Leben
Lichtverschmutzung: Vom Ende der Nacht
Künstliches Licht ist aus dem öffentlichen Raum nicht wegzudenken. Bereits im 18. Jahrhundert wurden die ersten europäischen Städte mit Gaslaternen ausgestattet, ab dem 19. Jahrhundert kam die elektrische Straßenbeleuchtung hinzu. Heute sorgt eine Vielzahl an Lichtquellen – von Werbetafeln bis zu spektakulär illuminierten Bauwerken – dafür, dass manche Städte auch bei Nacht taghell erscheinen, in vielen Großstädten ist der Sternenhimmel auch bei guter Sicht de facto verschwunden.Dabei ist die Entwicklung der Straßenbeleuchtung in vielerlei Hinsicht positiv zu sehen. Sollten zunächst Sicherheit und Ordnung bei notwendigen Wegen nach Einbruch der Dunkelheit gewährleistet werden, sind in der heutigen 24-Stunden-Gesellschaft sämtliche nächtliche Aktivitäten – von Schichtarbeit bis zu Kino- und Barbesuchen – ohne Straßenbeleuchtung undenkbar. New York wurde schon vor Jahrzehnten enthusiastisch als „City That Never Sleeps“ besungen.
Künstliches Licht im Außenraum hat also viele positive Seiten. Dennoch wird die ansteigende Lichtintensität in dichtbesiedelten Räumen zunehmend problematisiert. Eine Vorreiterrolle hatten dabei die Naturwissenschaften, die schon vor Jahren auf die negativen Konsequenzen für aquatische und terrestrische Ökosysteme hingewiesen haben.
Die Störung biologischer Rhythmen zeigt sich in der Tierwelt in unterschiedlichen Formen. Diese reichen von der Vertreibung aus angestammten Lebensräumen und veränderten Tagesrhythmen bei Fledermäusen über Anpassungen des Brut- und Zugverhaltens bei Vögeln bis zu Beeinträchtigungen der Fortpflanzung und Schwarmbildung bei Fischen. Verbrennen Insekten an Leuchtkörpern oder werden sie im Licht gefressen, fallen sie als Bestäuber aus. Damit sind indirekt negative Auswirkungen auf die Landwirtschaft möglich. Die Pflanzenwelt kann allerdings auch direkt von zu viel Licht in der Nacht bzw. der falschen Jahreszeit betroffen sein, beispielsweise wenn auch im Winter die Blätter nicht oder verspätet abfallen.
Beeinträchtigungen für den Menschen
In den letzten Jahren werden nun zunehmend Einschränkungen, die sich für Menschen durch nächtliches Licht ergeben, in der Diskussion berücksichtigt. Zunächst ist dabei an die mangelnde Sichtbarkeit des Nachthimmels zu denken, die StadtbewohnerInnen den Blick auf einen fixen kulturellen Bezugspunkt der Menschheitsgeschichte erschwert. Manche astronomische Forschungseinrichtungen, die auf die freie Sichtbarkeit des Nachthimmels angewiesen waren, haben sich aus diesem Grund neue Standorte außerhalb der Stadtgrenzen gesucht.
Neben dem Verlust des Nachthimmels für Geist und Gemüt wird heute darüber hinaus diskutiert, ob sich die nächtliche Beleuchtung negativ auf die menschliche Gesundheit auswirken kann.
Von ArbeitnehmerInnen, die in Schichtarbeit tätig sind, weiß man bereits seit längerer Zeit, dass die Verschiebung des Tag-Nacht-Rhythmus nicht nur zu Schlafproblemen, Depressionen und Herz-Kreislauferkrankungen beitragen, sondern auch die Entstehung bestimmter Krebsarten fördern kann.
Der durch die Verschiebung zirkadianer Rhythmen verursachte Stress wirkt sich nicht nur auf zwischenmenschliche Beziehungen und die Konzentrationsfähigkeit aus, sondern könnte auch zu Übergewicht beitragen. Ähnlich wie im Fall von Lärmbelastung sind bei der Einwirkung von Lichtquellen ins Schlafzimmer auch Folgen für die Schlafqualität möglich. Jüngeren Forschungen zufolge kann nächtliches Licht daneben auch direkt hormonell bedingte Krebsarten – insbesondere Brustkrebs bei Frauen – hervorrufen. Weitgehend offen ist allerdings, ob von der Erhellung des Nachthimmels auch direkt Gesundheitsrisiken ausgehen.
Die Konsequenzen der Lichtverschmutzung werden nicht nur von der Forschung in zunehmendem Maße thematisiert. Auch die Planung hat das Thema für sich entdeckt, womit sich die Gestaltung des Außenraums durch künstliche Beleuchtung zunehmend professionalisiert. Lichtplanung als Disziplin versucht, einen Ausgleich zwischen den Problemen der Lichtverschmutzung und dem Wunsch nach Beleuchtung und Inszenierung öffentlicher Räume zu erreichen. Ziele der Erneuerung kommunaler Beleuchtungsanlagen sind heute meist die Verbesserung der Energie- und Lichteffizienz sowie der Beleuchtungsqualität bei gleichzeitiger Reduktion der Lichtimmissionen und Abstrahlung in den Nachthimmel. Zahlreiche Städte wie Lyon und Zürich haben in den letzten Jahrzehnten Lichtmasterpläne und Lichtkonzepte entwickelt, die zur Verbesserung der Effizienz und ästhetischen Qualität der nächtlichen Beleuchtung beitragen sollen. Auch temporäre Inszenierungen in Form von Lichtfestivals werden zu einem immer bedeutenderen Angebot für städtische Freizeitgestaltung und Tourismus. Umgekehrt werden weltweit in peripheren Räumen, die von den Lichtglocken der Städte nicht beeinträchtigt sind, sogenannte „Dark Sky Parks“ eingerichtet.