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Ökonomie und Biodiversität

Eines vorweg – das Thema „Biodiversität“ sprudelt nur so von Komplexität. Dies beginnt schon beim Begriff selbst: Wird anstatt seiner häufig einfach die Bezeichnung „Artenvielfalt“ wohl als leicht verständliche, greifbare Form verwendet, so beschreibt der Begriff in seiner eigentlichen Bedeutung neben der Vielfalt an tierischen und pflanzlichen Arten auch die Vielfalt an Genen (innerhalb einer Art) sowie die Vielfalt an Ökosystemen. Kurzum: Biodiversität beschreibt das auf der Erde existierende Leben in seiner gesamten Vielfalt – welche jedoch auch einem stetigen natürlichen Wandel unterworfen ist. Nicht weniger komplex wird die Thematik dadurch, dass Biodiversität nicht nur das Ergebnis einer Millionen Jahre währenden Evolution ist, sondern auch schon seit jeher in enger Wechselwirkung mit menschlichen Handlungsformen steht. Viele Folgen unseres Handels zeigen zudem erst Jahrzehnte später ihre Wirkung auf Ökosysteme.

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Die biologische Vielfalt wurde seit Jahrtausenden sowohl durch die menschliche Zivilisation (durch Rodungen, Landwirtschaft, CO2-Emissionen, Siedlung, etc.) geprägt, ermöglichte umgekehrt diese aber überhaupt auch erst: Neben der Bereitstellung von zahlreichen Gütern wie Trinkwasser, Nahrungsmittel, Energieträger, Kleidungsfasern, Baumaterialien oder medizinischer Wirkstoffe können Ökosysteme und ihre Arten ebenso regulierende Funktionen zugunsten unserer Sicherheit haben. So speichern natürliche Lebensgemeinschaften CO2, schützen vor Lawinen und Hochwasser, verhindern Erosion und regulieren das Klima. Und selbst wenn wir Ökosysteme nicht direkt in Anspruch nehmen, können diese dennoch ganz wesentlich unsere Existenz unterstützen. Ein Beispiel hierfür sind die tropischen Regenwälder, welche als grüne Lunge für unseren Planeten dienen. Nicht zuletzt zu erwähnen ist auch die soziale und kulturelle Bedeutung der biologischen Vielfalt, die in einer Eigenschaft von uns Menschen selbst begründet liegt: Wir fühlen uns einfach eher an Orte gezogen, an denen eine große Artenvielfalt herrscht. Einfach ausgedrückt – die bunt blühende Almwiese ist uns doch lieber als das eintönige Grün städtischer Parkanlagen.

Interessensfrage

Im Bewusstsein dieser außerordentlichen Bedeutung von Ökosystemen und ihrer Arten für uns Menschen sehen viele Wissenschaftler den drastisch zugenommen Verlust an Biodiversität als mindestens so bedeutende globale Herausforderung wie den Klimawandel. Als die unmittelbar wichtigsten Einflussgrößen auf die globale Zerstörung und Zerstückelung natürlicher Lebensräume werden meist Landnutzungsänderungen, die (intensive) Landwirtschaft, Klimaveränderung, Gewässerverschmutzung und Neophyten (eingeschleppte Pflanzenarten, welche die ursprüngliche Vegetation verdrängen) genannt. Da es besonders in von Kulturlandschaft geprägten Ländern wie Österreich kaum ein Ökosystem gibt, das nicht schon seit Jahrhunderten von Menschen beeinflusst wird, existieren jedoch unterschiedliche, oft konkurrierende Biodiversitätsauffassungen. Selbst wenn die Sichtweisen sich übereinstimmend an menschlichen Nutzungsbedürfnissen orientieren, besteht so je nach (egoistischer) Interessenslage nach wie vor Uneinigkeit über die Ziele, die mit der Erhaltung von Biodiversität verfolgt werden sollen. 

Biodiversitäts-Konvention

Die Gretchenfrage hierbei lautet daher: Welche biologische Vielfalt soll erhalten werden und woran orientieren sich die Richtwerte für Biodiversität? Dass der Begriff der Biodiversität überhaupt in der interessierten Öffentlichkeit Verbreitung fand, ist zu einem wesentlichen Teil einem internationalen Vertrag auf der historischen Konferenz der Vereinten Nationen in Rio de Janeiro 1992 („Rio-Gipfel“) zu verdanken. Damals wurde als Antwort auf die drastisch zunehmende Zerstörung und Zerstückelung natürlicher Lebensräume die sogenannte Biodiversitäts-Konvention (Convention on Biological Diversity, CBD) ausgehandelt. Es ist das erste internationale Abkommen, das den Schutz der biologischen Vielfalt global und umfassend behandelt. Die drei gleichrangigen Ziele der Konvention sind der Schutz der biologischen Vielfalt, die nachhaltige Nutzung ihrer Bestandteile, sowie die Zugangsregelung und der gerechte Ausgleich von Vorteilen, welche aus der Nutzung genetischer Ressourcen entstehen. Mit 193 Vertragsparteien – darunter 168 Staaten wie Österreich sowie die Europäische Union – ist die Biodiversitäts-Konvention ihre Mitgliedzahlen betreffend zweifelsohne eines der erfolgreichsten internationalen Vertragswerke. Dennoch fristet die UNO-Konvention nach wie vor eher ein Schattendasein, und die alle zwei Jahre stattfindenden Konferenzen der beteiligten Staaten („Conference of the Parties“, COP) werden – im Vergleich zu den Klimakonferenzen – in der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen. Hinzu kommt, dass die Vertragsstaaten zwar völkerrechtlich zur Umsetzung der Konvention verpflichtet sind, jedoch nicht gezwungen. Dementsprechend haben viele Staaten auch nach dreißigjährigem Bestehen der Konvention noch immer keine nationale Biodiversitätsstrategie vorgelegt. Die bei der Konferenz in Johannesburg 2002 gesteckten Ziele, den weltweiten Rückgang der Biodiversität bis zum Jahr 2010 zu stoppen, waren damit quasi von vornherein zum Scheitern verurteilt. Immerhin kann in weiterer Folge dieses Scheitern auch als Weckruf gesehen werden, denn 2010 auf der COP 10 im japanischen Nagoya geschah in einer Reihe von Abkommen dies, woran viele schon gar nicht mehr glauben wollten: Die Vertragsstaaten verabschiedeten unter anderem einen strategischen Plan mit konkreten, verifizierbaren Biodiversitäts-Zielen, den zwanzig sogenannten „Aichi Targets“ (siehe Kasten oben).

Zwei Jahre nach dem Erfolg von Nagoya ging es bei der UNO-Biodiversitätskonferenz in Hyderabad schließlich ans Eingemachte: nämlich um eine ausreichende Finanzierung der Zielerreichung bis 2020. Auf dem Gipfel wurde dabei überdeutlich, dass neoliberale Ideen nun endgültig auch im Naturschutz angekommen sind. 

Big Business

In der lautstarken Beschwörung, angesichts knapper öffentlicher Kassen den Privatsektor verstärkt einzubeziehen, geht es jedoch um nichts weniger, als die Zukunft des Naturschutzes selbst. 

Verstärkte Anstrengungen vonseiten der Staaten oder der internationalen Gemeinschaft, regulativ zum Schutz von seltenen Arten und Ökosystemen einzugreifen, treten dabei häufig in den Hintergrund. Statt mit Einzigartigkeit und Existenzberechtigung von beispielsweise Pandas und Flussdelphinen zu überzeugen, sollen nun nackte „konkrete“ Zahlen dienen. Eine zentrale Grundlage der Debatte war dabei das von den UmweltministerInnen auf dem G8+5 Treffen in Potsdam 2007 initiierte Programm TEEB (The Economies of Ecosystems and Biodiversity), das eine ökonomische Wertung von „Leistungen“ der Natur vornimmt. BefürworterInnen sehen in der fehlenden Einbeziehung von kostenlosen Leistungen der Natur in privatwirtschaftliche und volkswirtschaftliche Rechnungen die Hauptursache für den Verlust an biologischer Vielfalt. In dasselbe Horn bläst auch die Weltbank mit ihrer Initiative WAVES („Wealth Accounting and the Valuation of Ecosystem Services“), welche eine neue volkswirtschaftliche Rechnungsführung unterstützt, die den Wert von Ökosystemdienstleistungen einbezieht. 

Aber wie genau soll der Privatsektor, der bisher Biodiversität meist ignorierte – viel häufiger aber noch von deren Zerstörung profitierte – nun in Form neuer Geschäftsmöglichkeiten mit ins Boot geholt werden? Einen beispielhaften Einblick des Möglichen bietet hierbei Australien, wo es Bauunternehmen in einem Pilotprojekt ermöglicht wurde, ähnlich wie beim CO2-Emissionshandel, sogenannte „Biodiversitäts-Zertifikate“ zu kaufen, um damit negative Auswirkungen von Bauprojekten auf die Biodiversität vor Ort zu „kompensieren“. Gleichzeitig wurde die Möglichkeit geschaffen, solch Zertifikate auch selbst zu generieren, indem man geschädigtes Land woanders „verbessert“. Geht es nach der TEEB-Studie, darf man außerdem beträchtliche Geschäftsmöglichkeiten im Handel mit Umweltzertifikaten dieser Art erwarten. Selbstverständlich werden dann auch neue Dienstleistungen wie Beratung, Vermittlung, oder Fondmanagement nötig. Im durch die Finanzkrise angeschlagenen Bankensektor, wo man eifrig Ausschau nach Innovationen hält, muss dies wie Musik in den Ohren klingen. Statt sich mit strengen Schutzbestimmungen, langen Verfahren und nervigen Regulierungen herumschlagen zu müssen, sollen nun also neue Handelsmöglichkeiten und innovative Finanzinstrumente geschaffen werden.

Kritik

Aber ist es als Grundlage hierfür nun möglich, Biodiversität angesichts ihres stetigen – oft langfristigen – natürlichen sowie unweigerlich menschlich beeinflussten Wandels zu messen, um sie dann auch noch einer Kosten-Nutzenanalyse zu unterziehen? Trotz der verlockenden Möglichkeit, die Bedeutung der Natur in Zahlen plakativ greifbar zu machen, läuft für Kritiker dieser Ansatz nicht zu Unrecht auf eine viel zu enge ökonomische Reduzierung der Bedeutung von Natur und Artenvielfalt hinaus. Aus ihrer Sicht ist es allein unmöglich, die Vielzahl oft unterschiedlich ausgeprägter sozialer und kultureller Bedeutungen von Biodiversität hinreichend darzustellen, geschweige denn zu monetarisieren. Auf Basis unzähliger Forschungsergebnisse müssen wir aber wohl auch gar nicht alles messen, um zu wissen, wie es um Natur und Artenvielfalt steht. Gefragt ist nun vor allem tiefgreifender (politischer) Wille zum Handeln.