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Landwirtschaft: Mittel globaler Macht
Immer wieder entzünden sich an der Nutzung von Pflanzenschutzmitteln heftige Diskussionen über die Umweltauswirkungen der Landwirtschaft. Vor mehreren Jahren mündete die Kontroverse über Atrazin in einem Verbot, weil es eine unkontrollierbare Gefahr für das Grundwasser darstellt. Vor drei Jahren waren es die Insektenvernichtungsmittel aus der Gruppe der Neonikotinoide und die Schäden an Bienenvölkern, die sie verursachen. Kurz darauf folgte die Kontroverse, ob das Unkrautvernichtungsmittel Glyphosat als krebserzeugender Stoff anzusehen sei und daher in der EU keine Zulassung als Pflanzenschutzmittel mehr bekommen dürfte. Sie dauert mit unverminderter Heftigkeit auch heute an.
Diese Debatten über einzelne Wirkstoffe von Pflanzenschutzmitteln sind die Spitze eines Eisbergs. Sie sind Ausdruck des Unbehagens mit einem System der landwirtschaftlichen Produktion, das mit einer immer weiter reichenden Kontrolle über biologische Vorgänge einhergeht und dabei entstehende Schäden vollständig dem Profit unterordnet. Die Spannung wird noch dadurch verstärkt, dass das öffentliche Bild der Landwirtschaft und die Realität immer weiter auseinander klaffen: Auf der einen Seite ein Bauer in Lederhosen, der mit einem Ferkel Konversation betreibt, oder Obsternte wie anno dazumal; auf der anderen Seite: detaillierte Vorschriften über zugelassene Sorten, Vorgaben des Handels über die Produktqualität, immer weniger Arbeitskräfte bei immer höherem Betriebsmitteleinsatz. Und ein komplexes System von Förderungen der landwirtschaftlichen Produktion, die einen wesentlichen Einkommensbestandteil darstellen.
Die Landwirtschaft ist wohl derjenige Sektor, der sich im Verlauf der industriellen Revolution am stärksten veränderte. Das zeigt sich am deutlichsten an der Zahl der Arbeitsplätze: Zu Beginn des 19. Jahrhunderts betrug der Anteil der landwirtschaftlichen Bevölkerung in Deutschland 62 Prozent; heute liegt er bei 1,5 Prozent.
Arbeitserleichterung durch Pflanzenschutzmittel
Eine Vielzahl von Faktoren ermöglichte diese tiefgreifenden Veränderungen. An erster Stelle ist der Einsatz landwirtschaftlicher Maschinen zu nennen, die menschliche und tierische Muskelkraft durch fossile Brennstoffe ersetzten. Daneben spielt die Steigerung der Flächenerträge eine wichtige Rolle. Der Arbeitseinsatz ist in erster Linie proportional zur bearbeiteten Fläche. Daher führt ein höherer Ertrag pro Fläche zu einer Verringerung des Arbeitseinsatzes bezogen auf die Menge des landwirtschaftlichen Produkts. Die teils beachtlichen Ertragssteigerungen der letzten Jahrzehnte sind auf die modernen Betriebsmittel im Pflanzenbau zurückzuführen: Düngemittel, Saatgut und Pflanzenschutzmittel.
Pflanzenschutzmittel – auch als Pestizide bezeichnet – erfüllen dabei vielfältige Funktionen. Die ältesten Wirkstoffe gehören zu den Insektiziden. Sie dienen der Abwehr von Insekten, die sich von der Pflanze ernähren wollen, aber auch dem Schutz der Produkte nach der Ernte. Die eingangs genannten Neonikotinoide gehören zu dieser Gruppe.
In der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts wurden zwei weiter Wirkstoffgruppen immer wichtiger: die Herbizide und die Fungizide. Fungizide dienen der Bekämpfung von Pilzen, die besonders im Gemüse- und Obstbau Schäden verursachen können. Herbizide sind Unkrautbekämpfungsmittel, die zunächst einmal dazu dienen, unerwünschte Konkurrenz am Acker auszuschalten. Atrazin und Glyphosat gehören zu dieser Gruppe. Mittlerweile ist ihr Einsatzspektrum bedeutend weiter und nicht auf die Landwirtschaft beschränkt: Sie dienen dazu, unerwünschte Pflanzen abzutöten, etwa auf Bahndämmen oder auf Straßen. In der Landwirtschaft werden sie auch dazu eingesetzt, bestimmte Pflanzen zu behandeln, um die Ernte zu erleichtern. So lässt sich etwa Baumwolle viel leichter maschinell ernten, wenn das Laub der Pflanze vertrocknet ist – einige Herbizide dienen auch diesem Zweck.
In Österreich veröffentlicht die Statistik Austria jährlich die „Landwirtschaftliche Gesamtrechnung“. Dort werden unter anderem die Vorleistungen der Landwirtschaft aufgeführt, also die Produkte und Dienstleistungen, die Landwirte zukaufen, um damit pflanzliche und tierische Produkte zu erzeugen. Die österreichischen Bauern gaben in den letzten Jahren regelmäßig rund 150 Millionen Euro für Pflanzenschutzmittel aus, 2016 waren es 128 Millionen Euro.
Ein Gespann: GVO und Pflanzenschutzmittel
Weltweit wird mit Pestiziden jährlich ein Umsatz von rund 50 Milliarden Euro erzielt, knapp die Hälfte davon mit Herbiziden. Vor allem außerhalb der EU ist der Einsatz von bestimmten Herbiziden beim Anbau von gentechnisch veränderten Pflanzen von Bedeutung. Gelingt es, eine Nutzpflanze widerstandsfähig gegenüber einem Unkrautvernichtungsmittel zu machen, so vereinfacht dies den Einsatz dieses Mittel gegen die „Unkräuter“, da es ja die Nutzpflanzen nicht schädigt. Diese Widerstandsfähigkeit kann mit herkömmlichen Züchtungsmethoden erzeugt werden oder – heute der gängige Weg – mit gentechnischen Methoden.
In den USA sind nach Angaben des US-Landwirtschaftsministeriums mittlerweile 94 Prozent der angebauten Sojabohnen, 91 Prozent der Baumwolle und 89 Prozent des Mais genetisch verändert. In den meisten Fällen sind diese GVO-Pflanzen sowohl gegen Insekten widerstandsfähig als auch herbizidresistent gemacht.
Die genetische Veränderung zum Schutz vor Insekten bewirkte einen Rückgang beim Einsatz von Insektiziden. Die Herbizidresistenz hat den umgekehrten Effekt: Die verwendete Menge an Herbiziden steigt. Es versteht sich, dass dasjenige Herbizid vermehrt verwendet wird, gegen das die Nutzpflanzen resistent sind. In den allermeisten Fällen handelt es sich um Glyphosat. Sowohl Glyphosat als auch das glyphosatresistente Saatgut stammt vom US-Unternehmen Monsanto.
Nun wehrt sich Monsanto gegen das mögliche Verbot von Glyphosat. Auf den ersten Blick verwundert dies, weil die Patente für Glyphosat mittlerweile ausgelaufen sind und das Unternehmen mit einem Ersatzprodukt vielleicht viel mehr verdienen könnte. Doch gleich wird klar: es geht um das GVO-Saatgut, das ohne Glyphosat wertlos ist. Die aufrechten Patente für das Saatgut sichern die einzigartige Position Monsantos auf diesem Markt und tragen zum Umsatz von 13,5 Milliarden US-Dollar (2016) bei.
Immer weniger immer größere Unternehmen
Wie in vielen High-Tech-Branchen zeigt sich auch bei Pflanzenschutzmitteln und GVO-Saatgut eine Tendenz zur Konzentration: Der deutsche Chemieriese Bayer ist dabei, Monsanto zu kaufen (siehe auch Kurzmeldung „Update Glyphosat“ auf Seite 4). Nach der kürzlich stattgefundenen Fusion von Dow und DuPont und dem Verkauf von Syngenta an ChemChina schrumpft die Zahl der großen Player am Markt weiter. Für die Landwirte bedeutet dies eine immer größere Abhängigkeit von immer weniger Herstellern.
Doch auch für die Zulassung von Pflanzenschutzmitteln hat dies Konsequenzen. Die Frage, ob Glyphosat krebserzeugend ist, kann praktisch nicht mehr neutral diskutiert werden. In einer detaillierten Untersuchung zeigt eine Studie von Global 2000, auf welch vielfältige Weise Monsanto wissenschaftliche Studien finanzierte und veranlasste, die zum Schluss kommen, dass Glyphosat sicher ist. Viele als neutral geltende WissenschaftlerInnen arbeiten an der Beurteilung von Glyphosat mit, aber stehen oder standen in Verbindung zu Monsanto.
Auch an Universitäten kommt die Unabhängigkeit der Forschung immer mehr in Bedrängnis, weil bereitwillig der Forschungsfinanzierung durch Drittmittel – und das heißt: Geld der Industrie – Tür und Tor geöffnet wird. Bald hat der Staat schlicht nicht mehr die Mittel, um auf unabhängige Weise zu beurteilen, ob ein Pflanzenschutzmittel sicher ist. Das Problem der zunehmenden Macht einzelner Unternehmen – gleich, ob es sich um Microsoft, Google oder eben Bayer-Monsanto handelt – ist nicht so sehr der übermäßige Gewinn, den diese als Monopolisten erzielen. Es ist die Umkehrung der Machtverhältnisse: Nicht mehr der Staat kontrolliert die Unternehmen, sondern die Unternehmen den Staat. Das kann für die Interessen der Allgemeinheit nicht gut ausgehen.