Politik

Einwegpfand – bitte noch ein bisschen warten

Seit Juni 2019 ist die EU-SUP-Richtlinie in Kraft. Seither versuchen die Großformen des Lebensmittelhandels mit allen Mitteln abzuwenden, dass in Zukunft die mit Einweg assoziierte „Convenience des Wegwerfens“ wegfällt und alle Outlets auch Einweggebinde zurücknehmen müssen. Nicht nur die Diskonter Hofer und Lidl sind dagegen. Auch alle Vollsortimenter – voran REWE und SPAR – sehen das so. Unnötig, teuer und moderne Kreislaufwirtschaft geht anders … ist der Tenor, den sie durch die Altstoff-Recycling Austria (ARA) landauf landab bei Landes- und Bundespolitikern verkünden lassen. ARA zeigt in diesem Zusammenhang, wie sehr es als Lobbying-Agentur der Mächtigen in der Wirtschaftskammer Österreich (WKO) fungiert. Das politische Gewicht der Handelsketten ist weit größer, als ihr Drittel-Anteil an den Einzelhandelsumsätzen in Österreich vermuten lässt. Sie sind gate-keeper zwischen den Lebensmittelherstellern und 
den Konsument*innen. Wer in Österreich verkaufen will, kommt an der Handvoll Ketten nicht vorbei, bei denen fast alle diese Umsätze konzentriert sind. Das verleiht den Aufsichtsratssitzen der Ketten in ARA ein besonderes Gewicht innerhalb der Wirtschaft.

Darum hat das Umweltministerium gleich im Sommer eine Studie beauftragt, welche Umsetzungsalternativen zu Verfügung stehen, und zur Begleitung einen Beirat mit Sozialpartnern, Ländern und Kommunalverbänden eingerichtet. Angesichts der Widerstände ist das Einwegpfand im Herbst auch Gegenstand der Regierungsverhandlungen geworden. Es soll sich zugetragen haben, dass es zunächst schon verankert war, aber dann kurz vor Abschluss von der ÖVP-Seite wieder aus dem Regierungsprogramm herausgestrichen wurde. Mittlerweile waren erste Studienergebnisse im Beirat bekannt geworden.

Lobbying-Schreiben der Pfandgegner vom Dezember 2019 an den damaligen Kanzler und Vize-Kanzler in spe zeigen die Argumente: Viele abfallwirtschaftliche Ziele müssen erreicht werden und das „90-Prozent-Ziel“ soll mit intensiverer Getrenntsammlung und ergänzender Aussortierung aus dem Restmüll umgesetzt werden. Derzeit würden schon 76 Prozent der PET-Getränkeflaschen erfasst. Diese Mengen müssten nur um 10 000 jato gesteigert werden. Das lohne kein Pfand. 

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Die mit Argumentarien hinterlegten Appellschreiben haben bald heftige Kritik hervorgerufen, weil sie sich den Anschein eines „Blicks aufs Ganze“ geben. Tatsächlich lassen sie wesentliche Aspekte unter den Tisch fallen und legen nie ihre Berechnungsgrundlagen offen.

Pfandsystem brächte Vorteile

Das Einwegpfand hat bemerkenswerte Stärken, die ihm als Instrument ein Alleinstellungsmerkmal verleihen. Gleich als erstes ist die besondere Qualität der Sammelware zu nennen, die das Pfand ermöglicht. Rund 90 Prozent der Rücklaufmenge würde über Rückgabe-Automaten laufen, die vorsortieren. Dieses Material ist keineswegs mit dem Output aus dem Gelben Sack vergleichbar, so wie dies die Wirtschaft suggeriert. Dass Akteure, die sich wie ARA der „Kreislaufwirtschaft“ und „Ressourcenschonung“ verschrieben haben, diesen Aspekt „unter den Tisch fallen“ lassen, ist bizarr. So hatte der kürzlich durchgeführte Stakeholderdialog zur Ausrichtung der Verpackungssammlung als erklärtes Ziel eine „hohen Recyclingqualität“. Aus PET-Getränkeflaschen sollen wieder PET-Getränkeflaschen hergestellt werden können. Das ginge mit dem Gelben Sack nicht. Besonders seltsam ist, dass das PET2PET-Projekt, eines der Leuchtturmprojekte der von WKO und ARA unterstützten „Nachhaltigkeitsagenda der Getränkewirtschaft“ sich schon vor Jahren ein  Einwegpfand zunutze gemacht hat, um die nötige Materialqualität für den Wiedereinsatz von PET-Recyclat in PET-Getränkeflaschen sicherstellen zu können. Die sogenannte „PET-1l-Zweiwegflasche“ von Vöslauer wird dazu im Lebensmittelhandel bepfandet verkauft und wieder zurückgenommen, damit sie nicht im „Gelben Sack“ landet. Das ist ein Einwegpfand, wird nur nicht so genannt. Gegen das Gleiche opponiert nun der Handel. Warum soll der innovative Pilot nicht endlich breiter ausgerollt werden? 

Das Argument der besseren Qualität gilt übrigens auch für Aluminiumdosen, die derzeit nur in unzureichender Menge und Qualität erfasst werden.

„Unter den Tisch gekehrt“ wird von den Pfandgegnern auch, wie gut das Einwegpfand die Littering-Problematik löst. Die meisten Einwegpfandsystem in Europa erreichen Rücklaufquoten über 95 Prozent. Auch der verbleibende Rest wird sicher nicht in der Natur gelittert. Denn es findet sich immer wer, der weggeworfene Pfandgebinde aufhebt und zurückbringt. Ohne Pfand lässt sich das nicht sagen, selbst wenn die Getrennterfassungsquote auf 80 Prozent gesteigert würde. Die restlichen 20 Prozent bleiben anfällig für Littering. So ergeben sich alleine für gelitterte Getränkeverpackungen bis zu 40 Mio. EUR Reinigungskosten in Österreich per anno. Das fehlt auch in der Kostenkalkulation der Pfandgegner.

Gerne verweisen Pfandgegner darauf, dass ein Einwegpfand Mehrwegsysteme verschlechtern würde. In der Tat haben Mehrwegbefürworter das früher befürchtet. Aber faktenbasierte Evidenz gibt es dafür bis heute keine. Eher lässt sich aus der aktuellen bundesdeutschen Debatte ableiten, dass das Einwegpfand „gleiche Verkaufsbedingungen“ sichert: Sowohl Einweg als auch Mehrweg wollen ins Geschäft zurückgebracht werden. Der Conveniencevorteil von Einweg ist weg.

Und zuletzt verringert das Einwegpfand deutlich den Druck auf die ohnedies nötige Intensivierung der kommunalen Getrenntsammlungen, um die künftigen Ziele für Siedlungsabfälle wie für Kunststoffverpackungen zu erreichen. Das Vorhaben der Einwegpfandgegner ist dabei doppelt riskant. Denn ob sich schon diese Intensivierung überhaupt umsetzen lässt, ist keineswegs sicher. Denn die Sammlungen im ländlichen Raum erfassen heute schon über 90 Prozent der Kunststoffverpackungen, während die räumlichen Hemmnisse in den urbanen Räumen keineswegs schnelle Erfolge erwarten lassen. 

Vor allem könnte sich das Vorhaben, die für das „90-Prozent-Ziel“ fehlenden Mengen über eine Aussortierung aus dem Restmüll zu erreichen, als EU-rechtlich unzulässig herausstellen. Nur mehr als „Traumschloss“ kann man das Kalkül der Wirtschaft sehen, dass ins Abfallwirtschaftsgesetz eine Verpflichtung der Kommunen aufgenommen wird, die dafür nötigen Anlagen zu errichten und zu finanzieren. Selbst wenn es den Einwegpfandgegnern weiter gelingt, zu verzögern, ist unerfindlich, wie sowas jemals im Nationalrat beschlossen werden sollte.

Kampf um Recyclat

Aber möglichweise ist man sich in den ARA-Gremien schon im Klaren, dass es eine Fehlspekulation war, dass eine Aussortierung aus dem Wiener Restmüll genügt. Und die aktuelle Inszenierung ist nur Vorspiel für den nächsten Akt, wo es um die Kontrolle des Einwegpfandsystems geht. Denn Handelsketten befürworten eine dezentrale Umsetzung wie in Deutschland, wo die Ketten dann Eigentümer der zurückgenommenen Pfandgebinde werden. Im schlimmsten Fall bedeutet das, dass den Abfüllern, die ja eigentlich das Recyclat daraus wiedereinsetzen sollen, diese Mengen entzogen werden. Jedenfalls wird es teurer, wenn marktmächtige Akteure Verfügungsmacht bekommen. Die resultierenden Oligopolrenten verteuern das Recycling. Und schlussendlich müssten das die KonsumentInnen über die Getränkepreise bezahlen. Drum ist es wichtig, dass ein Einwegpfand in Österreich im Wege eines zentralen, unabhängigen Modells umgesetzt wird, in dem der Handel höchstens eine Abgeltung für seinen Aufwand bekommt.