Politik

Mit Transformationsrecht den Umbau erkämpfen

Die Grenzen der Belastbarkeit unseres Planeten sind beinahe erreicht oder schon überschritten. Im Jahr 2023 wurde mit einer globalen Durchschnittstemperatur von ca. 1,48 Grad Celsius über dem vorindustriellen Zeitalter die 1,5 Grad Celsius Grenze des „Pariser Übereinkommens“ beinahe erreicht. Schon längst ist klar, dass nur ein tiefgreifender Umbau unserer Wirtschafts- und Lebensweise jenen Wandel herbeiführen kann, der für die Vermeidung eines ökologischen Kollapses nötig ist. 

Die Krise verschärft die Ungerechtigkeit

Der französische Ökonom und Ko-Direktor des World Inequality Lab in Paris, Lucas Chancel, hat mit dem „Carbon Inequality Report 2022“ aufgezeigt, dass vor allem die Vermögenden und Einkommensstarken für die Mehrheit der klimaschädlichen Treibhausgasemissionen verantwortlich sind. Das gilt nicht nur auf einem globalen Level – hier sind die Zahlen besonders markant –, auch innerhalb einzelner Staaten ist die Verteilung äußerst ungleich. So müssten in Europa die Pro-Kopf-Emissionen auf zirka 5 Tonnen CO2 reduziert werden, um bis 2030 die nationalen Beiträge (NDCs) im Rahmen des Pariser Übereinkommens zu erreichen. Bei den unteren 50 Prozent entspricht dies schon fast den aktuellen Emissionen, die vermögendsten zehn Prozent müssten ihren Ausstoß hingegen auf zirka ein Sechstel des derzeitigen reduzieren. Gleichzeitig sind es aber gerade die ökonomisch Benachteiligten und Armen, die die Folgen der Klimakrise am allermeisten zu spüren bekommen, etwa weil sie über keinen Wohnraum mit Freifläche oder Ressourcen für sonstige Abhilfemaßnahmen gegen die Hitze verfügen. Diese Umstände zeigen, dass eine ökologische Transformation auch eine soziale sein muss. 

Bisherige Bemühungen um Klimaschutz reichen für einen tatsächlichen Wandel bei Weitem nicht aus. Insbesondere das klassische Umweltschutzrecht führte in den letzten Jahrzehnten nicht zu den nötigen Änderungen, weil es bisher vornehmlich auf die umweltverträgliche Gestaltung von Produkten und Herstellungsprozessen abzielte. Wenn aber insgesamt immer mehr produziert wird, können die planetaren Grenzen mit solchen Vorschriften nicht eingehalten werden. Daher bedarf es auch hier eines grundsätzlichen Umdenkens.

Recht als Hebel und Hürde

Das Recht wird im sozialen und ökologischen Umbau eine herausragende Rolle spielen. Als zentrale Grundlage unseres Zusammenlebens ist es wesentlich an gesellschaftlichen Änderungen beteiligt; entsprechend groß ist auch seine Bedeutung für die Transformation. Bisher ist seine Rolle hier eine ambivalente: Einerseits stößt es Veränderungen an und bietet Vorlagen für eine emanzipatorische Nutzung, z. B. für sogenannte Klimaklagen. Viel zu häufig stellt es aber Hürden auf, die eine Transformation verhindern. Zu denken ist hier etwa an das Primat der freien Marktwirtschaft im Recht der EU, dem beinahe alles untergeordnet wird, oder an eine überzogene Auslegung des Eigentumsbegriffs, die subjektive Interessen regelmäßig über das Gemeinwohl stellt und damit für den Umbau wichtige Regelungen verhindert, wenn es beispielsweise um die Reduktion von Bodenverbrauch geht.

All das wird in letzter Zeit unter dem Schlagwort „Transformationsrecht“ diskutiert. Der Begriff kann dabei drei Bedeutungen haben: 

  1. 
Er umfasst zunächst rechtliche Maßnahmen, die dazu beitragen, einzelne Bereiche des 
Zusammenlebens sozial und ökologisch nachhaltiger zu gestalten. 
  2. 
Darüber hinaus wird darunter eine Nutzung bestehender Rechtsnormen verstanden – etwa durch strategische Prozessführung –, um eine gesamtgesellschaftliche Transformation voranzutreiben. 
  3. Außerdem bezeichnet der Begriff ein in Grundzügen transformiertes Recht, befreit von Elementen, die ein rein wachstumsbasiertes Wirtschaften verfestigen.

1 Transformation in kleinem Rahmen

Schon jetzt werden verschiedene Rechtsbereiche im Sinne einer Ökologisierung umgestaltet. Meist handelt es sich hierbei um Maßnahmen, die keiner grundlegenden Systemänderung bedürfen. So werden etwa Emissionsgrenzwerte für bestimmte Anlagen festgelegt, Energieeffizienzmaßnahmen für Geräte vorgeschrieben oder bestimmte Heizungsarten im Neubau verboten. Mit solchen Änderungen konnten in der Vergangenheit kleine Fortschritte erzielt und die Klimaschädlichkeit einzelner Sektoren verringert werden. Eine tatsächliche Transformation ist damit jedoch nicht verbunden. Insbesondere ändern solche Regelungen nichts an der extrem ungleichen Verteilung der Verantwortung für die Emissionen sowie der zu tragenden Lasten, die mit den Folgen der Klimakrise einhergehen.

Gleichzeitig gibt es Bereiche, die nach wie vor einer Ökologisierung harren und aus einer transformationsrechtlichen Perspektive dringend geändert werden müssen. Prominentestes Beispiel hierfür ist wohl der Verkehr bzw. die Mobilität. Fast 30 Prozent der österreichischen Treibhausgasemissionen sind dem Verkehrssektor zuzuordnen. In den letzten Jahren wurden zwar einige Schritte gesetzt, um diese Emissionen zu mindern, was tatsächlich zu leichten Reduktionen geführt hat. Von einer Mobilitätswende kann aber noch lange nicht gesprochen werden. Am Verkehrssektor wird auch die ungleiche Verteilung von Emissionen sehr deutlich: Fast die Hälfte der Haushalte mit niedrigem Einkommen verfügt laut der gemeinwohlorientierten Organisation VCÖ – Mobilität mit Zukunft über gar kein Auto, während im obersten Einkommensviertel fast die Hälfte sogar zwei Autos besitzt. 

Zum Beispiel: Ein Recht auf öffentlichen Verkehr! Für die nötige Mobilitätswende spielt der rechtliche Rahmen eine zentrale Rolle. Um den Autoverkehr zu reduzieren, wäre es zunächst wichtig, den Ausbau des öffentlichen Verkehrs zu forcieren und ein Recht auf gute und nachhaltige Mobilität einzuführen. Davon würden insbesondere ökonomisch Schwächere profitieren, da sie deutlich stärker auf den öffentlichen Verkehr angewiesen sind. 

Eine flächendeckende und barrierefreie Versorgung mit öffentlichem Verkehr rechtlich zu verankern muss keine Utopie bleiben. Dies lässt sich etwa am Beispiel des Kantons Zürich zeigen. Hier gibt es schon seit vielen Jahren konkrete Vorschriften zum Mindestangebot im öffentlichen Verkehr: Vorgaben zur Errichtung von Haltestellen, zu Betriebszeiten sowie zur Taktung. Diese Bestimmungen führen zu einer flächendeckenden Versorgung. In Österreich gibt es hingegen kaum verbindliche Vorgaben für die Bereitstellung von öffentlichem Verkehr. Um dies zu ändern und den Verkehrssektor überhaupt umzugestalten, bedarf es eines neuen Verständnisses von Recht als Transformationsrecht. Einzelne Änderungen in der Straßenverkehrsordnung (StVO) und in anderen Bereichen, die heute zum Verkehrsrecht gezählt werden, reichen dafür nicht aus. Es braucht ein Recht der Mobilitätswende, das alle thematisch relevanten Normen umfasst, etwa auch solche aus dem Steuerrecht oder dem Raumordnungsrecht.

2 Bestehendes neu denken und anwenden

Neben der Umgestaltung einzelner Rechtsbereiche bedeutet Transformationsrecht genauso, bestehende Regelungen für die Transformation zu nutzen. So manche Vorschrift kann schon jetzt verwendet werden, um den sozialen und ökologischen Umbau anzustoßen und zu forcieren. Strategische Prozessführung, ursprünglich aus dem anglo-amerikanischen Raum stammend, ist nichts Neues. Durch das Aufkommen sogenannter Klimaklagen wurde diese Art der Rechtsanwendung in den letzten Jahren auch für den Klimaschutz genutzt. Den (juristisch) erfolglosen Verfahren stehen immer mehr Fälle gegenüber, in denen Gerichte zugunsten von Klimakläger:innen entschieden und dabei nicht selten neue Auslegungen alter Vorschriften gefunden haben.  

Als gutes Beispiel kann der „Klimabeschluss“ des deutschen Bundesverfassungsgerichts genannt werden, mit dem Teile des deutschen Klimaschutzgesetzes für grundgesetzwidrig erklärt wurden und das Instrument der „intertemporalen Freiheitssicherung“ geschaffen wurde. Das Höchstgericht hat hier aus der „Staatszielbestimmung Umweltschutz“ und dem verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, der Bürger:innen vor übermäßigen Eingriffen des Staates in ihre Grundrechte schützen soll, das Erfordernis abgeleitet, die Last der Emissionsreduktion fair über die Generationen zu verteilen. Eine solche Auslegung stellt ein absolutes Novum in der Rechtsprechung dar. 

Anders ausgestaltet, aber von der Richtung her ähnlich ist die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) zum Fall der Schweizer KlimaSeniorinnen, in dem der Gerichtshof erkannt hat, dass die Schweiz aufgrund ihrer mangelhaften Klimapolitik Menschenrechte verletzt. Hier hat der EGMR erstmals einem Verein in Klimabelangen ein Beschwerderecht eingeräumt und dies damit begründet, dass Vereine die Rechte der von der Klimakrise Betroffenen verteidigten. Dieses so begründete Beschwerderecht von Vereinen beim EGMR ist ebenso rechtliches Neuland. 

Diese beiden Beispiele zeigen, dass für Veränderungen im Recht keineswegs immer neue Vorschriften nötig sind. Auch die Anwendung bestehender Normen kann unter Umständen zu völlig neuen Möglichkeiten und Verpflichtungen führen. So wird es vermutlich in Zukunft noch viele weitere Beschwerden beim EGMR geben, mit denen gegen die mangelnde Klimaschutzpolitik einzelner Staaten gerichtlich vorgegangen werden soll. In Deutschland macht es die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nötig, dass Emissionsreduktionspfade künftig in einer Art und Weise geplant werden, die die Lasten der Emissionsreduktion fair über verschiedene Generationen verteilt und sie nicht zum weitaus größten Teil in die Zukunft verschiebt.

3 Der Umbau erfordert mehr: ein in Grundzügen transformiertes Recht 

Die beiden bisher beschriebenen Lesarten von Transformationsrecht können zu rechtlichen Änderungen mit unterschiedlicher Tragweite führen. Eine grundlegende Transformation des Rechtssystems und des Rechts ist damit hingegen nicht verbunden. Hierfür bräuchte es deutlich weitgehendere Ansätze, die sich allerdings nicht auf das Recht beschränken. Eine Abkehr von einem Wirtschaftssystem, das auf Ausbeutung und Wachstum ausgerichtet ist, kann sich nicht allein im Recht abspielen, sondern ist vielmehr ein gesamtgesellschaftlicher Prozess, der beinahe alle Lebensbereiche umfasst. Klar ist aber auch, dass dem Recht in diesem Prozess eine tragende Rolle zukommt, muss es als gesellschaftliches Ordnungsinstrument eine so weitgehende Transformation doch auch spiegeln und begleiten. Dazu bedarf es eines kompletten Umdenkens im Hinblick auf die Ziele des Rechts. Erste Ansätze in diese Richtung lassen sich in der Wissenschaft bereits finden. 

So muss Transformationsrecht laut dem Rechtswissenschafter Poul Kjaer vor allem ein Ziel haben: auf globaler Ebene eine nachhaltige Gesellschaft in ökologischer, ökonomischer und sozialer Hinsicht zu schaffen. Dies unterscheidet Transformationsrecht, laut Kjaer, von bisherigen Grundverständnissen des Rechts, die das Recht etwa ausschließlich als Wissenschaft, Werkzeug oder Hindernis, etwa für einen „vollkommenen Markt“, begriffen haben. 

Um die Klimakatastrophe abzuwenden, mehr Klimagerechtigkeit zu erreichen und dabei das Leben der Vielen zu verbessern, bedarf es einer solch fundamentalen Änderung des Rechtsverständnisses, wie Poul Kjaer sie vorschlägt. Unter dem Schlagwort Transformationsrecht gilt es daher, Bestehendes in Frage zu stellen, darüber hinauszudenken und Neues zu entwickeln. Nur so kann das Recht seinen Beitrag zum dringend nötigen sozialen und ökologischen Umbau leisten.