Schwerpunkt

Klima und Gender

Gender Planning im Kampf gegen die Klimakrise

Die Klimakrise stellt uns vor große Herausforderungen. Es gilt daher, den dringend notwendigen Wandel voranzutreiben, um das noch verbleibende Zeitfenster zur Bekämpfung und Bewältigung der Klimakrise rasch zu nutzen. Ein sozial nachhaltiger, geschlechtersensibler postfossiler Stadtumbau und Neuaufstellung der Mobilität ist als Chance zu begreifen. So wie Ende des 19. Jahrhunderts männliche Ingenieure das Stadtsystem mit technischen Infrastrukturen tiefgreifend umformten, bedarf es heute einer mindestens ebenso radikalen Transformation unserer Städte – mit entsprechender weiblicher Beteiligung.

Männliche Sichtweisen dominierten zu lange

Zwischen Stadtstrukturen, Mobilität und Alltagsqualität besteht eine starke Wechselwirkung. Städte wachsen nicht wie Pflanzen, sie werden von Menschen gemacht. Planung ist ein komplexes Handlungsfeld zwischen marktwirtschaftlichem Handeln und der Vertretung von Gemeinwohlinteressen. Immer wieder müssen in Planungsabläufen Zielkonflikte entschieden werden, das gehört zum „täglichen Brot“ der Planenden und Projektierenden. Städte wurden lange Zeit nur von männlichen Technikern und Architekten gestaltet. Das erzeugte eine einseitige Perspektive, da nur ihre eigenen Alltagserfahrungen eingeflossen sind.

Lange Zeit wurden die Städte vor allem autogerecht gebaut, viel Straßenraum zum Parken privatisiert, während auf den zu schmalen Gehsteigen die Bänke zum Sitzen und Verweilen fehlten. Die Möglichkeit, sich zwischendurch auszurasten, ist aber für Hochbetagte oft eine Mobilitätsvoraussetzung. Und das Alter ist bekanntlich weiblich. Personen, die mit der Haus- und Erziehungsarbeit betraut sind sowie Kinder und Ältere sind stark von der Qualität ihres unmittelbaren Wohnumfeldes abhängig. Fehlende Nahversorgung, der weite Weg zum nächsten Park oder Kinderspielplatz, der gefährliche Schulweg, der Begleitung erfordert, betrifft jene, die Care-Arbeit erledigen, und das sind noch immer weit überproportional Frauen. Oft sind ihre Wege an so genannten Wegeketten gekoppelt: das Kind vom Kindergarten abholen, in die Putzerei und dann weiter in den Supermarkt.

Sie sind stärker betroffen als Männer, wenn Gehwege schlecht beleuchtet sind und nachts lange Umwege notwendig sind, um Angsträumen auszuweichen. Oder auch von Ampelschaltungen, die nicht auf die langsame Gehgeschwindigkeit von Kindern und alten Menschen programmiert sind, sondern einen Sprint über die mehrspurige Straße erzwingen. Oder der Zahl der Bushaltestellen am Stadtrand und der Frage, ob es im Bus überhaupt Platz für Kinderwägen gibt. Die Liste möglicher Alltagsbarrieren ist lang. Aber auch bei Angeboten wie etwa Spielplätzen, die viel stärker an den Spiel- und Bewegungsinteressen von Knaben als von Mädchen orientiert sind, zeigt sich das Ergebnis des männlichen Blicks bei der Planung von Stadträumen. 

Gender Planning 

Gender Planning rückt die Lebensqualität und die Alltagsperspektiven unterschiedlicher Menschen stärker in den Fokus. Der Alltag von Frauen und Männern unterscheidet sich oft in Bezug auf Care-Arbeit, Freizeit- und Bewegungsinteressen oder Verkehrsverhalten. So gehen Frauen viel mehr zu Fuß und benützen häufiger Öffentliche Verkehrsmittel (siehe Grafik rechts) und sind im öffentlichen Raum häufiger Belästigungen und sexuellen Übergriffen ausgesetzt. Gender Planning ist also eine Verräumlichung von Geschlechterpolitik, die sich auch im Stadtbild und in der Stadtstruktur niederschlägt. Gender Planning heißt, sich gezielt in verschiedene Schuhe zu stellen und die soziale Intelligenz der Planung zu schärfen, heißt im Mobilitätsbereich beispielsweise die lang praktizierte Windschutzscheibenperspektive aufzugeben. Durch das Einnehmen der unterschiedlichen Nutzer:innen-Perspektiven kann eine faire Aufteilung der Flächen im Straßenraum erreicht werden. 

Seine Ursprünge hat das Gender Planning Anfang der 1970er Jahre, als sich feministische Plane­rinnen im deutschsprachigen Raum im Zuge der zweiten Frauenbewegung gezielt mit dem Fehlen von Frauenperspektive in der Stadt- und Verkehrs­planung auseinandersetzten. Mit der Institutionalisierung der Frauen- und Gleichstellungspolitik in den 1980er und 1990er Jahren haben sich in vielen Städten Gleichstellungsbeauftragte oder Frauenbüros mit Planungs- und Verkehrsfragen befasst. Sie erreichten unterschiedlich starken Einfluss.

Die Stadt Wien richtete 1992 ein Frauenbüro ein, das sich auch mit Planungsfragen befasste. Ein Pionierprojekt war die Frauen-Werk-Stadt Wien, ein von vier Architektinnen geplante Wohnhausanlage an der Donaufelder Straße. In einem Bauteil finden sich Kinderwagenabstellräume auf jedem Stockwerk. Die gesamte Anlage ist autofrei. Die Straßenbahnhaltestelle ist direkt vor der Tür, der Supermarkt nebenan, Apotheke, praktischer Arzt und Kindergarten sind in der Anlage selbst, die Volksschule ist etwa 300 Meter entfernt. Hier ist die „Stadt der kurzen Wege“ Realität. 1998 wurde in der Stadtbaudirektion mit der Leitstelle Alltagsgerechtes Planen und Bauen eine eigene koordinierende Stelle geschaffen, die über zehn Jahre bestand. 

Dank ihr wurden mit dem Gender-Mainstreaming-Pilotbezirk Mariahilf zum ersten Mal in Wien konsequent in einem vierjährigen Pilotprozess viele kleine Maßnahmen zur Verbesserung für Fußgänger:innen gesetzt, die in Summe zu einer deutlichen Qualitätsverbesserung im Gesamtsystem führten. Die Erfahrung, mit Gender-, Diversitäts- und Inklusionsexpert:innen einen Fairness-Check für den öffentlichen Raum durchzuführen, trägt bis heute Früchte. In den neuen Stadtentwicklungsgebieten, sei es das Sonnwendviertel beim Hauptbahnhof, das ehemalige Nordbahnhofgelände oder die Seestadt Aspern, wird eine autoverkehrsreduzierte Erschließung und ein guter ÖV-Anschluss mitgeplant. Zu Fuß gehen wird attraktiver und das belebt die neuen Viertel.   

Bedeutung der Klimakrise für Gender Planning

So wie der Globale Westen die Klimakrise verursacht hat, ihre Auswirkungen sich aber am dramatischsten im Globalen Süden zeigen, so spielt sie sich im Kleinen auch in unseren Städten ab: zwischen den Geschlechtern, den Altersgruppen, den Gesunden und den Vulnerablen und jenen die Care-Arbeit machen, und jenen, die einen versorgten Alltag haben. Auch wird die Klimakrise durchs Autofahren befeuert, nicht durch die Fußgängerinnen. Anders gesagt: Diejenigen, die die Klimakrise aufgrund ihres Wohlstands und ihres Konsum- und Verkehrsverhaltens viel stärker verursacht haben, spüren beispielsweise Hitzetage viel weniger durch Klimaanlagen, in Haus, Auto und Büro. Solche „Kühlketten“ stehen aber vielen nicht zur Verfügung und sind bei fossiler Energieerzeugung klimaschädlich. 

Bekanntermaßen haben Frauen bereits im Erwerbsalter durch das Lohngefälle und die höhere Teilzeiterwerbstätigkeit wegen unbezahlter Betreuungsleistungen für Angehörige ein geringeres Einkommen und sind armutsgefährdeter als Männer. Im Alter steigt ihre Armutsgefährdung weiter an. Insbesondere unter den Bezieher:innen der Mindestpension ist der Frauenanteil hoch. Frauen verfügen daher über weniger Ressourcen für die Bewältigung der Klimafolgen und sind von Hitzewellen stärker betroffen. Zudem nimmt im Alter die Hitzeempfindlichkeit zu. Frauen stellen die große Mehrheit an Hochbetagten. Geschlechtsspezifische Unterschiede zeigen sich neben der Mobilität, wo der Frauenanteil bei der Nutzung umweltverträglicher Verkehrsmittel deutlich höher ist, beim Wohnen und im Wohnumfeld als zentralem Verrichtungsort der noch immer ungleich verteilten Care-Arbeit. Um die Lebensqualität für alle Stadtbewohner:innen zu verbessern, braucht es daher eine konsequente Einbeziehung der Genderperspektive in die Klimafrage.

Die Anpassung an den Klimawandel stellt Städte und Kommunen vor große Herausforderungen. Genderaspekte sind für eine wirksame Klimapolitik von großer Bedeutung. Die gezielte Reduktion städtischer Hitzeinseln hat eine starke soziale und eine Geschlechter-Dimension. Sei es einerseits aufgrund der stärkeren Betroffenheit, sei es andererseits aufgrund der Bereitsschaft, Veränderungen mitzutragen und positiv zu gestalten: Frauen haben hier viel zu gewinnen. 

Wie muss geschlechtergerechte Planung für den sozialen und ökologischen Umbau aussehen?

Die notwendige Neuorganisation von Wohn-, Arbeits- und Mobilitätsformen erfordert neue postmaterielle Lebensstile sowie kostengünstige und kreative Lösungen, auch im Hinblick auf Material- und Energieaufwand. Um vom reaktiven zum präventiven Handeln zu kommen, braucht es neben dem verstärkten Einsatz des bereits Bewährten auch neue methodische Zugänge, um die zunehmend verschränkten Fragestellungen zu bewältigen. Gender Planning hat hier bereits viele Ansätze geliefert. Aus den laufenden Diskursen lassen sind rasch handfeste, leicht umsetzbare Maßnahmen in allen Bereichen identifizieren, quasi pragmatische Utopien. 

Die Klimawende wird nur mit einer Vielfalt an Akteur:innen und einer breiten Allianz an Unterstützer:innen gelingen. Die ganzheitlichen Umgestaltungen des öffentlichen Raumes und eine nachhaltige Mobilität sind dabei zentral. Frauen, auch Autofahrerinnen, sind eher bereit, dies zu akzeptieren und den Mehrwert eines postfossilen Verkehrssystems zu sehen. Den Verzicht auf Autobesitz erleichtern Carsharing und ausreichend Parkplätze für emissionsfreie Fahrzeuge in Wohn­umfeld und Wohnbau. Eine Neuverteilung der Verkehrsflächen im Straßenraum ist notwendig, um Baumpflanzungen, Entsiegelungen und Begrünungen zu ermöglichen. Gender Planning hat in der Praxis bereits zu vielen Qualitätsverbesserungen und neuen methodischen Zugängen geführt, die es flächendeckend im Neubau und konsequent bei Umgestaltungen umzusetzen gilt. Nur so kann eine sozial gerechte Anpassung an den Klimawandel und die Bekämpfung der Klimakrise gelingen!