Betrieb
Quarz: Wirbel um Staub
Quarzstaub wird überall freigesetzt, wo Fels, Stein, Sand oder Beton zerkleinert oder anders bearbeitet wird. Im Bergbau, im Tunnelbau, in Steinbrüchen, bei Steinmetzarbeiten, sind die Quarzstaubwerte am höchsten, aber auch auf jeder Baustelle kommt es zur Belastung der ArbeitnehmerInnen. Beim Sandstrahlen von Oberflächen kann es sowohl durch den Quarzsand, der als Schleifmittel eingesetzt wird, als auch durch den Abrieb von quarzhaltigen Oberflächen zu extrem hohen Belastungen mit Quarzstaub kommen.
Quarz ist eines der häufigsten Minerale der Erdkruste und daher praktisch in allen Gesteinen enthalten. Chemisch gesehen handelt es sich dabei um Siliziumdioxid, und zwar in seiner kristallisierten Form. Das Material ist chemisch sehr beständig, was in vielen Anwendungen von Vorteil ist. In der Industrie ist Quarz eines der wichtigsten Minerale und hat als Baustoff wie als Rohstoff für die Keramik-, Glas- und Zementindustrie Bedeutung.
Schon in der Antike war bekannt, dass die Arbeit in Bergwerken häufig Lungenkrankheiten nach sich zog. Der italienische Arzt Bernardo Ramazzini lieferte um 1.700 eine genaue Beschreibung von Silikose als Berufskrankheit von Steinmetzen. Er gilt gemeinhin als der Begründer der modernen Arbeitsmedizin.
Krankheitsverlauf
Wenn Staub eingeatmet wird, lagern sich größere Teilchen in den oberen Luftwegen ab, vor allem im Nasen- und Rachenbereich, mittelgroße gelangen in die Luftröhre und in die Bronchien, während die kleinsten Teilchen bis in die Lungenbläschen vordringen können. Das gilt zunächst für alle Staubteilchen. Doch wegen seiner chemischen Beständigkeit kann Quarzstaub dort von den Abwehrzellen des Körpers nicht entfernt werden. Ähnliches gilt auch für andere Stäube, die chemisch wenig reaktionsfreudig sind; sie werden alle als „inerte Stäube“ bezeichnet.
Die anhaltenden, aber fruchtlosen Versuche der Abwehrzellen, die Staubteilchen aus dem Körper auszuschleusen, führen mit der Zeit zu Entzündungsreaktionen, und zwar umso rascher, je mehr Staub sich in der Lunge abgelagert hat. In der Folge kommt es zu Schäden an der Lunge, wodurch diese ihre Funktion nicht mehr erfüllen kann. Die für Silikose typische Atemnot ist die Folge. Da die geschädigte Lunge auch anfälliger für bakterielle Infektionen ist, kommt es in vielen Fällen auch zum Auftreten von Tuberkulose, der sogenannten Siliko-Tuberkulose.
Schließlich kann Quarzstaub auch Krebs auslösen. Die biologischen Mechanismen der Krebsentstehung sind noch nicht völlig geklärt. Der von Quarzstaub ausgelöste Lungenkrebs scheint stets als Folge von Silikose aufzutreten. Dementsprechend hat auch die Internationale Agentur für Krebsforschung (IARC), eine Teilorganisation der Welt-Gesundheitsorganisation (WHO) Quarzstaub als krebserzeugend eingestuft. Mit dem Sozialversicherungs-Änderungsgesetz 2012 wurde Lungenkrebs als Folge von Silikose in Österreich in die Liste der anerkannten Berufskrankheiten aufgenommen.
Die Zahl der Erkrankungen an Silikose geht in Österreich zurück (siehe Kasten). Dies liegt zum Teil daran, dass die Zahl der Beschäftigten im Bergbau sinkt: Während dort 1970 etwa 15.000 Arbeiterinnen und (vor allem) Arbeiter beschäftigt waren, waren es 2011 nur mehr 3.500, also weniger als ein Viertel. Doch auch strengere Grenzwerte und bessere Maßnahmen zum Schutz der ArbeitnehmerInnen vor Staub trugen wesentlich zur Verringerung der Exposition bei.
Spitze des Eisberges
Bis sich Symptome von Silikose zeigen, kann sehr viel Zeit vergehen („Latenzzeit“). Daher wird bei Symptomen von Lungenschäden in vielen Fällen nicht bedacht, dass eine lang zurückliegende Exposition gegenüber Quarzstaub die Ursache sein kann. Aus diesem Grund ist – wie bei den meisten Berufskrankheiten – anzunehmen, dass die anerkannten Fälle von Berufskrankheiten nur die Spitze des Eisbergs darstellen und die Zahl der beruflich bedingten Erkrankungen an Silkose, die nicht als solche erkannt werden, ein Vielfaches beträgt.
Gerade bei einer Krankheit wie Silikose, die nicht heilbar ist, hat die Vermeidung (Prävention) höchste Priorität. Nachdem bereits in Deutschland ab 1929 und in Österreich ab 1937 erste Schritte zur Verhinderung von Silikose gesetzt wurden, wurde 1949 in Leoben die Österreichische Staub- und Silikose-Bekämpfungsstelle (ÖSBS) ins Leben gerufen. Sie ist eine Teilorganisation der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt (AUVA). Stand anfangs der Schutz vor Quarzstaub im Vordergrund, weitete die ÖSBS ihren Wirkungsbereich in der Folge auf andere giftige oder krebserzeugende Stäube, z. B. Asbest, aus. Heute wird die Arbeitsplatzatmosphäre auf Stäube, Dieselmotoremissionen, Fasern und Feinstpartikelkonzentrationen untersucht; die Prävention der Staubbelastungen steht im Vordergrund.
In Österreich gilt derzeit ein Arbeitsplatzgrenzwert von 0,15 mg/m3 (Milligramm pro Kubikmeter). Mit 1. Jänner 2014 wird dieser Wert, der zur Zeit noch als Jahresmittelwert eingehalten werden muss, zu einem Tagesmittelwert. Während in Großbritannien ein Grenzwert von 0,3 mg/m3 als ausreichend angesehen wird, gilt in Italien ein Wert von 0,05 mg/m3, also nur ein Drittel des Wertes in Österreich. In Deutschland ist überhaupt kein Arbeitsplatzgrenzwert festgelegt, da dort Quarzstaub als krebserzeugend gilt und daher die Exposition jedenfalls so gering wie überhaupt möglich gehalten werden muss.
Aber nicht nur die einzelnen Staaten sind bei der Bekämpfung von Silikose tätig, auch auf EU-Ebene können im Rahmen des ArbeitnehmerInnenschutzrechts Regelungen getroffen werden, die dann zumindest einen Mindeststandard in der EU darstellen. So wurde und wird diskutiert, einen verbindlichen Grenzwert für Quarzstaub in die Richtlinie über die Gefährdung der Arbeitnehmer durch Karzinogene (krebserzeugende Arbeitsstoffe) aufzunehmen. Das Wissenschaftliche Komitee für die Festlegung von Arbeitsplatzgrenzwerten (SCOEL), das aus Toxikologen besteht und die EU-Kommission berät, sprach sich 2003 für die Festlegung eines Grenzwertes unter 0,05 mg/m3 aus.
Doch die Industrie fürchtete einen derartigen Grenzwert, der ein Mindestniveau des Schutzes in allen Mitgliedstaaten festlegen würde. Daher setzte sie sich dafür ein, dass ein alternativer Weg beschritten würde, den der EU-Vertrag ermöglicht, nämlich ein Sozialpartner-Abkommen zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbänden an Stelle einer EU-Richtlinie (siehe Kasten 28). Mit diesem Abkommen, das 2006 abgeschlossen wurde, gelang es der Industrie, die Festsetzung eines EU-weiten Grenzwertes vorerst zu verhindern. Nur der Bausektor trat dem Abkommen nicht bei: Die Europäische Bau- und Holzarbeitergewerkschaft (EFBWW) argumentierte, dass das Abkommen lediglich dazu diene, strengere gesetzliche Schutzmaßnahmen zu verhindern.
EU-Grenzwert nötig
Die Europäische Bau-Holz-Gewerkschaft behielt diese Position seither konsequent bei und sprach sich klar für eine Aufnahme von Quarzstaub in die Richtlinie über krebserzeugende Arbeitsstoffe und für die Festlegung eines Grenzwertes von 0,05 mg/m3 aus. Die gleiche Position wird auch vom Europäischen Gewerkschaftsbund (EGB) vertreten.
Ein EU-weiter Grenzwert für Quarzstaub in der Richtlinie über krebserzeugende Arbeitsstoffe wäre ein wichtiger Schritt im Kampf gegen Silikose und gegen Silikose-bedingten Lungenkrebs. Zumindest in Europa könnten diese schrecklichen und oft tödlichen Krankheiten bald der Vergangenheit angehören. Und dies könnte auch ein Beispiel für andere Länder sein, in denen der Kampf gegen Silikose erst beginnt.