Schwerpunkt

Wachsende Ostregion

Mehr geht nicht – Grenzen des Stadtverkehrs

Österreich ist ein Land mit einer steigenden Bevölkerungszahl. Insbesondere die Ballungsräume weisen dabei ein sehr starkes Wachstum auf. Dabei sticht Wien besonders hervor. Bis 2035 wird Wien um „Graz“, also um 250.000 Personen, wachsen. Gleichermaßen wächst in Wien – wie in den anderen österreichischen Metropolen – das Stadtumland, der sogenannte „Speckgürtel“, dynamisch mit. 

Auf der Seite der Verkehrsabwicklung ist diese dynamische Entwicklung eine besondere Herausforderung. Letztlich sind bereits heute zu Stoßzeiten die Straßenbahnen und Busse sowie die regionalen Pendlerzüge „voll“ und zahlreiche Straßen überlastet. Busse, Straßenbahnen und der Pkw-Verkehr behindern sich in vielen Bereichen gegenseitig. Fußgänger und Radfahrer werden auf die „Restflächen“, die ihnen nach dem zusätzlichen Abzug des Platzbedarfs für den ruhenden Verkehr verbleiben, zurück gedrängt. Der Verkehr ist sowohl bei den lokal verursachten Luftschadstoffen als auch beim Lärm der stärkste Emittent, Grenzwerte, etwa beim Feinstaub (PM10) oder beim Stickstoffdioxyd, werden vielerorts bereits heute überschritten. 

Mit zunehmender Stadtgröße nehmen die Interaktionen innerhalb der Stadt zu. Gleichermaßen nehmen die Interaktionen zwischen der Stadt und ihrem Umland zu. Laut Prognose des Verkehrsministeriums wird die Anzahl der Fahrten der Pkw-NutzerInnen zwischen 2005 und 2025 um 20 bis 32 Prozent steigen, jene der Öffi-FahrerInnen zwischen 13 und 24 Prozent. Auf einigen Grazer Korridoren, wie dem Ost-Korridor nach Weiz, wird eine Verdoppelung der NutzerInnen des öffentlichen Verkehrs angestrebt. Diese prognostizierten Zuwächse zeigen deutlich, dass die Zunahme des Verkehrs in nahezu allen Metropolen mit den derzeitigen Maßnahmen und der derzeitigen Infrastruktur schlicht nicht bewältigbar sein wird. Es können, gerade in der Innenstadt, Verkehrsflächen (für den Pkw) nicht beliebig erweitert werden. Die jetzigen Öffis sind nicht in der Lage, diesen Zuwachs quantitativ und qualitativ zu meistern, schließlich ist bei manch einer Linie die Grenze der Leistungsfähigkeit bereits heute erreicht. 

EU-Ausweg: Marktöffnung?

Die Antwort der EU auf alle Fragen des Verkehrswesens ist zumeist jene, die sich ebendort noch nie bewährt hat: die Marktöffnung. Hintergedanke dabei ist, dass lediglich die Monopolstellung der öffentlichen Verkehrsunternehmen an der derzeitigen Misere im Verkehr schuld sei. Würde man hier mehrere Unternehmen zulassen bzw. würde man hier verpflichtende Ausschreibungen vorsehen, käme es zu einem sprunghaften Qualitätsanstieg, zu exorbitanten Kosteneinsparungen und zu einer wundersamen Vermehrung möglicher Zugtrassen. Zahlreiche Beispiele belegen klar, dass dieser Schluss schlicht falsch ist. Im Gegenteil: Eine Liberalisierung bzw. die zwangsweise Ausschreibung ist verkehrs- und sozialpolitisch ineffizient. So sind die liberalisierten britischen Bahnen die teuersten in ganz Europa, die höchsten Fahrgastzuwächse bzw. den höchsten Schienenverkehrsanteil im Personenverkehr hat man in jenen Ländern, deren Liberalisierung hinterherhinkt, etwa bei den TGV-Verbindungen in Frankreich bzw. in Ungarn. Die zufriedensten Kunden und die effizientesten Bahnen befinden sich in jenem Land, in dem man die Liberalisierung als antiquiertes Relikt belächelt: in der Schweiz. Statt auf Konkurrenz, Lohn- und Sozialdumping setzt man ebendort auf Kooperation und Taktverkehr. 

Öffi-Ausbau notwendig

Als Lösung für den bevorstehenden Verkehrskollaps in den Metropolen bieten sich mehrere Stoßrichtungen an. Auf der einen Seite sind das die Attraktivierung des öffentlichen Verkehrs und das Zurückdrängen der Auswüchse des Pkw-Verkehrs bei gleichzeitiger Zurückgewinnung des öffentlichen Raumes. Der Verkehr in der Stadt ist letztlich nur dann sozial, wenn er ein öffentlicher ist. Auf der anderen Seite ist die Raumordnung gefordert, hier entsprechende Strukturen in den Metropolen und der Region zu schaffen. Die Verknüpfung der städtischen Politik und der Regionalpolitik ist dabei ein unverzichtbarer Bestandteil, insbesondere bei der Sonderstellung der österreichischen Ostregion, wo gleich mehrere Bundesländer mit zum Teil unterschiedlichen Interessenslagen und Bauordnungen betroffen sind. Es gilt Siedlungsformen zu forcieren, die eine vernünftige Erschließung mit dem öffentlichen Verkehr ermöglichen. Ebenso sind Strukturen zu schaffen, die FußgängerInnen und RadfahrerInnen nicht ausschließen. 

Bei der Attraktivierung des rein innerstädtischen Verkehrs gilt es, die allgemein anerkannten „Selbstverständlichkeiten“ umzusetzen: Busspuren, eigene Gleiskörper für Straßenbahnen, Ampelsteuerungen durch die Öffis, Intervallverdichtungen, der Ausbau und die Neuerrichtung von Linien, Fahrgastinformationen und Fahrradabstellflächen in den Stationen. Wichtige und prestigeträchtige Großprojekte bei der Eisenbahn sollen nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch bei den Hauptkunden der Bahn, den täglichen Pendler-Innen, große Änderungen erforderlich sind. Zahlreiche Schnellbahntrassen wiesen schon 2011 eine vollständige Kapazitätsauslastung auf bzw. standen kurz davor. Kurzum, auf diesen Schienenwegen kann keine sinnvolle Intervallverdichtung mehr erfolgen. Dies trifft klassischerweise auf zahlreiche Stadtregionen, etwa in Salzburg, Graz, Wien und Linz zu. Diesem Manko wird zum Teil durch Investitionen entgegengewirkt. Bei zahlreichen Projekten wie der Schleife Ebenfurth, dem Nordast in Salzburg, dem Marchegger Ast, der Wiener Verbindungsbahn und der Attraktivierung der Nordbahn ist aber die Finanzierung nicht sichergestellt. Unklar ist auch, welche Ersatzinfrastrukturen für die völlig ausgelastete Wiener Schnellbahnstammstrecke vorgesehen sind. Ein „Entflechten“ der Verkehre wird nur kurzfristig Abhilfe schaffen. 

Öffentlicher Raum

Durch den Personenzuwachs in den Metropolregionen und der damit einhergehenden Verdichtung werden auch die Ansprüche an den öffentlichen Raum größer. Dieser ist allerdings inhomogen aufgeteilt. Vom öffentlichen Straßenraum beansprucht der Autoverkehr laut Verkehrsclub Österreich rund 80 Prozent und das obwohl nur 29 Prozent der WienerInnen mit dem Auto fahren und 40 Prozent der Haushalte gar kein Auto besitzen. Dadurch entsteht eine enorme Schieflage, insbesondere auch deshalb, da der Straßenverkehr österreichweit die von ihm verursachten Kosten nur zu einem Drittel trägt. Wie eingangs erwähnt, führt eine weitere Unterstützung des Straßenverkehrs sowohl aus gesundheitlicher (Lärm, Schadstoffe, Überhitzung der Stadt durch Versiegelung) als auch aus räumlicher Sicht (Platzbedarf) unweigerlich ins Fiasko. Hinzu kommen soziale Fragen wie die Leistbarkeit eines eigenen Pkw und Ausschluss vom Zugang zum Pkw (körperliche und geistige Eignung). 

Eine nachhaltige Abwicklung des Verkehrs wird zwangsläufig zu Konflikten mit dem Pkw-Verkehr führen. Hier muss letztlich die Politik entscheiden, ob sie einen schrankenlosen, „automobilen“ (Waren-)Verkehr bevorzugt, oder aber ob sie der  Sozial-, Umwelt-, Generationen- und Gesundheitspolitik den Vorrang einräumt.