Kontroverse: Öffentlicher Verkehr: Ausschreibungen mit Sozialkriterien?
Pro:
Gut ausgebildetes und hoch motiviertes Personal verbessert auch Sicherheit und Kundenzufriedenheit.
Im Bereich des gemeinwirtschaftlichen öffentlichen Personenverkehrs geht seit einiger Zeit der Trend weg von der Direktvergabe und hin zu Ausschreibungen, sodass nun neben den angestammten Auftragnehmern verschiedene Unternehmen aus ganz Europa um einen Auftrag konkurrieren dürfen. Im Busverkehr sind wettbewerbliche Verfahren bereits verpflichtend, im Schienenverkehr besteht noch die Möglichkeit der Direktvergabe.
Ein Hauptzweck des Vergaberechts ist, öffentliche Stellen zum sparsamen Umgang mit Steuergeld zu verpflichten, also den insgesamt günstigsten Anbieter zu ermitteln. Dies wurde leider oft verkürzt betrachtet, sodass „Billigstbieter“ fast automatisch den Zuschlag bekamen. Dabei wird übersehen, dass der Preis durchaus nicht das einzige Kriterium ist, das für die Vergabe definiert werden kann.
Das Spannungsfeld ist dreigeteilt: Die Auftraggeber suchen das günstigste Angebot. Die Bieter, also Unternehmer, wollen möglichst viele Ausschreibungen gewinnen, um Aufträge zu lukrieren. Den ArbeitnehmerInnen geht es darum, dass der Wettbewerb nicht auf ihrem Rücken ausgefochten wird. Legen die Auftraggeber nämlich zu viel Wert auf den Preis und berücksichtigen soziale und qualitative Kriterien zu wenig, entsteht ein reiner Preiswettbewerb, den natürlich der Bieter mit den geringsten Kosten gewinnt. Und da deren Löwenanteil im öffentlichen Verkehr die Personalkosten darstellen, sind Lohn- und Sozialdumping vorprogrammiert.
Dabei geht es auch ganz anders: Der Bewerber, der seinen MitarbeiterInnen die besten Arbeitsbedingungen bietet, sollte auch dafür nach oben gereiht werden. Dazu gehören einerseits innerbetrieblich erreichte Leistungen wie eine Überzahlung des KV oder spezifische Betriebsvereinbarungen zu Aus- und Weiterbildungsangeboten, Sozialleistungen und Zulagen. Andererseits geht es darum, Bieter zu bevorzugen, die einen größeren Anteil an erfahrenen MitarbeiterInnen haben, auch wenn diese meist in einer höheren Gehaltsklasse sind. Ferner sollte auch auf so profan erscheinende Dinge wie etwa die Menge, Größe und Ausstattung von Pausen- und Sanitärräumlichkeiten geachtet werden. Davon profitieren nicht nur direkt die betroffenen ArbeitnehmerInnen, sondern auch die Fahrgäste, die motivierteres und besser ausgebildetes Fahrpersonal antreffen. Anders gesagt: Dem höheren Preis für ein sozialverantwortlich wirtschaftendes Unternehmen steht in der Regel auch eine qualitativ bessere Leistung gegenüber, das Preis-Leistungs-Verhältnis ist daher oft sogar besser als beim klassischen „Billigstbieter“.
Wird die Erfüllung der Sozialkriterien bei der Vergabeentscheidung berücksichtigt, ergibt sich im Zusammenspiel mit Qualitäts- und Kostenkriterien ein ökologisch, ökonomisch und sozial ausgeglichenes „Gesamtpaket“. Natürlich erfordert dies einen höheren Aufwand für die Auftraggeber, sowohl bei der Vorbereitung als auch bei der Durchführung der Ausschreibung. Alles, was gefordert wird, muss schließlich auch zumindest stichprobenartig kontrolliert werden.
Hier ist die öffentliche Hand gefordert, verbindliche Regelungen zu treffen und ausreichend Mittel zur Verfügung zu stellen, denn schließlich geht es im öffentlichen Verkehr österreichweit um über 80.000 Beschäftigte.
Con: Regulierter Wettbewerb bietet die Möglichkeit, auf Qualität, Angebot und Standards gestaltend einzuwirken.
Der Wechsel von der Direktvergabe zur Ausschreibung ist viel mehr als nur ein Trend und auf gesetzliche Rahmenbedingungen zurückzuführen, die sich mit Einführung der „Public Service Obligation“ (PSO) auf internationaler Basis und dem Bundesvergabegesetz auf nationaler Basis geändert haben. Die von der Bundesverfassung vorgegebene sparsame, wirtschaftliche und zweckmäßige Haushaltsführung ist von den öffentlichen Auftraggebern einzuhalten. Sparsames und effizientes Agieren darf bei Ausschreibungen nicht mit dem Billigstbieter-Prinzip verwechselt bzw. gleichgesetzt werden. Vielmehr wird im VOR auf ein Bestbieterprinzip mit Qualitätskriterien gesetzt. Der regulierte Wettbewerb bietet die Möglichkeit unmittelbar auf Qualität und Angebot gestaltend einzuwirken und innerbetriebliche Standards vom betriebsführenden Unternehmen einzufordern.
Ausschreibungen schaffen natürlich ein Spannungsfeld zwischen Auftraggeber und Verkehrsunternehmen, daher werden auch bewusst jene Betreiber gesucht, die über ein leistungsfähiges und gesundes Unternehmen verfügen. Es ist wichtig bereits in der ersten Stufe geeignete Unternehmen herauszufiltern, um etwaige Notmaßnahmen im Falle eines Fehlverhaltens, etc. zu vermeiden. Daher werden zur Umsetzung des Fahrplanangebotes auch gute betriebliche Rahmenbedingungen vorausgesetzt, unter denen MitarbeiterInnen gerne arbeiten und die so zu einem reibungslosen Ablauf und zufriedenen Fahrgästen beitragen. Ein erfahrenes und zufriedenes Personal ist ein wichtiger Erfolgsfaktor im öffentlichen Verkehr. Bewerber, die ihren MitarbeiterInnen sehr gute Arbeitsbedingungen bieten, sind bei der Auswahl als Auftragnehmer durchaus positiv hervorzuheben. Doch die Suche nach einem geeigneten Betreiber stellt auch für den Auftraggeber eine große Herausforderung dar, denn Sozialkriterien eignen sich zur Klassifikation als Referenz, d.h. als Blick in die Vergangenheit, während der Zuschlag auf ein „Versprechen in die Zukunft“ erteilt wird – konkret auf die Qualität des Angebots. Dies zieht jedoch einen hohen Prüfungsaufwand mit sich, und eine Garantie auf Umsetzung durch die Unternehmen ist damit aber noch lange nicht gesichert. Daher wird die Qualität der Leistungserbringungen nach der Ausschreibung laufend überprüft. Pönaleregelungen sorgen für ein entsprechendes Eigeninteresse der Unternehmen an der Erbringung der vereinbarten Leistungen.
Ein ökologisch, ökonomisch und sozial ausgeglichenes „Gesamtpaket“ ist auf alle Fälle wünschenswert. Doch stellt dies den Auftraggeber vor erhebliche Schwierigkeiten: Wie genau jene Maßstäbe finden, nach denen Sozialkriterien objektiv vergleichbar gemacht werden können? Punkterelevante Kriterien muss der Auftraggeber in Vergabeverfahren auch überprüfen können. Die Überprüfung der Einhaltung von Sozialstandards ist aber bereits durch staatliche Behörden gewährleistet. Um die Einhaltung der Sozialkriterien überprüfen zu können, müsste VOR Einblick in Personaldaten oder auch Gehaltsverrechnung der einzelnen MitarbeiterInnen des Verkehrsunternehmens haben. Dies verbietet jedoch der Datenschutz. Daher werden bei Ausschreibungen von den Unternehmen nur jene Kriterien gefordert, die VOR unter diesen Rahmenbedingungen auch kontrollieren kann.