Interview: „Unser System basiert auf einem immer weiter steigenden Energieverbrauch“
Was hält Sie in der Nacht wach, wenn Sie an Österreichs Klimapolitik denken?
Was mir Sorgen macht, ist die wachsende Diskrepanz zwischen Ziel und Umsetzung. Offiziell hält Österreich am Ziel der Klimaneutralität bis 2040 fest – aber faktisch steht dieses Ziel massiv unter Druck. Klimapolitik wird zunehmend als Belastung für Budget und Wettbewerbsfähigkeit dargestellt. Notwendige Investitionen, etwa in den Bahnausbau, werden verschoben, der Klimabonus gestrichen. Gleichzeitig untergraben Maßnahmen wie die Befreiung von der Normverbrauchsabgabe (NoVA) für Dienstfahrzeuge, der Ausbau des Lobau-Tunnels oder die Verteuerung des Klimatickets die Klimaziele und wirken sozial ungerecht. Zwar enthält der Koalitionsvertrag zahlreiche Klima-Vereinbarungen, doch die bisher umgesetzten Maßnahmen deuten auf einen Kurswechsel in die falsche Richtung hin. Betrachtet man die konkreten Maßnahmen, so lässt sich keine ernsthafte Zielorientierung erkennen. Das betrifft zwar viele Länder, aber in Österreich ist der Widerspruch besonders deutlich. So droht das Klimaziel auf eine rein symbolische Ebene zu rutschen.
Die meisten Parteien bekennen sich zwar zum Klimaschutz und doch blockieren oder verschleppen sie ihn. Wessen Interessen werden dabei bedient?
Wenn ernsthafte Dekarbonisierungsmaßnahmen umgesetzt werden, gefährden sie enorme Vermögenswerte fossiler Unternehmen – von Energiekonzernen bis zur Automobilindustrie. Diese Sektoren sichern dem Staat Steuereinnahmen, Beschäftigung und damit auch politische Stabilität. Die Legitimität des Staates hängt von einer wachsenden Wirtschaft ab. Und dieses Wachstum ist noch immer eng mit fossiler Wertschöpfung verflochten. Ambitionierte Klimaziele stellen dieses Versprechen infrage, da sie tiefgreifende Eingriffe in bestehende Strukturen erfordern. Das erklärt, warum viele Regierungen Klimaziele rhetorisch unterstützen, in der Umsetzung aber bremsen. Solange die strukturelle Abhängigkeit vom fossilen Wachstum besteht, bleibt Klimapolitik ein Spannungsfeld: nach außen ambitioniert, in der Praxis aber gehemmt.
Dient der Hinweis auf zukünftige technologische Entwicklungen nicht häufig als Vorwand, um heute nichts zu ändern?
Ja, leider passiert das oft. Beispiele wie die aktuellen Diskussionen um CO2-Abscheidung und -Speicherung werden gern als Vorwand genutzt, um notwendige Veränderungen aufzuschieben. Natürlich brauchen wir technologische Innovationen – etwa bessere Speichertechnologien oder effizientere Gebäude. Aber Technik allein löst das Problem nicht, solange die ökonomischen Strukturen unverändert bleiben. Unser System basiert auf einem immer weiter steigenden Energie- und Ressourcenverbrauch. Innovation wird vor allem dort gefördert, wo sie Profite verspricht und nicht dort, wo sie gesellschaftlich und ökologisch am dringendsten gebraucht wird. Wir brauchen eine Klimapolitik, die technologische Entwicklungen mit einem Umbau unserer Wirtschafts- und Produktionsweisen verbindet. Das heißt, Innovation ja, aber es geht darum, umweltschädliche Praktiken zurückzufahren und unsere Wirtschaft an sozialen und ökologischen Zielen auszurichten.
Tatsächlich gäbe es im postfossilen Zeitalter die Chance auf eine demokratischere Energieerzeugung. Warum besteht hier wenig Aufbruchstimmung?
Weil wir noch keine „echte“ Energiewende erleben, sondern eine Erweiterung des Energiesystems: neben Holz, Kohle, Öl nun auch Erneuerbare. Das postfossile Zeitalter bietet zwar die Chance, auf eine demokratische, dezentrale und gerechte Energieversorgung. Tatsächlich passiert das bislang kaum, weil die Energiewende in den alten Macht- und Eigentumsstrukturen verankert bleibt. Große Konzerne sichern sich zentrale Marktanteile, während politische Rahmenbedingungen oft Großinvestitionen statt Genossenschaften oder kommunale Lösungen begünstigen. So wird ein System, das eigentlich auf regionale Teilhabe und Wertschöpfung abzielen könnte, wieder in Konzernlogiken überführt. Solange der Wandel der Energieversorgung vor allem als technologische und nicht als gesellschaftliche Transformation verstanden wird, bleibt die Aufbruchstimmung aus. Demokratisierung entsteht nicht durch Solarpaneele, sondern durch politische Gestaltung, Eigentumsreformen und Verteilungsgerechtigkeit.
Appelle an die Politik sind das eine, aber wie könnte ein sozialer und ökologischer Umbau der Gesellschaft als ein akzeptiertes und sogar gewünschtes Ziel breit verankert werden?
Appelle allein reichen nicht. Ein sozialer und ökologischer Umbau gelingt nur, wenn Klimapolitik am Alltag der Menschen ansetzt und sichtbar macht, dass sie ihre Lebensqualität verbessert – zum Beispiel durch leistbares, energieeffizientes Wohnen, Mobilität ohne Auto und regionale, nachhaltige Versorgung. Entscheidend sind dabei breite gesellschaftliche Bündnisse – zum Beispiel bei Themen wie Verkehrsberuhigung, der Wiederbelebung von Ortskernen oder der Stärkung regionaler Versorgung. Solche Allianzen können ganz unterschiedliche Gruppen zusammenbringen: Unternehmen, Beschäftigte und zivilgesellschaftliche Initiativen. Wenn gemeinsame Interessen sichtbar werden und Menschen erleben, dass Klimaschutz ihr Leben konkret verbessert, entstehen Akzeptanz, Engagement und politischer Druck für Veränderung. Und es braucht eine neue Sprache, die verständlich macht, worum es eigentlich geht: nicht um abstrakte Klimaziele, sondern um Sicherheit, Teilhabe und Lebensqualität. So kann Klimapolitik Vertrauen schaffen und zu etwas werden, das Menschen wirklich wollen – nicht, weil sie müssen, sondern weil sie überzeugt sind.
