Schwerpunkt
Nachhaltiger Wohlstand
Corona und Klima: Es wird eng in den Städten
Es lebt sich gut in Österreichs Städten. Das zeigen sowohl internationale Vergleiche als auch die Befragungen bei den Bewohner*innen selbst. 92 Prozent der Linzer*innen, 91 Prozent der Wiener*innen, 90 Prozent der Grazer*innen usw. wohnen gerne oder sehr gerne in ihren Agglomerationen. Natürlich hängt das Wohlfühlen im Allgemeinen von vielen, vor allem persönlichen Faktoren wie Einkommen, Jobzufriedenheit, Alter und Gesundheit ab, aber eben nicht nur. Einfluss haben weitere, sogenannte „weiche“ Faktoren die maßgeblich zu den hohen Beliebtheitswerten der Städte beitragen. Das sind vor allem faire und ausgeglichene Zugangsmöglichkeiten zu Bildung, Wohnen, Versorgung, Mobilität und Freizeit – also Faktoren, die die Kommunen auf lokaler Ebene selbst steuern können.
Dabei sorgt die Struktur in der Stadt mit einer dichten Bebauung und einer hohen Einwohner*innenzahl fast „automatisch“ für gute Versorgungsgrade, etwa bei Kultur-, Gesundheits- und Bildungseinrichtungen. Fast ebenso „automatisch“ bringt die selbe Stadtstruktur zahlreiche Nutzungskonflikte mit sich. Das trifft insbesondere auf den öffentlichen Raum zu. Hier überlagern sich viele, oft nicht miteinander kompatible Interessen. Das führt zu – sehr emotionalen – Verteilungsdiskussionen, wie etwa beim Radfahrverbot auf der Innsbrucker Maria-Theresienstraße, der Begegnungszone auf der Wiener Mariahilfer Straße oder beim Errichten von 10 Fahrradabstellplätzen statt eines einzelnen Parkplatzes.
Raum unter Druck
Die Politik ist mit dem Dilemma konfrontiert, entscheiden zu müssen, welche Wünsche auf dem beschränkten öffentlichen Raum befriedigt werden und welche nicht. Ein Dilemma, das sich wegen des Städtewachstums, des Klimawandels und der Corona-Krise noch weiter zuspitzt. So haben die Städte immer mehr Einwohner*innen, das bedeutet mehr Menschen in Parks, auf Spielplätzen sowie auf Straßen, Rad- und Fußwegen. Aufgrund der Pandemie-Beschränkungen (Lockdown, Reisebeschränkungen, Verbot von Events usw.) ist ein Rückbesinnen auf die Qualitäten des direkten Wohnumfeldes festzustellen. Diese Anpassung erfolgt weitaus schneller als gedacht und der öffentliche Raum wird zusehends – ob nun in Parks, auf der „Gstettn“ oder auf den Gehsteigen – zur notwendigen Ergänzung des Wohnraumes. Besonders rasch haben dabei jene gehandelt, die vom Lockdown wegen fehlender mondäner Zweitwohnsitze, zu kleinen Wohnungen oder geschlossener Jugend- und Eventlocations besonders betroffen waren. Gerade Ärmere und Jüngere haben die Aktivitäten nach draußen verlagert und es entstanden in der Öffentlichkeit neue Zentren. Gepaart mit notwendigen Maßnahmen zur Klimaanpassung (Entsiegelung, Baumpflanzungen als wirksamste Maßnahme gegen die Überhitzung der Stadt, Versickerungsbereiche usw.) sorgt die COVID-Krise also für die Notwendigkeit den Raum neu aufzuteilen.
Das Dilemma der Politik verschärft sich zwar zusehends, bietet dabei aber zeitgleich die Chance es aufzulösen, denn die Handlungsnotwendigkeiten werden die Laissez-Faire-Politik der letzten Jahre in jedem Fall verdrängen. Dabei bedarf es natürlich unterschiedlicher lokaler Akzente im öffentlichen Raum und die dichten Bereiche der Kernstädte benötigen andere Maßnahmen als die Außenbezirke oder das Stadtumland. Flexibilität in der Nutzung, Konsumfreiheit, faire Verteilung und Zugänglichkeit für alle müssen dabei aber stets in den Vordergrund gestellt werden. Je vielfältiger der Platz für jede/jeden ist, desto eher kann er als das Bindeglied der urbanen Gesellschaft dienen.
Wohnwunder unter Druck
Entscheidend ist allerdings nicht nur der öffentlich Raum, sondern auch die Gestaltung der Wohnungen und der Gebäude. Leistbarer Wohnraum wird immer rarer und für viele zur Existenzfrage. EU-weit sind in keinem anderen Land die Preise für Wohnen zwischen 2007 und 2019 stärker gestiegen als in Österreich. So wurden laut Eurostat zwischen 2005 und 2017 die Eigentumswohnungen um 78 Prozent und die Mietwohnungen um 48 Prozent teurer. In den Ballungsräumen waren die Steigerungen noch ausgeprägter. Die Preise sind damit deutlich stärker als die Einkommen gestiegen. Entsprechend hoch ist der Druck auf Boden- und Immobilienpreise. Diese klettern, angetrieben von Verknappung und Spekulation, in astronomische Höhen und schließen den sozialen Wohnbau von künftigen Projekten immer weiter aus. Sie erhöhen auch den Druck, jeden Quadratmeter gewinnbringend verwerten zu müssen, oft zu Lasten der entsprechenden Freiflächen. „Luft, Licht, Sonne“, das Motto des Gemeindebaus in der Zwischenkriegszeit, welches etwa den Mythos des Wiener Wohnwunders mitbegründete, muss unter den derzeitigen Rahmenbedingungen ins Hintertreffen geraten. Hier ist eine Trendumkehr durch Widmungen („geförderter Wohnbau“), Vorantreiben der Grundstücksverfügbarkeit, Bekämpfung der Spekulation usw. dringend erforderlich. Letztlich garantiert ausschließlich der geförderte Wohnbau die Leistbarkeit des Wohnens und ein neues Wohnwunder.
Autos unter Druck
Bei einer Neuaufteilung des öffentlichen Raums für alle, spielt Mobilität eine große Rolle. Derzeit wird den Autos auf den Verkehrsflächen am meisten Platz eingeräumt, obwohl der Großteil der Menschen in Städten gar nicht mit dem Auto unterwegs ist.
Personen mit höherem Einkommen nutzen das Auto für tägliche Wege am häufigsten. Das spiegelt sich auch in Zahlen zu Mobilitätskosten und Autobesitz wider. Fast die Hälfte des untersten Einkommensviertels besitzt in Österreich kein Auto und gibt pro Person und Monat deshalb nur 60 Prozent der durchschnittlichen Mobilitätskosten aus. Je höher das Einkommen pro Haushalt, desto höher die Intensität der Autonutzung. Demzufolge ist der CO2-Ausstoß des reichsten Einkommenszehntels durch Autonutzung sieben Mal höher, als der des ärmsten Einkommenszehntels.
Wenn nun Städte „um das Auto herum“ gebaut werden, der Straßenraum vorrangig dem motorisierten Individualverkehr gehört und ein großer Teil des öffentlichen Raums als Pkw-Abstellplatz dient, wird der Autoverkehr vor allem zu Gunsten höherer Einkommen gefördert. Dazu kommt, dass Personen mit niedrigem Einkommen am stärksten Abgasen und Lärm des Kfz-Verkehrs ausgesetzt sind, da günstige Wohnungen in den Ballungsräumen sehr oft an viel befahrenen Straßen liegen.
Um dieses Ungleichgewicht beseitigen zu können, sind konkrete Maßnahmen notwendig. Ein Ausbau der öffentlichen Verkehrsangebote sowie der Ausbau der Fußwege- und Radinfrastruktur als klimaverträgliche Mobilitätsformen sind unumgänglich. Dazu muss der Schwerpunkt im städtischen Straßenraum bei der Ausgestaltung auf Umweltverbund und Aufenthaltsqualitäten liegen. So kann einerseits allen Verkehrsteilnehmer*innen eine gleichberechtigte Teilhabe im Verkehrssystem ermöglicht und andererseits eine Verlagerung hin zu nachhaltiger Mobilität erreicht werden.
Ein Blick in die Regionen
Mit ihrer kompakten Siedlungsstruktur haben Städte eine bessere Ausgangslage für ein dichtes öffentliches Verkehrsangebot als Regionen. Trotzdem ist auch in den Regionen der Ausbau des öffentlichen Verkehrsnetzes entscheidend, um Mobilität für alle sicherzustellen und leistbar zu machen. Gerade Regionen rund um Städte weisen mit einer hohen Anzahl an Arbeitspendelnden starke Mobilitätsverflechtungen auf. Steht für den Arbeitsweg eine öffentliche Verkehrsanbindung zur Verfügung, kostet diese dem Pendelnden im Vergleich zum Auto nur einen Bruchteil. Zum Beispiel betragen die gesamten Pendelkosten in Niederösterreich für zwanzig Kilometer pro Arbeitsweg mit dem Auto 447 Euro im Monat und mit den öffentlichen Verkehrsmitteln 65 Euro. Wie in der Stadt, ist es auch in den Regionen erforderlich, dass sich Verkehrsstrukturen nicht mehr ausschließlich am Auto orientieren, öffentliche Verbindungen weiter ausgebaut werden und damit allen Menschen Zugang zu leistbarer und klimaschonender Mobilität garantiert wird.
Lebenswerte Stadt für alle
Für die Städte gibt es viele Aufgaben zu erledigen, um für einen verträglichen Verkehr und den notwendigen fair verteilten öffentlichen Raum zu sorgen. Dabei ist die Option „nichts zu tun“ die schlechteste Alternative. Lebendige städtische Räume, die zum Austausch und zur Kommunikation einladen, entstehen nicht von selbst und schon gar nicht im freien Spiel der Marktkräfte. Entscheidend sind die Zugänglichkeit und die Qualität des öffentlichen Raumes und diese müssen, mutig und verbindend, von der lokalen Politik gestaltet werden.