Editorial: Lärmschutz verschlafen
Während die Menschen entlang der großen Verkehrsadern wegen des Lärms oft nur schlecht schlafen und damit Gesundheitsgefahren ausgesetzt sind, schlummert die Politik im Bereich des Lärmschutzes seit Jahrzehnten im Tiefschlaf. Zwar wird alle fünf Jahre – zuletzt 2018 – der Zustand der Lärmbelastung erhoben und ein neuer Lärmaktionsplan veröffentlicht. Es werden in den Plänen auch Maßnahmen genannt und es werden entlang von Schienen und Straßen Lärmschutzwände und -fenster errichtet. Aber ein echtes System, ein klarer Plan mit Prioritäten, der publiziert und öffentlich zur Diskussion gestellt wird, existiert nicht. Vor allem wenn es um die rechtlichen Grundlagen in den Verkehrsgesetzen und die Rechte der Bevölkerung geht, tut sich kaum etwas. Das muss nicht so sein, wie das Beispiel der Schweiz zeigt. Dort gibt es klare Regeln für den Lärmschutz und auch die Finanzierung ist weitgehend geklärt. In der Schweiz sind der Schutzanspruch der Bevölkerung, die Pflicht zur Vorsorge durch den Bund und die Kostentragung durch die Verursacher in der Verfassung verankert. Das ist eine brauchbare Basis, auf der dann auch klare Regeln für den Neubau und die Sanierung der bestehenden Verkehrswege aufbauen. Auch was die Rechte der BürgerInnen betrifft, geht die Schweiz andere Wege. Dort können Lärmbetroffene Schutzmaßnahmen bei Grenzwertüberschreitungen sogar vor Gericht einfordern. Österreich ist – leider – anders: Bei uns wurde erst vor wenigen Jahren gesetzlich verankert, dass Gebäude deren AnrainerInnen bei der Neuerrichtung von Straßen – aus welchen Gründen auch immer – dem Einbau von Lärmschutzfenstern nicht zustimmen, als saniert gelten. Wir leben also in einer Welt der Schutzfiktion statt in einer Welt des Lärmschutzes. Seit kurzem gibt es neue Erkenntnisse der Weltgesundheitsorganisation WHO, die zu neuen Richtlinienwerten für den Lärmschutz geführt haben. Vor allem die negativen Gesundheitsfolgen von Schlafstörungen durch Verkehrslärm sind Anlass genug zum Überdenken der Schwellenwerte und des Lärmschutzregimes in Österreich. Aufwachen ist angesagt!