bisschen progressiv“ sei, und ihn mit einem Start-Up verglichen hat, erschließt sich nicht. Viele Verfassungsexperten halten den Entwurf für irreparabel. So auch Prof. Funk, der gemeint hat, der Versuch den Entwurf zu reparieren wäre, „ein U-Boot in ein Flugzeug umbauen zu wollen“. Denn wenn man die Kritikpunkte beseitigen würde, dann bliebe vom Entwurf nichts mehr über.

Wie es nun weitergehen soll, ist unklar. Die Ministerin hat eine Überarbeitung angekündigt. In welche Richtung? Da kann man nur raten und hoffen, dass sie den Mut aufbringt, das Anliegen breiter aufsetzen zu lassen. 

Die Ansage des IV-Präsidenten steht ja nur stellvertretend für die vorherrschende verengte Sichtweise aufs Problem, die Verfahrensverzögerungen schlicht auf die Teilnahme von Nachbarn, Bürgerinitiativen und Umwelt-NGOs zurückführt. Dieser Tunnelblick erklärt auch, warum immer nur ganz bestimmte Lösungsvorschläge diskutiert werden: Zuerst müsse man trachten, Projekte tunlichst von der UVP-Pflicht zu verschonen. Gehe das nicht, dann gelte es Parteirechte einzuschränken oder den Behörden und Gerichten Fristen zu setzen, die sie einhalten sollen. Oder man senkt punktuell die Schutzstandards, so wie bei Verkehrsinfrastrukturanlagen öfter geschehen. 

Viele Novellen sind in diesem Geist entstanden, oft anlassbezogen und ohne echte Diskussion. Sei es, weil Verfahrensbeschleunigung wieder mal auf der politischen Agenda stand, sei es, weil wieder mal ein EU-Vertragsverletzungsverfahren oder verurteilendes EuGH-Erkenntnis abzuarbeiten war (weil man den Wünschen der Wirtschaft vorher zu sehr nachgegeben hatte). Der Reflex, dass Bürgerinitiativen und Umwelt-NGOs Projekte in der UVP sehen wollen, während Betreiber lieber „raus aus der UVP“ und den damit verbundenen Pflichten wollen, ist so alt wie das UVP-G selber. Am Grund dafür, dem großen Schutzgefälle zwischen dem UVP-G und den Infrastrukturgesetzen, die bis heute kaum ein Schutzniveau definieren und auch keine Nachbarrechte kennen, hat sich kaum etwas gebessert. Dieses Spannungsverhältnis steht übrigens auch hinter dem letzten EuGH-Urteil zur einer 110kV-Stromleitung in OÖ, wonach nun auch „Trassenaufhiebe“ UVP-pflichtig sind.

Die Ansage des IV-Präsidenten und, was der Entwurf alles vorschlägt, bleiben diesem „Tunnelblick“ aufs Problem auffallend treu. Sie treiben das halt bei der Lösung nur auf eine Spitze, wo nur mehr Kopfschütteln bleibt. Motto: Wenn uns der Geduldsfaden reißt, dann brechen wir Verfahren eben einfach ab und es kann gebaut werden! Der Verfassungsexperte Prof Mayer fühlt sich an Donald Trumps Credo „Make America Great Again“ erinnert. Man denkt auch an die Vorgänge in Polen oder Ungarn, wenn sich sogar schon die Präsidentin des Verfassungsgerichtshofes besorgt zeigt.