Interview: Soziale Ökologie: Missing Link zur nachhaltigen Entwicklung

Wie sind Sie als Makroökonom zu dieser Spezialisierung gekommen?

Laurent: Ich wurde zwar als Makroökonom ausgebildet, habe aber bald festgestellt, dass die gesamtwirtschaftlichen Zusammenhänge nicht nur vielfältigen Grenzen unterliegen, die die Biosphäre der Menschheit auferlegt, sondern von diesen zunehmend bestimmt werden. Wenn ich heute in meinen Lehrveranstaltungen an der Stanford University (USA) und am Institut d’études politiques de Paris („Sciences Po“) die neuen Wohlstands- und Nachhaltigkeitsindikatoren als zentralen Wissensbestand der Ökonomie vermittle, sollen die Studierenden verstehen, dass das Streben nach hohen Wachstumsraten bestenfalls ein Zwischenziel ist. Das primäre Ziel ist die Steigerung von Wohlstand und Lebensqualität im Rahmen zunehmend engerer ökologischer Grenzen. Aus dieser Perspektive ist daher ein tieferes Verständnis für die Beziehungen zwischen Nachhaltigkeit und Gerechtigkeit essenziell.

Wo liegen die Zusammenhänge zwischen sozialer Ungleichheit und Umweltproblemen?

Laurent: Der sozial-ökologische Ansatz, an dem ich die letzten sieben Jahre gearbeitet habe, berücksichtigt die wechselseitigen Beziehungen zwischen sozialen Fragen und Umweltfragen. Es wird also nicht nur aufgezeigt, wie soziale Dynamiken Umweltschäden und -krisen hervorrufen, sondern es werden auch die Rückwirkungen von Umweltschäden auf soziale Ungleichheit untersucht. Die erste Kausalität, die von sozialer Ungleichheit zu Verschlechterungen der Umweltqualität führt, bezeichne ich als „Integrative Social-Ecology“. Dieses Konzept verdeutlicht, dass der relative Abstand zwischen Reichen und Armen und die Beziehungen, die zwischen diesen bestehen, auch zu einer Verschlechterung der Umweltqualität und zu ökologischen Krisen führen können, von denen schließlich alle Mitglieder der betrachteten Gemeinschaft – egal ob lokal oder global – betroffen sind. Die zweite Kausalität, die von der ökologischen Krise zu sozialer Ungleichheit weist, nenne ich „Differential Social-Ecology“. Sie legt offen, dass die spezifischen sozialen Auswirkungen der ökologischen Krise grundlegend vom sozioökonomischen Status von Individuen und Gruppen abhängen.

Sehen Sie im Forschungskontext einen neuen Schwung für eine stärkere Integration der sozialen und ökologischen Frage?

Laurent: Es gibt in den letzten Jahren großes Interesse und auch Fortschritte, der jüngste Bericht des IPCC („Intergovernmental Panel on Climate Change“, oft auch Weltklimarat genannt, Anmerkung der Redaktion) widmet beispielsweise den Beziehungen zwischen Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit ein ganzes Kapitel.

Wo sehen Sie politische und institutionelle Barrieren, die in Europa im Sinne einer sozial-ökologischen Entwicklung überwunden werden müssen?

Laurent: Letztendlich sind es immer die gleichen drei Hürden – Ideen, Interessen und Institutionen –, an deren Überwindung gleichzeitig gearbeitet werden muss. 

www.etui.org/fr/Publications2/Guides/Towards-a-social-ecological-transition.-Solidarity-in-the-age-of-environmental-challenge