Kontroverse: Sind die Pkw-Treibstoffangaben irreführend?
Pro: Bei den jetzigen Pkw-Herstellerangaben bleiben Umwelt und Verbraucher auf der Strecke.
Der „offizielle Normverbrauch“ bei Pkw war schon immer problematisch. In den letzten Jahren sind aber in der Auto-Branche schlimme Sitten eingerissen: Finetuning-Experten im Dienste der Hersteller holen beim Zulassungsprüfzyklus mit unzähligen Tricks völlig legal einen niedrigen Normverbrauch heraus, der gegenüber realen Bedingungen nur ca. halb so hoch sein kann. Zum Beispiel werden Lichtmaschinen und ganze Sitzbänke herausgenommen, die Reifen bis zum Bersten voll aufgepumpt und Kühlergrills aerodynamisch verklebt, damit nur der Verbrauch sinkt.
Private Prüfinstitute, wirtschaftlich von Aufträgen der Autohersteller völlig abhängig, machen gute Miene zum bösen Spiel. Auf der Strecke bleibt dabei eine zentrale Information: Wie viel verbraucht mein Auto? Bei einem Familienfahrzeug mit durchschnittlichen Annahmen (z.B. Renault Grand Scénic 1.6, 81 kW, 15.000 km/Jahr, Behaltedauer: 9 Jahre. Benzinpreis: 1,18 €/l, 7,7l/100 km lt. Hersteller, Abweichung von Angaben: 20 Prozent) fallen so locker 2.453 Euro an Mehrkosten an, die beim Verkaufsgespräch schlicht unter den Tisch fallen. Ausgehebelt werden aber auch Klimaschutzziele und Kfz-Steuer, die am Normverbrauch aufgehängt sind. Die Hersteller-Ausrede vom individuellen Fahrverhalten ist längst widerlegt. Aufgrund einer großen Studie mit langer Zeitreihe bei großen Kfz-Flottenbetreibern steht fest: ein Drittel der seit dem Jahr 2000 von Herstellern angegebenen Kraftstoffeinsparungen existiert schlicht nur am Papier. Hersteller müssen daher neben offiziellem Normverbrauch freiwillig reale Verbrauchsangaben zum konkreten Pkw-Modell vornehmen. Auf EU-Ebene darf ein neuer Prüfzyklus nicht länger unnötig hinausgeschoben werden. Konsumenten und Öffentlichkeit haben ein Anrecht darauf.
Con: Die Autos der Gegenwart sind individueller als je zuvor.
Sie können den persönlichen Bedürfnissen und Vorstellungen entsprechend mit neuesten Technologien und Zusatzausstattung versehen werden. Dieser Luxus verkörpert die Freiheit und Individualität, welche von den Autofahrerinnen und Autofahrern gefordert werden. Gleichzeitig trägt diese Individualisierung aber auch dazu bei, dass standardisierte Verfahren zur Ermittlung von allgemeingültigen Aussagen zunehmend schwieriger werden.
Zur Ermittlung der Verbrauchsangaben wird gegenwärtig ein europaweit einheitliches Verfahren (NEFZ) herangezogen, welches Fahrzeuge unter Laborbedingungen testet. Dass die Angaben vom tatsächlichen Verbrauch unter Realbedingungen sowohl nach oben als auch nach unten abweichen können, hat mehrere Gründe. Erstens, die Angaben beziehen sich im Regelfall nicht auf das konkrete Auto, sondern auf ein dem Modell entsprechendes Labor-Prüffahrzeug. Zweitens, die Tests werden mit Minimalausstattung durchgeführt. Zusatzausstattung und individuelles Fahrverhalten können als Indikatoren nicht oder nur eingeschränkt berücksichtigt werden. Die Fahrerin und der Fahrer müssen sich dahingehend bewusst sein, dass sich der tatsächliche Verbrauch beispielsweise je nach Witterung, Beladung und Klima natürlich verändert. Auch vermehrte Brems- und Beschleunigungsphasen erhöhen den Verbrauch. Die Autofahrerin und der Autofahrer haben – und das möchte ich betonen – einen großen Einfluss auf den endgültigen Verbrauch und können durch individuelle Fahrweise die Normwerte auch unterschreiten. Ab 2017 soll ein weltweit vergleichbares neues Testverfahren (WLTP) zur Anwendung kommen. Dieser neue Messzyklus soll die Testbedingungen dynamischer gestalten und so zu mehr Transparenz und einer besseren Vermittelbarkeit nach außen führen.