Schwerpunkt
Nachhaltiger Wohlstand
Interview mit Halliki Kreinin: Soziale Freiheit ist Teil des Wohlbefindens
Es ist klar, dass das BIP allein kein geeigneter Indikator zur Messung von Wohlstand ist. Warum setzen sich alternative Messmethoden so schwer durch?
Zum Teil liegt es daran, dass das BIP eine einfach zu verstehende Zahl ist. Gesellschaftliches Wohlergehen ist in der Realität schwer zu messen, weil es viele verschiedene Facetten und Elemente hat, die komplexere Ansätze erfordern. Die „Donut“-Ökonomie von Kate Raworth leistet z.B. einen guten Beitrag zur Messung des Wohlbefindens innerhalb planetarer Grenzen. Ein anderer Grund für den „Erfolg“ des BIPs ist wohl auch, dass herrschende Klassen bestens mit dem Wohlstandskonzept leben können, weil hierbei gesellschaftliche Ungleichheiten völlig ausgeblendet werden.
Staaten mit sehr hoher menschlicher Entwicklung (gemessen anhand des HDI) weisen einen großen ökologischen Fußabdruck auf, der Preis von weniger Umweltbelastung scheint ein niedrigerer Lebensstandard zu sein. Wie kommt man aus diesem Dilemma heraus?
Das Dilemma kann empirisch beobachtet werden, ist aber keine Notwendigkeit. Ein Großteil der Emissionen, die durch Konsum und Produktion entstehen, trägt nicht wirklich zur gesellschaftlichen Wohlfahrt bei. Um aus diesem Dilemma herauszukommen, müssen wir das Ziel der Wirtschaft wieder auf Wohlfahrt ausrichten, weg von der Profitmaximierung und dem BIP-Wachstum, das normalerweise nur einigen wenigen zugutekommt. Vorschläge wie eine Arbeitszeitverkürzung und der „consumption corridor“ (ein Verbrauchskorridor mit Mindest- und Höchstniveau) könnten hierbei Orientierung geben. Auch eine Ausrichtung an der Befriedigung von Bedürfnissen sowie die Begrenzung des nicht-nachhaltigen Überkonsums wären erste Schritte.
Wie hängen Wohlstand und soziale Gerechtigkeit zusammen? Welche Strategien braucht es, damit Wohlstand und soziale Gerechtigkeit Hand in Hand gehen?
Soziale Gerechtigkeit und Wohlstand sind sehr eng miteinander verbunden. Wir wissen, dass alle sozialen Schichten in der Gesellschaft davon profitieren, wenn es weniger Ungleichheit gibt. Soziale Ungleichheit wirkt sich auf das Wohlergehen aus.
Schlussendlich: Wie würden Sie Wohlstand definieren?
Eine substanzielle Definition von Wohlstand umfasst mehr als nur die Befriedigung materieller Bedürfnisse, sondern auch Zeit für Kreativität, Zuneigung, Kultur und die Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft. Darüber hinaus glaube ich, dass Polanyis Vorstellung von sozialer Freiheit ein Teil des Wohlbefindens ist: Verantwortung für die Gesellschaft zu übernehmen und als Mitglied der Gesellschaft akzeptiert zu werden, sind Grundbedürfnisse und Teil eines umfassenden Freiheitsverständnisses. Menschen sind soziale Wesen und daher im Kontext ihrer Gesellschaft zu verstehen.