Schwerpunkt
Luftverschmutzung
EU Luftpaket: Warum bremst Österreich?
Luftverschmutzung kennt keine Grenzen und kann auch nur grenzüberschreitend wirksam bekämpft werden. Diese banale Erkenntnis liegt dem EU-Maßnahmenpaket für eine gesunde Luft zugrunde, das im Dezember 2013 von der Kommission vorgelegt wurde und voraussichtlich 2016 abgeschlossen werden soll. Herzstück ist die novellierte EU-Richtlinie, die allen EU-Mitgliedstaaten Höchstgrenzen für die Emission von Luftschadstoffen (NEC/National Emission Ceilings) auferlegt. Die kommende Richtlinie soll zeitlich gestaffelt für 2020 bzw. 2030 neue Emissionsvorgaben vorschreiben. Dies entspricht auch dem UN/ECE-Übereinkommen über weiträumige grenzüberschreitende Luftverunreinigung, das alle Industrie-staaten in der nördlichen Hemisphäre umfasst und im so genannten Göteborg-Protokoll den 26 Vertragsparteien Emissions-Obergrenzen vorschreibt. Zusätzlich wurden sektorielle Abgasvorschriften (vor allem mittelgroße Verbrennungsanlagen mit einer Feuerungsleistung von 1-50 MW) beschlossen, bzw. sind noch in Ausarbeitung (z.B. für Off-Road-Verbrennungsmotoren).
Konkret geht es um die menschliche Gesundheit und den Schutz der Umwelt vor Luftschadstoffen. Trotz erzielter Reduktionen bei der Luftverschmutzung starben im Jahr 2010 in der EU noch immer rund 400.000 Menschen vorzeitig an Folgen der Luftverschmutzung.
Höchstgrenzen
Mit dem NEC-Vorschlag könnte die durch Luftverschmutzung verringerte Lebenserwartung in der EU von derzeit sechs auf 3,6 Monate im Jahr 2030 gesenkt werden. Daneben würde der Versauerung von Böden und Waldflächen sowie der übermäßigen Anreicherung von Grundwasser mit Nährstoffen (Eutrophierung) Einhalt geboten werden.
Allen Höchstgrenzen für Emissionen liegt eine zentrale Zielsetzung des 7. Umweltaktionsprogramms der EU zugrunde. Luftverschmutzung soll demnach ein Niveau erreichen, das keine unakzeptablen Auswirkungen und Risiken für die menschliche Gesundheit und Umwelt darstellt. Referenz dafür sind die Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO), die Grenzwerte nur nach gesundheitlichen Kriterien definiert und ihre politischen Implikationen sowie technische Machbarkeit ausblendet. In einem ersten Schritt wurde für die Festlegung der NEC-Höchstgrenzen die Emissionsprognose aller EU-Mitgliedstaaten erstellt. Hierin flossen volkswirtschaftliche Annahmen, bereits beschlossene EU-Normen oder technische Standards sowie Synergieeffekte aus Klimaschutzmaßen ein. Darin enthalten sind auch Ausbreitungsbedingungen von Emissionen in Europa. In einem zweiten Schritt wurden die Kosten von Maßnahmen dem monetarisierten Nutzen von Gesundheits- und Landschaftsschutz gegenübergestellt. Durch diese Kosten-Nutzen-Abwägung wurden die Emissionsgrenzen so gesetzt, dass diese nur rund 70 Prozent des technisch Machbaren beinhalten. Eine volle Erfüllung hätte ein exponentielles Ansteigen der Kosten zur Folge gehabt. So liegen dem NEC-Vorschlag für alle 28 EU-Mitgliedstaaten im Jahr 2030 Kosten von jährlich 3,3 Milliarden Euro und ein Nutzen von 40 Milliarden Euro für alle EU-Staaten zugrunde.
Wie schon in der geltenden NEC-Richtlinie werden weiterhin Schwefeldioxid (SO2), Stickstoffoxide (NOx), Ammoniak (NH4) und flüchtige organische Verbindungen außer Methan (NMVOC) geregelt. Künftig soll auch Feinstaub (PM2,5) mit einbezogen werden, da dieser weit verfrachtet wird und Gesundheitsstudien eine Reduzierung nahelegen. Höchst strittig ist Methan (CH4), weil es ohnehin klimapolitisch schon geregelt wird. Wichtig aber ist, dass die seit 2004 hinzugekommenen EU-Mitgliedstaaten vollständig bei der Ausarbeitung der neuen NEC-Richtlinie einbezogen und auch ihre Emissions-Höchstgrenzen ohne Abstriche festgesetzt wurden.
EU-Versagen
Die Verhandlungen zur NEC-RL waren lange Zeit blockiert, weil sektorspezifische EU-Emissionsvorschriften in der Praxis völlig versagten und EU-Mitgliedstaaten daher ihre Emissionen nicht senkten. Fakt ist leider, dass vor allem EU-Abgasvorschriften zu Pkw-Neuwagen (Euro 4, Euro 5 und 6) in den letzten 15 Jahren in Wirklichkeit keine Verbesserungen bei Stickoxiden gebracht haben. Zur Veranschaulichung: Österreich emittierte im Jahr 2010 insgesamt 144.000 Tonnen NOx und überschritt das Höchstziel von 103.000 Tonnen deutlich, weil vor allem die Differenz von Norm- und Realemissionen bei Kfz insgesamt 36.000 Tonnen ausmacht. Dieses Versagen der EU-Regulierung wird in der neuen NEC-Richtlinie insofern legitimiert, als Mitgliedstaaten rechtlich von ihren Emissions-Verpflichtungen „befreit“ werden können, wenn Abgasvorschriften nur auf dem Papier, nicht aber im wirklichen Leben funktionieren. Rechtlich ist dies schlüssig, beim Anspruch auf eine gesunde Luft jedoch ein Armutszeugnis für die EU. Daher sollte auch Österreich trotz seines hohen Diesel-Pkw-Anteils die NOx-Höchstgrenzen bis 2030 erreichen. Dies geht sogar problemlos, wenn dazu andere Vorhaben (z.B. mehr und besserer öffentlicher Verkehr) realisiert werden.
Ammoniak
Eigentliches Problem der Verhandlungen war jedoch Ammoniak (NH3), des fast nur in der Landwirtschaft durch Düngung und Massentierhaltung anfällt. In der Umgebungsluft wandelt es sich in Ammoniumsulfat und -nitrat und bildet sekundären Feinstaub. Ammoniak belastet zudem das Grundwasser und bildet zusammen mit NOx bodennahes Ozon. Die EU-Kommission hat aufgrund ihrer Erhebungen landwirtschaftliche Großbetriebe als Hauptverursacher identifiziert, bei denen effiziente Maßnahmen für eine gesunde Luft ergriffen werden können. Primär geht es um die Abdeckung und bodennahe Ausbringung von Gülle, die bei der Massentierhaltung anfällt. Österreich müsste für die Einhaltung der Emissionshöchstgrenzen bei Ammoniak eigentlich nur Maßnahmen setzen, die nur wenige Agrar-Großbetriebe betreffen. Weil die heimische Politik generell die Landwirtschaft vor jeglichen Auflagen, auch vorsorglich für erheblichen Produktionsausweitungen von Milch und Schweinefleisch in ferner Zukunft, schützt, stimmte Österreich im Dezember 2015 im Verein mit Bulgarien, Dänemark, Polen und Rumänien gegen den NEC-Vorschlag. Die Mehrheit der EU-Mitgliedstaaten hatte dagegen keine Probleme.Hypothek
Ein einmaliger Betriebsunfall des „Umweltmusterlandes Österreich“ ist dies jedoch nicht. Österreich hat auch zuvor auf EU-Ebene gegen das neue Göteborg-Protokoll gestimmt und lehnt bis heute eine Ratifikation ab. Verbindliche Maßnahmen zur Einhaltung der NEC-Emissionshöchstmengen konnte Österreich seit 2003 nie vorlegen. Augenscheinlich ist die Unvereinbarkeit von Umwelt und Landwirtschaft in einem Ministerium, das im Zweifel immer die Landwirtschaftskarte zieht. Bei NOx-Emissionen ist die steuerliche Bevorzugung von Diesel ausschlaggebend, die zu einem hohen Anteil von Diesel-Pkw führte. Diese Hypothek für die österreichische Luftreinhaltung ist auch der Grund, warum Fortschritte bei der internationalen Zusammenarbeit blockiert werden, obwohl es eigentlich mehr durch „importierte“ als durch „hausgemachte“ Luftverschmutzung betroffen ist (siehe Kasten Seite 20, Beispiel Wien-Rinnböckstraße). Hinzu kommt, dass alle EntscheidungsträgerInnen aus freien Stücken längst nicht mehr bereit sind, Verantwortung für konkrete Maßnahmen zu übernehmen. Daran wird auch die neue NEC-Richtlinie nichts ändern, weil die EU-Zielerfüllung erst im Jahr 2030 fällig ist.
In den letzten Jahren hat sich die Luftverschmutzung etwas verringert. Alle Gebiete können die Zahl der EU-rechtlich zulässigen Tagesgrenzwertüberschreitungen bei Feinstaub (PM10) dank günstiger Wetterbedingungen (vor allem warme Winter und weniger Inversionswetterlagen) und erster Erfolge bei Luftreinhalte-Maßnahmen einhalten. Ausnahme ist nur die Stadt Graz, die aufgrund ihrer Beckenlage EU-Vorgaben klar überschreitet, aber von der EU-Kommission einstweilen keine Sanktionen zu fürchten hat.
Umgebungsluft
Symptomatisch für Österreich ist, dass das Immissionsschutzgesetz Luft (IG-L) bei Grenzwerten formal strenger als die EU-Luftqualitätsrichtlinie (RL 2008/50/EU) ist, in der „gelebten Praxis“ jedoch nur EU-Vorgaben ernst genommen werden. Zu den Hauptverursachern von PM10 zählen der Verkehr, der Hausbrand und die Industrie. Beim Verkehr ist ein Großteil auf Diesel-Kfz-Abgase und die Straßenaufwirbelung zurückzuführen, beim Hausbrand sind dies vor allem veraltete Einzelöfen. Um eine Einhaltung der gesetzlichen Grenzwerte „wetterunabhäniger“ oder gar die WHO-Empfehlungen sicherzustellen, bedarf es weiterer Maßnahmen auf allen politischen Handlungsebenen. Ohne EU-Veranlassung ist dies bei Österreich freilich nicht absehbar.