Leben

Gefährdete Sortenvielfalt

Am 6. Mai 2013 legte die EU-Kommission einen Vorschlag für eine Verordnung zu Neuregelungen des Saat- und Pflanzgutverkehrs in der EU vor. Diese soll die derzeit noch gültigen 12 EU-Richtlinien für Saat- und Pflanzgut ablösen und gilt dann unmittelbar in allen Mitgliedstaaten der EU.

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Bisher wurde nur Saatgut zum Zwecke der kommerziellen Nutzung von den Regelungen erfasst. Diese wesentliche Einschränkung würde mit der neuen EU-Saatgutverordnung nicht mehr gelten.  Besonders betroffen wären dabei alte Landsorten, Erhaltungssorten und Sorten, die Raritäten darstellen oder von geringer ökonomischer Bedeutung sind. Das Saatguttestverfahren soll vor allem gleichbleibende Qualität von Pflanzen und Saatgut sicherstellen. Aber gerade traditionelle und seltene Sorten entsprechen diesen Kriterien oft nicht. Bereits im Vorfeld hagelte es viel Kritik – wurde doch befürchtet, dass es traditionelle und alte Sorten künftig nur mehr über ein kompliziertes Zulassungsverfahren auf den Markt schaffen. 

Massive Kritik

Wohl auch deshalb hat die EU-Kommission im vorgelegten Verordnungsvorschlag für Sortenraritäten Ausnahmen vorgesehen. Künftig sind HobbygärterInnen, ErhalterInnen und Vereine, die sich für den Erhalt der Kulturpflanzenvielfalt einsetzen von der Registrierungspflicht ihres Saatgutes ausgenommen. Sie dürfen ihr Saatgut und die Jungpflanzen mit anderen tauschen, müssen es aber auch entsprechend kennzeichnen. Geld darf dabei aber keines in die Hand genommen werden, denn das wäre illegal. Auch Unternehmen, die einen Umsatz von weniger als zwei Millionen Euro im Jahr erwirtschaften und maximal zehn MitarbeiterInnen beschäftigen, sind von der Registrierungspflicht ihres Saatgutes ausgenommen. Ihr Saatgut,  Jungpflanzen und die geernteten Früchte sind als „Nischenprodukt“ zu kennzeichnen. 

Einzig die europäische Saatgutindustrie begrüßte den EU-Vorschlag. Für sie werden insbesondere die Kosten für die Registrierung geringer. Aber auch die verpflichtende Registrierung – mit ein paar Ausnahmen – kommt ihnen entgegen. Auch, dass der „Ausschuss Landwirtschaft“ im EU-Parlament die Verhandlungen führen wird. Es werden vermutlich die Interessen der Saatgutindustrie und nicht die der Biodiversität und der KonsumentInnen in den Vordergrund gestellt werden.

Supermärkte fallen künftig nicht unter die Ausnahme­regel; sie können – geht es nach dem vorliegenden Entwurf – Getreide- und Obstraritäten nicht mehr ohne zusätzlichen Aufwand bzw. ohne zusätzliche Kosten anbieten. Auch die von ihnen angebotenen traditionellen und alten Sorten müssten dann das strenge Registrierungsverfahren durchlaufen. 

Höhere Kosten

Dies erhöht die Kosten für die Sortenraritäten und damit auch für die KonsumentInnen. Für die Supermärkte bedeutet dies einen erhöhten Aufwand – mit ungewissem Ausgang hinsichtlich Angebot und Preis. Zu befürchten ist jedenfalls, dass viele der bereits angebotenen Sortenraritäten - wie beispielsweise die Gemüsepaprika „Ochsenhorn“, die Etsberger Buschbohne, Salatparadeiser „Justus Gelbe“ – vom Markt gedrängt werden. Die Supermärkte setzen sich nun auch für eine Neuausrichtung des EU-Saatgutgesetzes ein und unterstützen die Anliegen vieler europäischer NGOs. Ihrer Meinung nach sollten Umweltinteressen und der Erhalt der Biodiversität  sowie die Berücksichtigung von Umwelt- und KonsumentInneninteressen in den Mittelpunkt dieser Verordnung gestellt werden. Die Vermarktung weniger homogener, jedoch genetisch breiterer und besser an die lokalen Bedingungen angepasster Sorten soll auch künftig ohne zusätzliche Auflagen möglich sein. Jegliche Hindernisse für die Vermarktung und den Tausch alter Sorten sowie bäuerlicher Züchtungen müssen ausgeräumt werden. Der Schutz der VerbraucherInnen sollte durch klare Transparenzregeln und Kennzeichnungsvorgaben gewährleistet sein. 

In 39 wesentlichen rechtlichen Fragen behält sich die EU-Kommission so genannte delegierte Rechtsakte vor. Das bedeutet, dass die Kommission nach  Beschlussfassung der EU-Saatgutverordnung durch den EU-Rat und das EU-Parlament in vielen Bereichen Änderungen oder weitere Präzisierungen vornehmen kann.  

Demokratiedefizit

So soll die EU-Kommission beispielsweise die Liste der verpflichtend zu registrierenden Saatgutsorten laufend erweitern können. Eingebunden sind dabei nur mehr ExpertInnen der EU-Mitgliedstaaten. Die Auslagerung so vieler wesentlicher Fragen an die Kommission ist  aus demokratiepolitischer Sicht und im Sinne der Transparenz sehr bedenklich. Damit wird das EU-Parlament wie auch die Zivilgesellschaft in vielen Bereichen von der Mitgestaltung ausgeschlossen. Die Anzahl der delegierten Rechtsakte ist auf das Wesentlichste zu beschränken und insbesondere Rechtsakte, die die Biodiversität betreffen, sind gänzlich zu streichen.  

Auch der österreichische Bundesrat äußerte sich kritisch gegenüber dem vorliegenden Vorschlag. Die Abgeordneten sind der Meinung, dass die EU-Saatgutverordnung über das eigentliche Ziel hinausschießt und haben die EU-Kommission mittels „Subsidaritätsrüge“ aufgefordert, den Vorschlag zu überdenken.