Schwerpunkt

Luftverschmutzung

Die Grenzenlosigkeit der Luftverschmutzung

Klimawandel, Feinstaub, bodennahes Ozon, saurer Regen – die physikalischen und chemischen Eigenschaften von Luftschadstoffen, insbesondere deren lange Verweildauer in der Atmosphäre und der damit verbundene Ferntransport über nationale Grenzen, machen lokale oder nationale Alleingänge zu ineffizienten Instrumenten der Klima- und Luftreinhaltepolitik. 

Als klassische Beispiele gelten das Waldsterben in Mitteleuropa und die Versauerung von Seen in Skandinavien. Damals weitgehend unerforscht, bewirkte der Ferntransport von Luftschadstoffen Umweltschäden in entlegenen Gebieten, eine unbeabsichtigte Folge der „Politik hoher Schornsteine“, die in den 1960er Jahren Abhilfe für die chronischen Smogsituationen in Städten (z.B. London) und Industriezonen (Ruhrgebiet) bringen sollte.

Effiziente Verbesserung erwirkte erst internationale Zusammenarbeit über die vorhandenen Länder- und Blockgrenzen hinweg, insbesondere im Rahmen der für diesen Zweck ins Leben gerufenen Genfer Konvention zur grenzüberschreitenden Luftreinhaltung. 

Österreich agierte zu dieser Zeit als internationaler Vorreiter. Strenge Umweltauflagen, verbunden mit verringerter Kohleverbrennung, ließen heimische Emissionen von Schwefeldioxid (SO2), der wichtigsten Vorläufersubstanz des „Sauren Regens“, um mehr als 90 Prozent zurückgehen. Ähnliches wurde auch in anderen europäischen Staaten erreicht, allerdings mit etwas Verzögerung. Das Ausbleiben der von manchen Seiten vorhergesagten Katastrophe des Waldsterbens ist angesichts dieser drastischen Verminderung nicht wirklich verwunderlich, wird aber oft als Argument gegen die Glaubwürdigkeit wissenschaftlicher Abschätzungen von potenziellen Umweltfolgen eines ungehemmten Wachstums angeführt.

Neue Erkenntnisse 

Seither etwas in Vergessenheit geraten, gewinnt der Ferntransport von Luftschadstoffen durch neue medizinische Erkenntnisse, die einen klaren Zusammenhang zwischen Feinstaub und vorzeitigen Todesfällen aufzeigen, wieder hohe Aktualität. Der Anstieg von verschiedenen Erkrankungen der Atmungsorgane durch Luftverschmutzung ist bereits lange anerkannt und gut dokumentiert  (siehe Artikel auf Seite 14). Die Weltgesundheitsorganisation WHO spricht weltweit von ca. sieben bis acht Millionen vorzeitigen Todesfällen aufgrund von Luftverschmutzung. Für die EU schätzt die Europäische Kommission, dass ungefähr zehnmal mehr vorzeitige Todesfälle der Luftverschmutzung zuzuschreiben sind als den Unfällen im Straßenverkehr. Der Löwenteil kann auf Feinstaub (PM2,5) zurückgeführt werden, während die Gesundheitsschäden durch Ozon und Stickoxide (NO2) vergleichsweise geringer eingeschätzt werden.

Globaler Kontext

Im Gegensatz zu den deutlichen Verbesserungen der Luftqualität in Europa, Nordamerika und Japan führt in Entwicklungsländern die rapide Industrialisierung im Zusammenspiel mit ineffizienter Umweltgesetzgebung und schwachen Institutionen zu teilweise dramatischen Zuständen. Von Regierungsseite lange totgeschwiegen, sorgen mittlerweile die extremen Smogepisoden in China, die nicht nur Großstädte betreffen, sondern weite Regionen des Landes einhüllen, für weltweite Schlagzeilen.  Verlässliche Messdaten sind rar, doch erscheint es aufgrund neuester Informationen wahrscheinlich, dass Indien bei der Luftverschmutzung China bald den Rang ablaufen könnte. Effiziente Luftreinhaltung wird oft immer noch als Bedrohung der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung gesehen, obwohl ein nicht unbeträchtlicher Teil der Belastung als Folge der Armut und des mangelnden Zugangs zu sauberen Energieträgern entsteht.

Quellen der Belastung

Feinstaub entsteht bei der Verbrennung von Kohle, Biomasse (Holz), Abfällen und Diesel, sowie durch Materialbearbeitung in manchen Industrie-prozessen (z.B. in der Stahl- und Zementindustrie). Zusätzlich wird aber ein bedeutender Teil des Feinstaubs in der Atmosphäre durch luftchemische Prozesse aus anderen Abgasen gebildet, insbesondere durch Reaktionen von gasförmigen SO2- und NOx-Emissionen mit Ammoniakemissionen (NH3), die vorwiegend aus der landwirtschaftlichen Viehhaltung herrühren. Diese chemischen Prozesse sind seit langem bekannt, und man weiß, dass in Mitteleuropa die Partikelbildung direkt von der Verfügbarkeit von Ammoniak abhängt, weshalb NH3-Emissionen  direkten Einfluss auf die Feinstaubbelastung haben.

Die geringe Größe der Partikel führt dazu, dass solche Teilchen einige Tage in  der Atmosphäre verbleiben, bevor sie wieder am Boden deponiert werden. In dieser Zeit werden sie mit den Luftströmungen verfrachtet, oft 1.000 bis 2.000 km (man erinnere sich an den Transport radioaktiver Partikel nach dem Reaktorunfall von Tschernobyl).  Als direkte Folge dieses Ferntransports tragen bei PM2,5 lokale Emissionen nur einen geringen Teil zur Gesamtbelastung bei, während der überwiegende Teil von weiter entfernten Quellen stammt. 

In österreichischen Städten (siehe Abb. rechts für die Messstelle Wien Rinnböckstraße) entstammen deshalb üblicherweise nur ca. zehn Prozent der Gesamtbelastung aus der jeweiligen Straßenschlucht. Ca. 20 Prozent sind anderen städtischen Emissionen zuzuschreiben, und ca. 20 Prozent werden aus anderen Bundesländern verfrachtet. Ca. 40 Prozent werden aus dem Ausland importiert, während ca. zehn Prozent aus natürlichen Quellen (Saharastaub, Pollen, etc.) herrühren. Beckenlagen und die damit verbundenen Inversionswetterlagen können die Bedeutung lokaler Emissionen etwas erhöhen (siehe Abb. rechts für die Station Graz-Don Bosco).

Messergebnisse erlauben auch, die Beiträge der unterschiedlichen Emissionsquellen – differenziert nach räumlichem Ursprung – zu quantifizieren. Im Gegensatz zum weit verbreiteten Glauben trägt der Verkehrssektor mit seinen Dieselfahrzeugen nur begrenzt zur PM2,5 Belastung in österreichischen Städten bei, selbst innerhalb von Straßenschluchten. Auch Industrie und Kraftwerke liefern aufgrund der bereits durchgeführten Emissionsminderungsmaßnahmen nur noch relativ geringe Beiträge. Im Gegensatz dazu belegen chemische Analysen deutlich, dass auch in Städten ein beträchtlicher Anteil des Feinstaubs von Holzheizungen herrührt, großteils aus dem Umland oder aus den östlichen Nachbarstaaten importiert. Ein weiterer wesentlicher Anteil besteht aus Sekundärpartikel, die sich in der Atmosphäre aus anderen Abgasen bei Vorhandensein von Ammoniak aus der Landwirtschaft bilden. 

Neue Herausforderungen

Der WHO-Grenzwert  für Feinstaub (10 µg/m3 im Jahresmittel) ist in Österreich großflächig bis um das Doppelte  überschritten. Es drohen Vertragsverletzungsverfahren für die Nichteinhaltung der EU-Luftqualitätsgrenzwerte, sowie wegen der Überschreitung der verpflichtenden nationalen Emissionsobergrenzen, die auf eine Limitierung des grenzüberschreitenden Schadstoff-imports abzielen. 

Messdaten zeigen klar auf, dass Entscheidungen auf Städte- und Gemeindeebene (z.B. lokale Verkehrsbeschränkungen) alleine keine nachhaltige Verbesserung bewirken können. Selbst Maßnahmen auf Länder- und Bundesebene (z.B., Emissionsgrenzwerte für Heizungsanlagen) können nur relativ wenig verbessern, wenn sie nicht international koordiniert sind. Effektive und auch ökonomisch effiziente Verbesserungen bedingen internationale Zusammenarbeit, insbesondere auf EU-Ebene. Die EU-Kommission hat einen entsprechenden Vorschlag vorgelegt, der derzeit im EU-Parlament und mit den Mitgliedstaaten verhandelt wird.

Auch im Inland muss sich die Zielrichtung für weitere Maßnahmen ändern. Nachdem die traditionell großen Emissionsquellen (Kraftwerke, Industrie und Verkehr) bereits effiziente Maßnahmen getroffen haben, verbleibt großes Potenzial bei Sektoren, denen die heimische Luftreinhaltepolitik bisher weniger Aufmerksamkeit gewidmet hat: Kleinfeuerungsanlagen für feste Brennstoffe (Holz), sowie die Lagerung und Ausbringung von Gülle bei der Massentierhaltung. In beiden Bereichen sind kosteneffiziente Maßnahmen relativ einfach machbar (z.B. Umstellung auf Pelletsfeuerung, Abdeckung von Güllelagern, bodennahe Ausbringung von Gülle) und werden in anderen EU-Staaten und der Schweiz bereits im großen Stil angewandt. Solche Maßnahmen treffen jedoch nicht immer auf das Wohlwollen der Vertreter heimischer Interessensgruppen.