Editorial: Hauptsache gesund
Wenn man in Zeiten der Krise – einer massiven gesundheitlichen und wirtschaftlichen Krise – darüber nachdenkt, was Wohlstand eigentlich ist, kommt vielen ein typisch österreichischer Reflex in den Sinn: Hauptsache g’sund! Ja, die Gesundheit ist ein wesentlicher Faktor. Aber, wenn von einem nachhaltigen Wohlstand die Rede ist, geht es auch um einen fair verteilten materiellen Wohlstand, um gute Arbeit, hohe Lebensqualität, eine intakte Umwelt und wirtschaftliche Stabilität. Trotzdem wird gerade jetzt vor allem die Gesundheit der Wirtschaft beschworen und nach staatlichen Rettungsmaßnahmen gerufen. Der Staat ist plötzlich wieder en vogue. Ähnlich wie nach der Finanzkrise 2007, als statt der segensreichen Marktkräfte der Staat zur Bankenrettung einspringen sollte. Damals währte das Umdenken nur kurz, die Wirtschaftsliberalen und ihre Forderungen nach einem schlanken Staat, dem Abbau der Schulden zulasten der Sozialbudgets und der steuerlichen Entlastung der (Finanz)Wirtschaft beherrschten rasch wieder die Agenda.
Die Klimakrise, die durch den ersten weltweit organisierten Klimastreik 2019 endlich die nötige Aufmerksamkeit erhielt, bewirkte sichtbare politische Änderungen. Die neue EU-Kommission unter Ursula von der Leyen macht mit dem europäischen Green Deal und sehr ambitionierten Klimazielen klare Vorgaben, die die Wirtschaft und das Leben in Europa nachhaltig verändern sollen.
Die COVID-Pandemie stellt nun alles auf den Kopf, Gesundheit und Beschäftigung und das Überleben der Betriebe in der Krise rücken in den Mittelpunkt. Wenn wir jetzt über nachhaltigen Wohlstand für alle sprechen, wie im aktuellen Schwerpunkt, ist auch für unverbesserliche Wachstumsfetischisten leichter verständlich, worum es geht. Es wird klar, dass wir nur mit einem soliden Sozial- und Wohlfahrtsstaat, mit einer gerechten Verteilung der Lasten und einer breit angelegten Arbeitsmarkt- und Beschäftigungsoffensive sowie einem stabilen öffentlichen Sektor die Krise überwinden können. Wenn wir dabei auch die Bekämpfung der Klimakrise im Auge haben, dann haben wir eine Chance, nachhaltig gesund – im weiteren Sinn – zu bleiben.