Politik

Soziale und ökologische Zukunft? Europa hat die Wahl

Von 23. bis 26. Mai wird ein neues EU-Parlament gewählt. Auch die Europäische Kommission wird nach den Wahlen neu zusammengesetzt. Die Kräfteverhältnisse in diesen zwei der drei maßgeblichen Institutionen der EU können sich ab der zweiten Jahreshälfte maßgeblich verschieben. 

Bisherige Prognosen zum Ausgang der EU-Wahlen deuten auf Verluste für die Europäische Volkspartei sowie für die Sozialdemokraten hin. Während die Sitze der linken und grünen Fraktion unverändert bleiben könnten, werden den Liberalen sowie den derzeit auf drei Fraktionen aufgeteilten europaskeptischen rechten Parteien Zugewinne vorhergesagt. Allein in Frankreich und Italien, wo insgesamt 155 der 705 Sitze vergeben werden, macht es die aktuelle politische Stimmungslage wahrscheinlich, dass die Mehrheit der neuen Abgeordneten aus gänzlich anderen Parteifamilien stammen werden als bisher.

Der mögliche neue Kurs in Brüssel geht aber nicht nur vom neu gewählten Parlament, sondern vor allem von der Kommission aus. Nach den Wahlen werden die KommissionsvertreterInnen für die folgenden fünf Jahre nominiert. Die derzeit gegebenen Mehrheitsverhältnisse in den Mitgliedsstaaten sind für die Zusammensetzung der Kommission entscheidend, denn ihnen obliegt das Nominierungsrecht für jeweils ein Mitglied. Auch hier wird die Zahl an konservativen und liberalen KommissarInnen steigen. 

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2050 im Visier

Die umwelt- und klimapolitische Richtung für die neue Kommission hat ihre Vorgängerin mit der Mitteilung „Sauberer Planet für alle“ am 28. November 2018 schon vorgegeben. Darin legt sie eine Strategie zur Diskussion vor, mit der die EU bis 2050 die Netto-Treibhausgasemissionen auf Null senken will. So soll dem Pariser Klimaschutzabkommen nachgekommen werden, um die Erderwärmung auf 2 C° zu begrenzen.

Sieben Schwerpunkte, die alle Sektoren umfassen, werden beschrieben: Die Mitteilung reicht vom Energie-, Gebäude-, Verkehrs- und Industriesektor bis zur Landwirtschaft, deren Emissionen erstmals miteinbezogen werden. Es finden sich viele gute Zielsetzungen, wie die Dekarbonisierung des Straßenverkehrs oder das Umstellen auf treibhausgasfreie Produktionen. Die Mitteilung stellt auch fest, dass „weitermachen wie bisher (…) kein gangbarer Weg“ ist, und dass es eines sozial gerechten Übergangs bedarf. Zudem wird auch die in Österreich unzulässige Abscheidung und Speicherung von CO2 (CCS) diskutiert. Ein Atomkraft-Ausstieg wird aber mit keinem Wort erwähnt, was gerade aus österreichischer Sicht verblüffend ist.

Diese Mitteilung wird in den EU-Institutionen diskutiert und soll beim EU-Gipfel in Sibiu Anfang Mai 2019 behandelt werden. Damit gibt die Kommission den Weg auch für die nächste Periode vor. Doch es wäre nicht die erste langfristig angesetzte Strategie, deren Zielumsetzung sich schwierig gestaltet. 

Neues Weißbuch Verkehr

Am Beispiel „Weißbuch Verkehr“ aus 2011 zeigt sich, dass die Europäische Kommission ehrgeizige Formulierungen nicht scheut, wenn es um langfristige Strategien geht. Die Umsetzung durch Richtlinien und Verordnungen, die im Rahmen der EU-Gesetzgebung vom EU-Parlament, dem Rat und im abschließenden Trilog der drei EU-Institutionen behandelt werden müssen, gestaltetet sich aber schwierig. 

Das „Weißbuch Verkehr“ umfasste 40 Maßnahmen. Dazu zählte etwa die Einführung einer Infrastrukturabgabe für Lkw bis 2016. Die Novelle zur Wegekostenrichtlinie (2017), schlug diese Verpflichtung jedoch nicht vor. Die vollständige und obligatorische Internalisierung externer Kosten für den Straßen- und Schienenverkehr bis 2020 wird auch nicht mehr umgesetzt werden können. Und auch die Halbierung der mit Benzin und Diesel betriebenen Pkw im Stadtverkehr bis 2030 dürfte unerreicht bleiben.

Eine Änderung der Verkehrspolitik um bis 2050 keine Netto-Treibhausgasemissionen mehr auszustoßen wird notwendig sein. Für 2021 ist nun ein neues Weißbuch Verkehr zu erwarten, und dann wird das Ambitionsniveau der neuen Kommission sichtbar werden.

Mobilitätspaket I – die Unvollendete

Nach der Konstituierung werden die EU-Institutionen an jenen Legislativdossiers weiterarbeiten, die Brüssel in den letzten zwei Jahren am intensivsten beschäftigt haben. Dies sind die Sozialvorschriften des Ersten Mobilitätspakets, die die Kommission am 31. Mai 2017 präsentierte. Die anschließenden Verhandlungen zur Anwendung der Entsenderichtlinie im Straßenverkehr, zur Verordnung zu Lenk- und Ruhezeiten für BerufskraftfahrerInnen, sowie die Regelungen zur Kabotage spalteten seitdem das EU-Parlament in zwei Lager.

Bei der Abstimmung im Juli 2018 erhielt keiner der drei Berichte eine Mehrheit. Bei der neuerlichen Abstimmung im Verkehrsausschuss im Januar 2019 wurden alle Berichtsentwürfe wiederum abgelehnt und lediglich das Dossier zur Kabotage abgeschlossen. Im April soll ein letzter Abstimmungsversuch im Parlament folgen. Auf Ratsseite konnte der österreichische Vorsitz Anfang Dezember 2018 die qualifizierte Mehrheit für ihren Kompromisstext zu den drei Dossiers finden.

Die Trilogverhandlungen mit dem neuen Parlament werden wohl erst nach dem Sommer 2019 beginnen. Zu befürchten ist, dass mit den neuen Mehrheitsverhältnissen und nach Wegfall der britischen Abgeordneten jene Positionen schwerer eine Mehrheit finden können, die gegen eine zunehmende Öffnung der Märkte und ein weiteres Aufweichen der Schutzbestimmungen für BerufskraftfahrerInnen auftreten. Eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen könnte in noch weitere Ferne rücken.

Daseinsvorsorge in 
öffentlicher Hand

Nicht nur bei der Verkehrspolitik ist die EU seit Jahren von einer neoliberalen Ideologie geprägt, bei der Privatisierungen und freie Märkte Probleme lösen sollen. Es gibt eine Reihe von Beispielen, die zeigen, dass Privatisierungen langfristig nicht besser sind und viele Menschen diese Entwicklung nicht unterstützen. 

So unterzeichneten 1,8 Mio. EuropäerInnen die 2013 initiierte europäische BürgerInneninitative „right2water“, mit der sie ein Menschenrecht auf Wasser einforderten. Die Umsetzung im Rahmen der Trinkwasserrichtlinie ist zwar noch nicht abgeschlossen, aber ein erster Schritt, dem in der neuen Periode noch weitere folgen müssen, ist getan. 

Im kommunalen Bereich gibt es Beispiele der Rekommunalisierung, da private VersorgerInnen die Erwartungen nicht erfüllen konnten. Die Studie von AK, younion und Städtebund zum Vergleich europäischer Systeme der Wasserver- und Entsorgung ergab, dass die Versorgung durch die öffentliche Hand günstigere und bessere Versorgung anbietet. Aber auch am Beispiel der Marktöffnung beim öffentlichen Verkehr auf Schiene und Straße zeigt sich, dass hier ein Markt geschaffen wird, der nicht per se bessere Dienste für Fahrgäste schafft. Einsparungen werden leider in erster Linie durch schlechtere Entlohnung und Arbeitsbedingungen der betroffenen MitarbeiterInnen erzielt. 

Es liegt nach den Wahlen an den Europäischen Institutionen, auf ein Europa hinzuarbeiten, das allen BürgerInnen dient und nicht nur den Eindruck erweckt, die Interessen internationaler Konzerne zu verfolgen. Zuvor haben aber wir mit unserer Stimme am 26. Mai (in Österreich) das Wort!