Schwerpunkt

Nachhaltiger Wohlstand

Soziale Aspekte des Wohlstands

Auf die Frage „Wie geht’s Österreich?“ wird schnell mit Standard-Kennzahlen rund um die Wirtschaftsleistung (BIP) geantwortet. Zentrale Aspekte wie Verteilung des Wohlstands, gute Arbeitsbedingungen, Zugang zum Bildungs- und Gesundheitswesen, das Verhältnis von bezahlter und unbezahlter Arbeit, Gleichstellung oder eine intakte Umwelt, die maßgeblich zu einer hohen Lebensqualität beitragen, werden schnell außer Acht gelassen. Der Wohlstandsbericht der Arbeiterkammer greift diese Dimensionen auf und beleuchtet ganz bewusst auch zentrale Elemente der Arbeitswelt und des Alltagslebens. 

Sozialstaat als Voraussetzung für Lebensqualität

Das hohe Wohlstandsniveau in Österreich beruht vor allem auf einem gut ausgebauten und krisenfesten Sozialstaat: wirtschaftliche Stabilität, hohe Arbeitsproduktivität, hohe real verfügbare Einkommen und hohe physische Sicherheit. Auch beim Wohnen setzt Österreich mit dem sozialen Wohnbau international Standards. Im europäischen Vergleich ist das Armutsrisiko gering, Beschäftigung und Forschungsausgaben sind hoch, der öffentliche Verkehr ist gut ausgebaut, die Luft wenig feinstaubbelastet und die Mitbestimmung auf unterschiedlichen Ebenen etabliert. All diese Aspekte tragen maßgeblich zu einer hohen Lebensqualität und zum Wohlstand einer Gesellschaft bei. 

COVID-19 führt jedoch zu einem erheblichen Rückschlag für die nachhaltige Entwicklung von Wohlstand und Wohlergehen. Menschen, die schon vor der Krise zu vulnerablen und strukturell benachteiligten Bevölkerungsgruppen gezählt haben – Frauen, Jugendliche, Geringqualifizierte, Ältere – sind besonders von den sozialen und wirtschaftlichen Folgen der Krise betroffen. Drohende und reale Einkommensverluste, Arbeitslosigkeit, die Angst vor Armut und Ausgrenzung sowie Gesundheitsrisiken am Arbeitsplatz wirken sich negativ auf das Wohlbefinden aus.  

Arbeiten muss ein gutes Leben ermöglichen

Wenn der Arbeitsmarkt im Lot ist, dann ist vieles leichter. Der Großteil der Menschen verdient über Arbeit das nötige Geld, um sich und allen Angehörigen ein gutes Leben zu ermöglichen. Gleichzeitig bilden die täglichen Sozialkontakte in der Arbeit eine wichtige Form der gesellschaftlichen Teilhabe. Die durch die Krise entstandenen historischen Einschnitte am Arbeitsmarkt werden aber noch Jahre zu spüren sein: Im Frühjahr 2020 kam es zum stärksten Beschäftigungseinbruch seit 70 Jahren, die Arbeitslosigkeit stieg rasant und für rund 40 Prozent der unselbstständig Beschäftigten wurde Kurzarbeit angemeldet. Für ein Land, das beispielsweise vor der Finanz- und Wirtschaftskrise (2008) rund 200.000 Arbeitslose auswies, sind Arbeitsuchende jenseits der 400.000- oder 500.000-Marke bisher fast denkunmöglich gewesen. Jetzt sind sie Realität und für viele wird Langzeitarbeitslosigkeit die Folge sein – wenn nicht aktiv gegengesteuert wird. Ohne adäquaten Einkommensersatz – z.B. einer Nettoersatzrate von 70 Prozent – wird auch die Armutsfalle gnadenlos zuschlagen.

Auch inmitten der Pandemie gilt es als gängiges Credo, möglichst schnell wieder eine Arbeit zu finden. Das bedeutet jedoch nicht, dass jeder „Statuswechsel“ aus der Arbeitslosigkeit in jede Art von Beschäftigung begrüßenswert ist. Gute Arbeitsbedingungen und die Qualität der Arbeit sollten stärker im Fokus stehen. Insbesondere das Thema Gesundheit am Arbeitsplatz ist von zentraler Bedeutung: So konnten sich bisher nur sechs von zehn Beschäftigten gesundheitlich vorstellen, bis zum Pensionsantritt in ihrem aktuellen Beruf zu bleiben. Auch unvergütete Mehr-und Überstunden – in Österreich waren 2019 fast 40 Millionen Arbeitsstunden ohne adäquate Gegenleistung – sind eine ungedankte Belastung für die Gesundheit. Innovative Formen von Arbeitszeitverkürzung könnten insgesamt dazu beitragen, den materiellen Wohlstand auch in Zeitwohlstand umzuwandeln und bezahlte Arbeit gerechter zu verteilen. 

Die Armut wird steigen!

Die COVID-19 Pandemie trifft gerade diejenigen hart, die schon vor der Krise zu benachteiligen Gruppen gehörten und nun wegen Erwerbslosigkeit oder Stundenkürzungen mit noch weniger Geld auskommen müssen. Aufgrund der – auch im europäischen Vergleich – niedrigen Nettoersatzrate von 55 Prozent sind vor allem auch Arbeitssuchende und Langzeitbeschäftigungslose sowie Arbeitnehmer*innen im Niedriglohnsektor, deren Einkommen trotz Erwerbstätigkeit oft unter der Armutsgefährdungsschwelle liegt, einem höheren Armutsrisiko ausgesetzt. In Österreich galten bisher rund 16,9 Prozent der Bevölkerung als armuts- und ausgrenzungsgefährdet. International steht Österreich damit zwar sehr gut da, was vor allem auch an den Leistungen, die der Sozialstaat bereitstellt, liegt. Aber eins scheint klar zu sein: die Armut wird weiter steigen!

Soziale und „grüne“ Investitionen notwendig

Um die hohe Lebensqualität für möglichst viele Menschen – auch in Zeiten der Krise – zu sichern, braucht es effiziente und unmittelbare Beschäftigungs- und Qualifizierungsmaßnahmen. Diese müssen sich an den sogenannten 3 „D“s – Demografie, Digitalisierung und Dekarbonisierung – orientieren.

Damit sind Umschulungen für den Gesundheits- oder Pflegebereich, aber auch Bildungsangebote für Zukunftsbranchen – etwa im Bereich der Digitalisierung – bis hin zu gemeinnütziger Beschäftigung nach dem Vorbild der „Aktion 20.000“ gemeint.

Im Sinne der notwendigen sozial-ökologischen Transformation („just transition“) spielen auch Investitionen in umweltfreundliche Technologien eine zentrale Rolle. Der Schwerpunkt dieser Investitionen sollte auf Klimaschutz und zentralen Bereichen der Alltagsökonomie liegen, also insbesondere auf den Themenfeldern Wohnen, Gesundheit und Pflege, Aus- und Weiterbildung und Kinderbetreuung sowie öffentlicher Verkehr und aktive Mobilität. Dabei handelt es sich um Bereiche, deren Systemrelevanz in der COVID-19-Krise offensichtlich wurde, die aber auch abseits von Krisen wesentlich zur Lebensqualität beitragen und die rasch und effizient zur Sicherung und Schaffung von Arbeitsplätzen und regionaler Wertschöpfung genutzt werden können.

Welche Gesellschaft wollen wir?

Wir stehen vor heftigen gesellschaftlichen Auseinandersetzungen um die Verteilung der Lasten der COVID-19-Krise. Sollen tatsächlich Arbeitslose, kleine Selbstständige, Frauen, Kinder und Jugendliche die Hauptlast tragen oder gelingt es der Gesellschaft, soziale Gruppen mit größeren finanziellen Möglichkeiten in steuerliche Verantwortung zu bringen?

Um die anstehenden Herausforderungen in Bereichen wie Beschäftigung und Arbeitsmarkt, aber auch im Klimaschutz erfolgreich zu meistern, braucht es einen Dialog auf Augenhöhe zwischen zentralen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Akteur*innen sowie umfassende Solidarität: zwischen wirtschaftlich Starken und Schwachen, Gesunden und Kranken, Beschäftigten und Arbeitslosen, Jungen und Alten, Frauen und Männern, im Sozialstaat, aber auch über die nationalen Grenzen hinaus, mit den gesundheitlich am schwersten betroffenen Regionen der Welt ebenso wie mit den vergessenen Geflüchteten.