Politik
Raum für Wandel
In den nächsten zehn Jahren müssen wichtige Weichen gestellt werden. Dürren, Hochwasser, Hitzeextreme und Starkregen zeigen bereits die unmittelbaren Folgen der Klimakrise in Österreich. Die Digitalisierung bringt in einer bisher ungekannten Geschwindigkeit Änderungen für Berufstätige, Auszubildende und Wirtschaftstreibende sowie für die Freizeitgestaltung und das Einkaufen. Entsprechende Anpassungen sind daher erforderlich, nicht zuletzt deshalb, da durch die Pandemie einerseits die stärkere Vernetzung befeuert, andererseits aber auch aufgezeigt wird, wie verletzlich und anfällig das „alte System“ sein kann.
Nicht von ungefähr steht das Österreichische Raumentwicklungskonzept 2030 (ÖREK) daher ganz unter dem Leitmotiv des „Raumes für Wandel“. Es werden darin bundesweit Ziele und Handlungsvorschläge für eine klimaverträgliche, nachhaltige, gemeinwohlorientierte und gerechte Raumentwicklung verankert. Somit steht das ÖREK am Anfang eines gemeinsamen Prozesses. Ziel ist es, die bevorstehenden Veränderungen gemeinsam zu gestalten. Mit dem 10-Punkte-Programm des ÖREK steht zudem eine starke Grundlage für die Umsetzung zentraler Maßnahmen in der Raumentwicklung zur Verfügung.
Wozu ein bundesweites ÖREK?
Wichtigste Player in der Österreichischen Raumplanung sind seit jeher die neun Bundesländer und die über 2.100 Gemeinden. Über die Landesraumordnungsgesetze, regionale Programme sowie die kommunalen Flächenwidmungspläne und Entwicklungskonzepte bestimmen sie die Entwicklung in der Fläche. Abgesehen von einigen raumrelevanten Bundesgesetzen (Umweltverträglichkeit, Infrastrukturausbau usw.) spielt der Bund eine eher untergeordnete Rolle. Hintergrund dabei ist, die Entscheidungen in den einzelnen betroffenen Regionen auf lokaler Ebene zu treffen, um den jeweiligen regionalen Anforderungen besser entsprechen zu können. So stellt der Wiener Stephansplatz schlicht andere Anforderungen an die Regelungen als freistehende Gehöfte im Montafon.
Während die neun Landesregierungen die „Aufsicht“ und Koordinierung der kommunalen Flächenwidmungen und der Raumentwicklung in den Bundesländern wahrnehmen können, sind diese Möglichkeiten auf Bundesebene verfassungsrechtlich nicht vorgesehen. Dies auch dann nicht, wenn räumliche Herausforderungen, wie etwa der Klimawandel, das Bevölkerungswachstum oder die Digitalisierung, einen österreichweiten Zugang erfordern würden. Der Bund kann, in Ermangelung einer (verfassungsrechtlichen) Kompetenz, in vielen Raumordnungsfragen daher lediglich „Empfehlungen“ abgeben. Das vorliegende „ÖREK 2030“ beinhaltet, wie seine Vorgänger, diese österreichweiten Empfehlungen in Raumfragen. Tatsächliches Gewicht erlangt das ÖREK durch seine fachliche Expertise und dadurch, dass bei der Ausarbeitung alle relevanten Akteure wie Bundesländer, Gemeinde- und Städtebund, Arbeiterkammer, „Young-Experts“, diverse Ministerien usw. beteiligt waren. Am Ende des Prozesses haben alle Beteiligten das ÖREK gemeinsam beschlossen. Es besteht daher die berechtigte Hoffnung, dass sich diejenigen die zugestimmt haben, an das Beschlossene halten.
Die Herausforderungen
Alle Räume Österreichs, seien es größere Stadtregionen, ländliche Verdichtungsräume, „Achsenräume“ entlang hochrangiger Verkehrsinfrastruktur, ländliche Tourismusregionen oder Bereiche mit einer sehr geringen Bevölkerungsdichte sind, so das ÖREK 2030, von den raschen Veränderungen betroffen. Schutz und Sicherheit zur Anpassung an den Klimawandel werden für die Raumentwicklung wichtiger, es gilt letztlich Schäden zu vermeiden. Gleichermaßen muss die Versorgung mit kritischer Infrastruktur sichergestellt werden. Das reicht von der Versorgung mit Lebensmitteln bis hin zur Absicherung der Daseinsvorsorge (Ver- und Entsorgung, Bildung, Mobilität, Gesundheit, Energie usw.). Flexiblere und mobilere Personen, Haushalte und Unternehmen sowie neue, freie Familienmodelle führen dazu, dass die sogenannte Multilokalität, das Leben an mehreren Orten, zunimmt. Gepaart mit einem Bevölkerungswachstum steigt damit die Nachfrage nach Flächen für Wohnen, Arbeiten und Freizeit. Die Vorsorge für hochwertige Wohn- und Betriebsstandorte wird eine besondere Herausforderung insbesondere auch deshalb, weil der seit den 1960er Jahren bestehende Trend der Zersiedelung gestoppt werden muss. Die Mobilisierung von bereits gewidmetem, aber nicht genutztem Bauland ist auch ein Schlüsselelement für gute Betriebsstandorte und qualitatives, leistbares Wohnen. Nicht genutztes Bauland bindet enorme Flächen, auf diesen könnte, so diverse Studien, rund die Hälfte des österreichweiten Baubestandes errichtet werden. Dies ist insofern von hoher Relevanz, da diese oft in zentralen, bereits gut erschlossenen Lagen sind und faktisch nur zur Kapitalvermehrung gehortet werden, ohne dass dadurch auch nur irgendein Mehrwert für die Gemeinschaft entsteht.
Durch Supermärkte auf der grünen Wiese, Individualisierung der Produkte und Onlinehandel kommen kleinere Unternehmen zusehends unter Druck. Leerstände in den Orts- und Stadtzentren führen, gerade abseits der Boomregionen, zu „leeren“ Zentren und verfallender Bausubstanz. Die Rolle der Siedlungen als Orte der Begegnung, der Wirtschaft und der Entwicklung kann nicht mehr wahrgenommen werden. Die Zukunft in der Stadt muss jedenfalls für alle mehr bieten als Parkplätze für wenige. Attraktive, inklusive öffentliche Räume sind einer der wesentlichsten Aspekte der Standortqualität. Daher gilt es, der Baukultur und der Gestaltung der öffentlichen Räume ein höheres Augenmerk zu schenken. Eine rein auf den Autoverkehr zugeschnittene Siedlung schließt viele vom öffentlichen Leben aus, erschwert die Anpassung an den Klimawandel und beschleunigt vielfach den Verfall.
Laut dem Umweltbundesamt ist zwischen 1990 und 2019 im Verkehrssektor eine Zunahme der Treibhausgase um rund 74,4 Prozent zu verzeichnen. Eine Bewältigung der Klimakrise ist daher nur unter starker Beteiligung des Verkehrs möglich. Die Herausforderungen für das ÖREK sind daher einerseits die Verlagerung des Verkehrs. Andererseits müssen natürlich auch Strukturen geschaffen werden, die eine sinnvolle Anbindung an hochrangige, öffentliche Verkehrsmittel bzw. an den Schienengüterverkehr ermöglichen. Klassisch strukturierte Einfamilienhausgebiete oder alleinstehende Gebäude im Grünland stehen dem allerdings entgegen. Digitalisierung, Homeoffice und diverse Plattformen könnten zu einer Entflechtung oder Vermeidung der Verkehrsströme beitragen.
Trassen für Infrastruktur, wie Freileitungen oder Bahntrassen auszuwählen und freizuhalten, bleibt selbst bei klimaschonenden Projekten schwierig. Ein Beschleunigen der Verfahren durch „Drüberfahren“ oder Standortanwälte, wie es zum Teil von der Wirtschaftsseite gefordert wird, ist jedenfalls nicht zielführend. Die Beteiligung von Bürger*innen und komplexere Anforderungen an Standortprojekte erfordern nämlich vor allem eines: qualitativ hochwertige Planungsprozesse. Grundsätzlich muss behutsam geplant werden, um die Auswirkungen auf Menschen und Natur möglichst klein zu halten.
Das 10-Punkte-Programm
Aus diesen Herausforderungen leitet das ÖREK zehn zentrale Themen und Kernmaßnahmen ab. Diese sollen in den nächsten Jahren weiter konkretisiert werden. Ziel ist es, künftig mit räumlichen Ressourcen sparsamer und schonend umzugehen, den sozialen und räumlichen Zusammenhalt zu stärken, die Wirtschaftsräume und -systeme klimaverträglich sowie nachhaltig zu entwickeln.
Das 10-Punkte-Programm ist als gemeinsamer Auftrag an alle ÖREK Partner*innen zu verstehen und umfasst:
- Raumentwicklung auf Klimaneutralität und Energiewende fokussieren
- Flächeninanspruchnahme und Bodenversiegelung reduzieren
- Orts- und Stadtkerne stärken, sowie Raum für Baukultur eröffnen
- Freiräume ressourcenschonend und für den Klimaschutz gestalten
- Erreichbarkeit sichern und klimaneutral gestalten
- Klimawandelanpassung durch Raumentwicklung und Raumordnung unterstützen
- Daseinsvorsorge für gleichwertige Lebensbedingungen gestalten und leistbares Wohnen sichern
- Regionale Wertschöpfungsketten und Kreislaufwirtschaft stärken
- Chancen der Digitalisierung nutzen und regionale Innovationen stärken
- Government und Governance als Querschnittsthema integrieren
Fazit
Das ÖREK 2030 kommt zu dem Zeitpunkt, zu dem sogar den beharrlichsten Klimawandelverdränger*innen bewusst wird, dass gegensteuert werden muss. Das ÖREK deckt dabei einen sehr komplexen, kompetenzrechtlich „zerfledderten“ Bereich ab, den es im Kampf gegen die Klimakatastrophe stärker zu berücksichtigen gilt. Die Raumordnung ist nämlich ein sehr effektives und effizientes Mittel, um die Entwicklung sozial, wirtschaftlich und klimaoptimiert zu gestalten. Das ÖREK hat alle Beteiligten an einen Tisch geholt und für ein starkes, verbindendes Statement gesorgt. Pferdefuß dabei ist freilich, dass dieses richtige und wichtige Statement unverbindlich ist. Einiges konnte nicht abschließend behandelt werden, etwa eigentumsrechtliche Fragen (Möglichkeit der Rückwidmung nicht genutzten Baulandes) oder verbindliche Grenzwerte (Gesundheitsschutz versus freier Personen- und Warenverkehr). Die Unverbindlichkeit kann man freilich nicht dem ÖREK zum Vorwurf machen, denn es kann die (rechtlichen) Lücken bei der verpflichtenden Koordinierung oder beim Gesundheitsschutz nicht schließen. Dafür bräuchte es verfassungsrechtliche Änderungen. Der ÖREK-Prozess hat aber den Spielraum für Klarheit und Verbindlichkeit bei allen Beteiligten vollständig ausgeschöpft. Es bleibt zu hoffen, dass allen Zielen und Kernmaßnahmen des ÖREK bei Bund, Ländern, Städte- und Gemeindebund sowie den Sozialpartner*innen entsprechende Taten folgen. Dann wäre sicher ein weiterer Schritt in Richtung nachhaltige und generationengerechte Raumentwicklung gemacht