Wissenschaft: Öffentlicher Verkehr in Tirol: Viel erreicht, viel zu tun

Knapp jede:r Vierte in Tirol besitzt ein Verbundticket, mit dem kostengünstig und klima­freundlich von A nach B gefahren werden kann. Angesichts der Tatsache, dass rund 60 Prozent der Tiroler:innen außerhalb ihrer Heimatgemeinde arbeiten, besteht beim umweltfreundlichen Pendeln weiterhin erhebliches Verbesserungspotenzial. Im Auftrag der Arbeiterkammer Tirol hat die Technische Universität Wien untersucht, wie gut die Tiroler Bevölkerung an das öffentliche Verkehrsnetz angebunden ist, und darauf aufbauend Verbesserungsvorschläge erarbeitet. Diese bislang einmalige Analyse umfasste Erwerbspersonen sowie Schüler:innen und Lehrlinge. 

Zentralraum stark – Peripherie benachteiligt

Grundlage der Studie waren die ÖV-Güteklassen der Österreichischen Raumordnungskonferenz. Sie ermöglichen es, die Anschlussqualität eines Wohn-, Ausbildungs- oder Arbeitsstandorts an den öffentlichen Verkehr zu beurteilen. Bewertet werden dabei Entfernung zur Haltestelle, Taktfrequenz und Art des Verkehrsmittels (Bus, Tram, Bahn). Darauf aufbauend wurde jeder Standort individuell mit den Güteklassen A bis G bewertet, wobei A für die höchste Qualität und G für „Basiserschließung“ steht. Standorte können auch außerhalb einer Güteklasse liegen, wenn etwa die Bushaltestelle zu weit entfernt ist oder zu selten angefahren wird. Dank der guten Datenqualität konnte diese Einteilung in hoher Auflösung erfolgen und zugleich auf Ebene der Arbeits- und Ausbildungsstätten durchgeführt werden. Grundlage für die Qualität der Taktung waren die Fahrplandaten der ÖBB und des VVT für das Jahr 2023. 

Die gute Nachricht: Etwa die Hälfte der Beschäftigten in Tirol und knapp 60 Prozent der Betriebe verfügen über eine gute Anbindung (ÖV-Güteklassen A-D). Umgekehrt haben 40 Prozent der Tiroler Erwerbstätigen am Wohnort nur einen „eingeschränkten Zugang“ und circa 10 Prozent der Tiroler:innen haben entweder keinen oder keinen alltagstauglichen Zugang zum öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV). Die Daten zeigen ein deutliches Gefälle zwischen dem Zentralraum und der Peripherie. So sind Bezirke entlang der Inntalfurche sowohl am Wohnort als auch am Arbeitsplatz öffentlich besser versorgt. In den Bezirken Reutte, Lienz und Kitzbühel liegt der Anteil der Erwerbstätigen mit nur rudimentärem oder gar keinem Zugang zu öffentlichem Verkehr teils bei bis zu 40 Prozent.

Verbesserungen – zwei Szenarien 

Neben der Darstellung des Status quo wurden auch zwei Szenarien berechnet. 

Szenario eins sieht eine Verdoppelung des Angebots vor. In diesem Fall hätten über 60 Prozent der Erwerbstätigen am Wohnort Zugang zu einem guten öffentlichen Verkehrsanschluss – ein Plus von 37 Prozent gegenüber dem Ist-Zustand. Auch die Unternehmen würden profitieren, denn knapp 70 Prozent der Arbeitsstätten hätten dann eine gute ÖV-Anbindung. Gleichzeitig würde sowohl der Anteil der Betroffenen in einer schlechten ÖV-Kategorie sowie der Anteil jener ohne aktuelle ÖV-Güteklassifizierung um 32 Prozent sinken. Diese Angebotsverdoppelung würde jedoch erhebliche Investitionen erfordern. Beispielsweise wären eine Elektrifizierung der Zillertalbahn, der Bau von zwei weiteren Gleisen zwischen Innsbruck und Hall in Tirol sowie ein durchgehender zweigleisiger Ausbau ins Tiroler Oberland nötig. Ebenso notwendig wäre eine Kapazitätssteigerung der Mittenwaldbahn, durch Ausweichgleise oder moderne Zugleitsysteme. Zudem bräuchte es bauliche Adaptionen an Bahnhöfen, wie etwa Bahnsteigverlängerungen, um die Kapazität zu steigern. Gemeinsam mit den erforderlichen Verkehrsdiensten (Taktverdichtungen etc.) lägen die Kosten bei etwa 2,6 Milliarden Euro. 

Szenario zwei würde eine nochmalige Verdoppelung des Angebots vorsehen. Das Ergebnis: Knapp 80 Prozent der Erwerbstätigen hätten am Wohnort einen guten ÖV-Anschluss und der Anteil der Personen, die aktuell keine ÖV-Güteklasse aufweisen, wäre fast halbiert. Hierfür wären massive Investitionen in die Infrastruktur notwendig, wie etwa zwei weitere Gleise im Unterland und Oberland bis ins Ötztal und eine zweigleisige Außerfernbahn in Reutte. Kosten: 9,5 Milliarden Euro. 

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Lohnt sich das?

Angesichts knapper öffentlicher Budgets stellt sich die Frage nach dem Kosten-Nutzen-Verhältnis. Die beste Investitionsrendite gäbe es im Bezirk Reutte, wo mit vergleichsweise geringen Investitionen in Infrastruktur und Verkehrsdienste der ÖPNV-Anschluss für die Bevölkerung deutlich verbessert werden könnte. Die Bezirke Landeck und Imst weisen ebenfalls ein günstiges Verhältnis auf. Anders im Bezirk Innsbruck Land: Hier stünden enormen Ausgaben nur moderate Verbesserungen gegenüber. Die Studie zeigt zudem, dass Taktverdichtungen und Ausbauten der Schieneninfrastruktur in vielen Gemeinden keine Verbesserung beim Anschlussgrad bewirken. Hier braucht es neue Haltestellen in einzelnen Ortsteilen, um einen brauchbaren Zugang zum ÖPNV zu ermöglichen. 

Der aktuelle Fahrplan 2025 mit einer Angebotssteigerung um zwölf Prozent gegenüber dem Ist-Stand ist bereits ein erster Schritt in die richtige Richtung. Es müssen jedoch weitere Schritte folgen. Entscheidend wären jetzt die Umsetzung längst geplanter Projekte, wie der teilweise zwei­gleisige Ausbau ins Tiroler Oberland, sowie zusätzliche Maßnahmen wie dichtere Takte, neue Linien und Haltestellen. Auch raumordnungspolitische Schritte gegen Zersiedelung sind unerlässlich, um den Arbeitnehmer:innen den Umstieg auf den ÖPNV zu ermöglichen.