Betrieb

VOEST: Österreichs größte Altlastensanierung

Wie bei allen integrierten Stahlwerken umfasst auch der Standort der Voestalpine in Linz eine Kokerei. Dort wird Steinkohle in Koks umgewandelt, ein Vorgang, bei dem unter Hitze und Luftabschluss verschiedene Beistoffe abgetrennt werden und die Festigkeit der Kohle erhöht wird. Erst als Koks kann Kohle im Hochofenprozess eingesetzt werden. Bei der Verkokung fallen Kohlenmonoxid, Benzol, Schwefelsäure, Steinkohleteer und weitere Chemikalien an – die meisten von ihnen giftig oder krebserzeugend. Diese Stoffe werden nach der Abtrennung und Reinigung gelagert, bevor sie teils in der chemischen Industrie weiterverarbeitet werden, teils im Stahlwerk an anderer Stelle als Energieträger dienen.

Linz als Stahlstandort

Verglichen mit Donawitz, ist Linz ein junger Stahl-Standort. 1938, kurz nach dem Anschluss Österreichs, wurde an dieser Stelle mit dem Bau begonnen, weil die Rohstoffversorgung mit Eisenerz vom steirischen Erzberg und mit Kohle aus Schlesien gut war und auch eine leistungsfähige Verkehrsanbindung über die Donau und die Westbahn bestand. Das Werk gehörte zu den „Reichswerken Hermann Göring“ und spielte für die Rüstungsindustrie des Dritten Reichs eine bedeutende Rolle. Folglich war es auch ein strategisch wichtiges Ziel von Bombenangriffen der Alliierten.

Besonders heftig waren die Angriffe ab Juli 1944. Dabei wurden die Kokerei und die Chemikalienlager schwer beschädigt. Dadurch gelangten vor allem Benzol und Teerprodukte großflächig in den Untergrund. Nachdem das Stahlwerk mit Kriegsende von den US-Streitkräften beschlagnahmt worden war, wurde es im Sommer 1946 der Republik Österreich zur treuhändischen Verwaltung gegeben und sogleich verstaatlicht. Wie andere Industrieprojekte aus der Nazizeit, wurde es zu einem Symbol des Wiederaufbaus Österreichs. 

Die Kontamination des Untergrundes blieb lange Zeit unbeachtet. Auch nach dem Krieg kam es wiederholt zu Unfällen, bei denen giftige Chemikalien austraten.  Weiters wurden ehemalige Bombenkrater mit Abfällen aus der Teerdestillation und der Benzolverarbeitung verfüllt.

Ausschlaggebend dafür, dass Jahrzehnte später die Sanierung des Standorts der Kokerei in Angriff genommen wurde, war letztlich der Bedarf an Flächen für Betriebserweiterungen. Es war klar, dass auf dem kontaminierten Grund keine Anlagen errichtet werden können. 

Untersuchung der Kontamination

Um den räumlichen Umfang und die Schwere einer Kontamination des Bodens und des Grundwassers, das ihn durchströmt, beurteilen zu können, wurden von 2004 bis 2009  Bodenproben genommen, Analysen der Bodenluft durchgeführt und Grundwasserproben auf ihren Schadstoffgehalt analysiert.

In manchen Bereichen des Untergrunds lag der Schadstoffgehalt an polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen (PAK) über einem Gramm pro Kilogramm Boden. Es wird geschätzt, dass sich im Boden des kontaminierten Geländes 1000 bis 2000 Tonnen dieser krebserzeugenden Schadstoffe befinden.

Ähnlich verhält es sich mit Benzol und den mit ihm verwandten Verbindungen (BTEX): Die Mengen pro Kilogramm Boden lagen teils über einem Gramm, und auch in der Bodenluft fanden sich beträchtliche Mengen dieser Schadstoffe. Der Grundwasserstrom befördert Schadstoffe noch dazu in das benachbarte Areal des Chemiepark Linz, der selbst eine Altlast ist. Allein durch das aus anderen Gründen notwendige Abpumpen von Grundwasser kommt es zu einem beständigen Schadstoffeintrag in die Donau: Nach Schätzungen des Umweltbundesamtes werden dabei täglich 60 Gramm PAK, 20 Gramm Arsen und 160 Gramm Cyanide in die Donau geleitet.

Fläche von 35 Hektar

Mit einer belasteten Fläche von etwa 35 Hektar und einem geschätzten Volumen von über 500.000 m³ ist die Kontamination sehr umfangreich. Auf der Grundlage der Messungen und angesichts der Größe des Schadensherdes war es daher nicht überraschend, dass das Umweltbundesamt vorschlug, die Altlast „Kokerei Linz“ in die höchste Prioritätenklasse 1 einzustufen. Sie wurde in der Folge mit der Nummer „O76“ in den Altlastenatlas aufgenommen, die Liste der kontaminierten Deponien und Industriestandorte („Altablagerungen“ und „Altstandorte“), von denen erhebliche Gefahren für die Gesundheit des Menschen oder die Umwelt ausgehen.

Ende 2009 legte die Voest­alpine ein Sanierungsprojekt vor. Bei einer Schätzung der Gesamtkosten von 153 Millionen Euro lautete die entscheidende Frage, wer die Kosten übernehmen würde. 

Da der größte Teil der Schadstoffaustritte durch Kriegseinwirkungen entstanden war, gilt die Voestalpine nicht als Verursacherin; ein behördlicher Auftrag zur Sanierung kam daher nicht in Frage. Auch die Schäden, die in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden, waren damals nicht rechtswidrig und werden daher dem Verursacher nicht angelastet.

Entscheidung für die Förderung

Dass die Voestalpine dennoch Interesse an der Sanierung hatte, lag am Flächenbedarf für die Betriebserweiterung. Die Alternative wäre die Errichtung eines Werkes an einem gänzlich neuen Standort, etwa in Rumänien. Indem sie diese Möglichkeit immer wieder ins Spiel brachte, gelang es der Voestalpine, Druck auf PolitikerInnen zu erzeugen, die natürlich den Standort Linz absichern wollten. So kam es zur Einigung, das Projekt aus Mitteln der Altlastensanierung zu fördern. Im Fall einer Altlast der Priorität 1 beträgt der Fördersatz 95 Prozent. Die Voestalpine trägt somit immerhin 8 Millionen Euro, die öffentliche Hand zahlt etwa 145 Millionen Euro.

Dies ist ein Betrag, der die jährlich zur Verfügung stehenden Fördermittel der Altlastensanierung – derzeit etwa 50 Millionen Euro – weit überschreiten würden. Diese Gelder stammen aus einer zweckgebundenen Abgabe, dem Altlastenbeitrag. Dieser wird auf Abfälle erhoben, die deponiert oder verbrannt werden. Im Jahr 2017 betrug das gesamte Aufkommen 62,5 Millionen Euro. Davon dienen 15 Prozent der Aufsuchung und Untersuchung von Altlasten, 85 Prozent werden für die Förderung von deren Sanierung oder Sicherung verwendet.

Teilprojekte ermöglichen schrittweises Vorgehen

Um die Sanierung also finanziell handhabbar zu machen, wurde das Sanierungsprojekt in acht Teilprojekte zerlegt, die einzeln abgearbeitet wurden. Die Förderung des ersten Teilprojekts wurde am 14. Dezember 2009 bewilligt, und auch die Europäische Kommission gab grünes Licht für die staatliche Beihilfe. Das achte und letzte Teilprojekt wurde von der Altlastensanierungskommission am 20. Juni 2018 befürwortet.

Verschiedene Verfahren kommen dabei zum Einsatz. Bei der Sanierung im eigentlichen Sinn wird der Schadstoffherd entfernt. Dies geschieht bei sechs der acht Teilprojekte, bei denen besonders hoch kontaminierte Böden abgetragen und entsorgt oder – nach einem Herauswaschen der Schadstoffe – wieder vor Ort abgelagert werden. Zwei Teilprojekte sind Sicherungen, bei denen nicht der Schadensherd entfernt wird, aber die Ausbreitung von Schadstoffen verhindert wird. Im Fall der Kokerei Linz wurde dazu eine 1,7 km lange und im Schnitt 15 m tiefe Wand 
im Untergrund errichtet, die 
das Grundwasser aufstaut. Nur an 12 Stellen kann das Grundwasser sie durchfließen; dort werden mittels Aktivkohle die Schadstoffe festgehalten (adsorbiert). Es wird davon ausgegangen, dass der regelmäßige Tausch der Aktivkohle zumindest für die nächsten 40 Jahren erforderlich sein wird, um die Ausbreitung der Schadstoffe zu verhindern.

Neben diesem als „funnel and gate“ bezeichneten Verfahren wird Grundwasser auch direkt abgepumpt und gereinigt; weiters wird auch durch Absaugung der Bodenluft und Abtrennung der Schadstoffe die im Boden befindliche Schadstoffmenge verringert. Auch hier ist teils ein Betrieb über Jahrzehnte erforderlich, um den Erfolg sicherzustellen.

Das Ziel der Förderung der Sanierung oder Sicherung von Altlasten im engeren Sinn ist die gute Umweltqualität. Für die Vergabe der Förderung spielten im konkreten Fall aber wirtschaftspolitische Erwägungen eine mindestens ebenso große Rolle wie umweltpolitische. Es ist erfreulich, wenn sich diese zwei Ziele vereinen lassen, auch wenn das Grundwasser unter der Kokerei Linz wohl noch in 100 Jahren als Trinkwasser nicht zu brauchen sein wird.