Interview: „Die Beschäftigten sollten Miteigentümer werden“

Herr Büchling, wurden bei VW Fehler gemacht? 

Zunächst einmal macht Volkswagen dieser Tage einen historischen und schwerwiegenden Fehler, wenn sie glauben, dass die Unternehmenskrise durch die Aufkündigung der Beschäftigtensicherung und maßlose Angriffe auf unsere Kolleginnen und Kollegen zu überwinden wäre. Aber auch in der Vergangenheit sind viele Fehler gemacht worden, mal ganz abgesehen von dem Diesel-Skandal, der dem Konzern nicht nur über 30 Milliarden Euro gekostet hat, sondern auch unsere Kund:innen tief verunsichert hat. Insgesamt aber muss man sagen, ist die Markenpolitik der letzten Jahre einfach nicht gut gewesen: Der Konzern ist zu spät in die Entwicklung der Elektrofahrzeuge eingestiegen, deswegen ist unsere Technik noch nicht ausgereift genug und kann teilweise nicht mit den Konkurrenten Stich halten.

Hätten man besser den „französischen Weg“ einschlagen sollen und kleine, kompakte E-Autos bauen?   

VW hatte für kurze Zeit ein sehr erfolgreiches Einstiegsmodell auf dem Markt, den E-Up. Der kam sowohl bei unseren Kund:innen als auch bei unserer Belegschaft gut an. Den E-Up vom Markt zu nehmen, war meiner Ansicht nach falsch und hat die Weichenstellung Luxus-Segment-Produktion noch verstärkt. Eine strategische Entscheidung, die die Kolleg:innen heute ausbaden sollen. Und auch eine Entscheidung gegen die ökologische Verantwortung, der der Konzern mit dem Bau von kleineren E-Autos durch deren deutlich geringere Umweltbelastung besser nachkommen hätte können.  

VW-Chef Oliver Blume hat im Vorjahr als erster Manager Deutschlands mehr als zehn Millionen Euro Gehalt bezogen. Sollte das einmal problematisiert werden? 

Ja, natürlich. Es ist doch eine absolute Frechheit, einerseits ein Klagelied über fehlende Milliarden für Investitionen anzustimmen und gleichzeitig rekordverdächtige Dividenden an seine Aktionäre auszuschütten. Das Unternehmen fordert jetzt 10 Prozent Lohnverzicht seitens der Belegschaft. Stellen sie sich vor, wie viel Geld der Konzern einfahren könnte, wenn der Vorstand auf 10 Prozent seines Gehalts verzichten würde. 

Welche Haltung besteht demgegenüber einem sozialen und ökologischen Umbau im Betriebsrat? 

Für uns Betriebsräte und Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter gibt es keine Alternative zum Verbrenner-Aus! Das kommunizieren wir klar und deutlich. Grundsätzlich sind die Kolleginnen und Kollegen transformationsoffen. Es gibt aber auch Kritik an der E-Mobilität. Der Soziologe Klaus Dörre hat gezeigt, dass man der E-Mobilität umso kritischer gegenübersteht, je näher man am Hallenboden arbeitet. Aber diese Kritik speist sich nicht aus einer Leugnung der ökologischen Verantwortung oder ähnlichem. Sondern daraus, dass nicht klar ist, ob man seinen Job nach der Transformation noch behalten wird, ob man die Arbeit leisten kann, die dann neu auf einen zukommt. Und auch grundsätzlich fragen sich viele Kolleginnen und Kollegen, ob sich die E-Mobilität überhaupt durchsetzen wird. Das sind sehr berechtigte Fragen und Ängste. Eine Konversion der Autoindustrie hin zu vollständig neuer Produktpalette jenseits des Autos ist noch in weiter Ferne. Ich denke, dass uns der Umstieg in die E-Antriebe nun erst einmal gelingen muss, um über andere Schritte nachdenken zu können. Dazu müssen wir die Mitbestimmung weiter ausbauen.  

Diese tiefgreifenden Änderungen sollten gemeinsam beschlossen werden. Wie könnten die Beschäftigten in Produktions- und Veränderungsentscheidungen miteinbezogen werden? 

Grundsätzlich verstehe ich unsere Arbeit als Betriebsräte so, dass wir sukzessive daran arbeiten, die im Betriebsverfassungsgesetz bereits angelegte Mitbestimmung weiter auszubauen. In Kassel organisieren wir beispielsweise zwei der vier vom Betriebsverfassungsgesetz vorgegeben Betriebsversammlungen im Jahr dezentral. Das bedeutet, zweimal im Jahr haben die Kolleg:innen die Möglichkeit, zu einer kleinen Betriebsversammlung zu gehen, die auf ihre abteilungsspezifischen Anliegen und Fragen ausgerichtet ist. Damit werden unseren Beschäftigten mehr Chancen auf Beteiligung eingeräumt. Insgesamt muss hier politischer Druck zusammen mit den Gewerkschaften entwickelt werden, um die Mitbestimmungsrechte im Betriebsverfassungsgesetz weiter auszubauen. Das sind alles verschiedene Schritte, die am Ende dafür sorgen können, dass die Beschäftigten nicht nur beteiligt werden, sondern über die Produktion mitentscheiden können. Und um es deutlich zu sagen: Ich finde, dass die Beschäftigten zu Miteigentümern der Betriebe werden sollten.  

FJ