Kontroverse: Ist ein verbindliches Luftreinhalteprogramm nötig?
Pro: Die Gesundheit der Menschen hat Vorrang – auch gegenüber der Landwirtschaft
Österreich muss ab 2019 ein Luftreinhalteprogramm mit konkreten Maßnahmen beschließen, wenn Höchstmengen bei gewissen Luftschadstoffen überschritten werden. So sehen es die NEC-Richtlinie (=EU 2016/2284) und das Emissionsgesetzes-Luft (EG-L) vor. Das ist klarerweise bei Ammoniak der Fall. Seit 2010 dürfen hier nur 66 Kilotonnen emittiert werden, tatsächlich fallen aber 69 Kilotonnen (Stand: 2017) an. Diese müssen 2020 und 2030 auf 62 bzw. 55 Kilotonnen beschränkt werden. Leider hat die Regierung im Juli 2019 nur unverbindliche „Maßnahmenoptionen“ beschlossen.
Zum besseren Verständnis: Ammoniak ist keineswegs nur ein Geruchsproblem, das bei Gülle in der Landwirtschaft entsteht. Vielmehr ist es Vorläufersubstanz von sekundärem Feinstaub und Ozon und schädigt darüber hinaus Grundwasser und Ökosysteme. Ein Drittel der Feinstaubbelastung (PM2,5) in Wien, Linz oder Salzburg hat z.B. darin seine Ursache. Werden aber fachgerechte Maßnahmen (vag. Abdeckung von Güllebecken, verstärkte Weidehaltung und möglichst bodennahe Gülleausbringung) ergriffen und die NEC-Vorgaben erfüllt, würde laut Kommissionsstudie die luftverschmutzungsbedingte Verringerung der Lebenserwartung in Österreich von 7,2 Monaten (2005) auf 3,6 Monate (2030) zurückgehen.
Alle bisher zuständigen NachhaltigkeitsministerInnen in Österreich haben hier auf Druck der Agrarlobby versagt. Die Ausrede, tierfreundliche Laufställe verhinderten die Einhaltung von Ammoniak-Vorgaben, ist fadenscheinig. Knapp zwei Drittel des Ammoniaks entsteht schlicht und einfach bei Vorgängen außerhalb des Stalls. Hier kann also sehr wohl etwas getan werden.
Con: Tierwohlfreundliche Laufstallhaltung darf nicht zulasten der Bauern gehen.
Die Land- und Forstwirtschaft ist zum einen konfrontiert mit sich häufenden Wetterextremen, dem Brexit, EU-Handelsabkommen mit Übersee, wodurch Agrar-Produkte mit niedrigeren Sozial-, Umwelt- und Tierwohlstandards in den europäischen Wirtschaftsraum gelangen. Zum anderen werden EU-Standards in Sachen Biodiversitäts- und Klimaschutz, Wasserschutz und nicht zuletzt Luftreinhaltung sukzessive verschärft.
Nach Einschätzungen von Experten wurde der von der EU für Österreich festgelegte Reduktionswert für Ammoniak als überschießend angesehen. Deshalb sprach sich der damalige BM gegen das Reduktionsziel aus. Nach neuestem Erkenntnisstand des UBA wird die Einhaltung der Ziele für alle Luftschadstoffe bis 2020 und 2030 als erreichbar angesehen, mit Ausnahme von Ammoniak.
Die Gründe für den Anstieg von Ammoniak, trotz sinkender Rinderbestände, liegen in der Ausweitung der Laufstallhaltung und dem größeren Platzangebot der Tiere. Tierwohl-freundliche Laufstallhaltung (70 Prozent der Tiere werden so gehalten) verursacht das Dreifache an Emissionen als die Anbindehaltung. Bis 2030 wird die Zahl der Rinder in Anbindehaltung noch um 25 Prozent abnehmen.
Mit dem nun vorliegenden Luftreinhalteprogramm werden umfassende Reduktionsmaßnahmen durch Investitionen in den Bereichen Stallbau-, Fütterungs-, Entmistungs- und Lüftungstechnik sowie Wirtschaftsdüngerlagerung und -ausbringung getätigt. Eine breitenwirksame Umsetzung bedarf aber geeigneter Rahmenbedingungen, die erst durch die Neuausgestaltung der GAP 2021+ verankert werden können.