Schwerpunkt

Lärmschutz

Verkehrslärmschutz im Dornröschenschlaf

Lärm ist unerwünschter, störender, belästigender Schall. Ruheschutz und die akustische Umgebungsqualität entscheiden über Erholungsmöglichkeit und Wohlfühlen beim Wohnen. Verkehrslärm ist laut der WHO nach der Luftverschmutzung das zweitgrößte Umweltproblem mit Auswirkungen auf die Gesundheit in der EU. Die EuropäerInnen verlieren jedes Jahr mindestens eine Million gesunde 
Lebensjahre durch die Auswirkungen von Umgebungslärm. Verkehrslärmbetroffene sind im Rahmen der Aktionsplanung gemäß der 2002 beschlossenen EU-Umgebungslärmrichtlinie (Environmental Noise Directive – END) im Fünfjahresrhythmus zu erheben. Seit 2009 gibt es so erstmals Daten zur objektiven Lärmbelastung in Österreich. Der Vorteil ist, dass sie örtlich genau auswertbar sind. Gemäß END werden der Tag-Abend-Nacht-Lärmindex Lden („den“ bedeutet day-evening-night, also 6–19, 19–22 und 22–6 Uhr) sowie der Nachtlärmindex (Lnight) erhoben, um die jeweils über ein Jahr gemittelte Lärmbelastung während der Tageszeitabschnitte abzubilden.

Diese physikalischen Größen werden für das hochrangige Straßen- und Schienennetz und Flughäfen sowie für Ballungsräume > 100 000 Einwohner aus dem sogenannten energie-äquivalenten Dauerschallpegel (angegeben in Dezibel – dB) errechnet. Die in der Bundes-Umgebungslärmverordnung festgelegten Schwellenwerte, ab denen Aktionspläne auszuarbeiten sind, sind faktisch dieselben, die auch als Grenzwerte beim Neubau von Verkehrsinfrastruktur und teilweise auch in der Bestandsanierung zur Anwendung gelangen. Im Straßenverkehr sind das 60dB/50dB (Lden/Lnight), im Eisenbahnverkehr 70dB/60dB, im Flugverkehr 65dB/55dB. Wenn nun für 2018 ausgewiesen ist, dass über 2 Mio. Menschen über dem Tag-Abend-Nacht-Schwellenwert für Straßenlärm bzw. über 110.000 Menschen über den Nacht-Schwellenwerten für Schienenlärm wohnen müssen, so sollte das eigentlich Anlass genug für ein engagiertes Vorgehen sein. Ganz zu schweigen davon, dass die derzeitigen Aktionspläne ohnehin nur rund 70% der Verkehrslärmbetroffenen in Österreich ausweisen. Das lässt sich aus den Betroffenenzahlen in der Schweiz ableiten, wo neben der Erhebung gemäß END immer auch eine flächendeckende Erhebung über die ganze Schweiz erfolgt. Doch Lob verdienen nur die unter www.laerminfo.at abrufbaren Lärmkarten, die genau die errechnete Lärmbelastung für eine bestimmte Grundstücksadresse zeigen. Die Aktionspläne hätten darüber hinaus die Aufgabe, diese Lärmbelastung mit den Einwohnerdaten in Beziehung zu setzen. So bekäme man Bereiche, wo besonders viele Menschen betroffen oder Einzelne besonders hohem Lärm ausgesetzt sind, die dann nach einer vorzunehmenden Prioritätenreihung abzuarbeiten wären. Doch wie schon 2009 und 2013 sind auch die 2018 vorgelegten Aktionspläne auffallend inhaltsleer: Keine Betroffenenauswertungen, keine Prioritätensetzungen, keine konkreten Maßnahmen, was das Instrument leerlaufen lässt. Einzig die ASFINAG behauptet über derartige Prioritätenreihungen zu verfügen, doch die sind geheim. Ebenso intransparent ist der Bearbeitungsstand des seit 1991 laufenden Eisenbahnbestandstrecken- Lärmsanierungsprogramms. Dieser betrüblichen Praxis ist anlässlich der Evaluation der END durch die Europäische Kommission das BAK-Positionspapier vom April 2016 nachgegangen und hat gezeigt, dass die Vorgaben der END leider so offen sind, dass Österreich sie umsetzen konnte, ohne irgendetwas am bisherigen Vorgehen in der Bestandsanierung zu ändern. Das heißt nicht, dass Sanierungen nicht stattfinden. Aber die Entscheidungen darüber fallen nicht in der Aktionsplanung, so wie es sein sollte. Sanierungen finden nur nach Maßgabe budgetärer Bedeckung und als Ergebnis politischer, wenig transparenter Absprachen statt. Die Chance, die Aktionspläne auch zur Lärmvorsorge zu nutzen, wurde nicht ergriffen. 

Nicht einmal Aktionspläne 2009 umgesetzt 

2011 hat die BAK den Grundsatzbeschluss „Transparenz, klare Prioritäten und Verbindlichkeit im Verkehrslärmschutz“ gefasst. Anlass waren die inhaltsleeren Aktionspläne 2009 die bis heute nicht umgesetzt wurden. Oft geht es um Verkehrslärmschutzrecht, wenn am UVP-Gesetz oder den Infrastrukturgesetzen gedreht wird. Oft sind die Änderungen anlassgesetzgebungsartig, praktisch ohne echte Diskussion erfolgt. Meist waren es Verschlechterungen. Insofern ist der Beschluss aktueller denn je. Mit der UVP-G-Novelle 2012 – da gab es nur fünf Tage Zeit zur Begutachtung – wollte man nicht nur die Definitionshoheit für den Lärmschutzstandard in die Infrastrukturgesetze zurückholen sondern auch – der Mindeststandardjudikatur der Höchstgerichte die Grundlage entziehen. 

Denn VwGH wie VfGH haben zur Schienenverkehrslärm-Immissionsschutzverordnung (SchIV) die Ansicht vertreten, dass diese nur einen Mindeststandard darstelle, dessen Unterschreitung im Einzelfall geboten sein kann, wenn medizinische Sachverständige dies für notwendig halten. Dass verordnete Grenzwerte nicht absolut gelten, wirkt aufs erste eigentümlich. Die Fallkonstellationen, in denen die Höchstgerichte das festgehalten haben, werfen aber in der Tat die Frage auf, ob die SchIV nicht lückenhaft ist. Man denke nur an Fälle von besonders hohen Pegelzunahmen oder von besonders hohen Maximalpegeln in der Nacht. Doch diesen Fragen wollte das Verkehrsministerium nie nachgehen. Dabei bestehen die gleichen Fragen mittlerweile auch für die Bundesstraßen-Lärmimmissionsschutzverordnung (BStLärmIV) sowie für die Luftverkehr-Lärmimmissionsschutzverordnung (LuLärmIV). Obwohl keines der Infrastrukturgesetze den Schutzstandard definiert, sind auch diese Verordnungen ohne fachöffentliche Debatte erlassen worden. Dabei hätte man übers Konzept und das gebotene Schutzniveau reden müssen. Doch dafür gab es nie Raum. Die Eckpunkte schienen immer schon vor der Begutachtung festzustehen. Zurecht ist öfter der Vorwurf gekommen, dass die Inhaltsleere der Infrastrukturgesetze dem Legalitätsprinzip widerspreche. Der VfGH hat diese Vorwürfe immer vom Tisch gewischt. Andernfalls wäre ja die Politik vor einem Scherbenhaufen gestanden und ein zügiger Abschluss z.B. des Lobautunnel- oder des Dritte-Piste-Verfahrens in weite Ferne gerückt. Man mag es als salomonische Lösung sehen, dass der VfGH im letzten, ablehnenden Dritte-Piste-Beschluss dennoch den Mindeststandard-Charakter der LuLärmIV neuerlich bekräftigt hat. Sollte da nicht auch für das Ministerium klar sein, dass kein Weg mehr an einer inhaltlichen Behandlung vorbeiführt? Es sollte endlich veranlassen, die Entscheidungspraxis von Behörden und Gerichten ergebnisoffen und öffentlich zu evaluieren. Natürlich wäre da zu fragen, wie die Sachverhalte im Lichte eines hohen Schutzniveaus zu lösen wären. Verbesserungsbedarf in den Verordnungen wird sich zeigen. Dazu braucht es noch gar nicht, dass man Tacheles redet, was aus den kürzlich veröffentlichen WHO-Guidelines zu schließen ist. Aber auch das wäre wünschenswert– siehe Artikel hier.

UVP-Verfahren: Viel Können – kein Müssen 

Mehr Selbstbindung braucht es auch für die Bestandsanierungen. Sogar in UVP-Verfahren zu Neubauprojekten wird gestritten, weil es an Regeln für den Betrieb fehlt, wenn eine Straße mal errichtet ist. Regeln gibt es höchstens als Dienstanweisungen. Doch diese lassen vieles offen: Viel Können, praktisch kein Müssen. Die Abwicklung ist privatisiert: Die Errichtung einer Lärmschutzwand an einer Autobahn ist genehmigungsfrei. Wer Schutz beansprucht, muss sich mit dem Betreiber einigen. Blickt man auf Pressemeldungen zu „Schienen-, Autobahnlärm Wörthersee“, „A3 Müllendorf“ oder „A1 Wiener Neustadt“, wird klar, dass es an Regeln für eine Lösung dieser Konflikte fehlt. Alles Verhandlungssache. Dabei geht es als erstes um eine Parteistellung. Betroffene brauchen einen Rechtsrahmen, der sicherstellt, dass Sanierungen stattfinden. Wie in der Schweiz sollte das Ministerium zu periodischen Erhebungen des Sanierungsbedarfs verpflichtet sein und Sanierungen sollen in einem behördlichen Verfahren entschieden werden. Es geht um Schutz von Betroffenen. Das kann man nicht einfach an Betreiber auslagern. Evaluiert gehört auch, wie oft Lärmschutzfensterförderungen gewährt werden. Das ist eine Frage des Gesundheitsschutzes. Und es braucht ein verbindliches Hot-Spot-Sanierungsprogramm für Wohnobjekte, die besonders hohen Belastungen ausgesetzt sind. Die Dienstanweisungen schweigen dazu, obwohl das Bundesstraßengesetz sogar eine Ablöse in solchen Fällen ermöglicht. Doch die ASFINAG hat davon erst einmal Gebrauch gemacht.