Betrieb

Betriebe in Zeiten der Wetterextreme

Tunnel Atzgersdorf c) ÖBB Michael Mayer.jpg

Herbst 2024, ein überfüllter Bahnsteig in Österreich. Ein Fahrgast redet auf die Zugbegleiterin ein. Offensichtlich zerren die Zugausfälle an den Nerven vieler Kund:innen. Der Mann zeigt erbost auf den beistehenden Securitymitarbeiter und den zufällig vorbeigehenden Verschieber in seiner dicken Schutzkleidung und ruft: „Sie können also nichts dafür, der Herr kann nichts dafür und dieser Herr auch nicht.“ Die Zugbegleiterin bleibt freundlich. Was soll sie sagen? Ja, in der Tat, niemand von ihnen kann etwas dafür, dass wieder eine Garnitur ausfällt. 

Mitte September gingen das Sturmtief Anett über weite Teile Niederösterreichs nieder. Das gesamte Bundesland wurde aufgrund nie dagewesener Regenmengen zum Katastrophengebiet erklärt. Beim Atzenbrugger Eisenbahntunnel nahe dem Bahnhof Tullnerfeld fallen beide Pumpkraftwerke gleichzeitig aus, nachdem das Wasser durch die Notausgänge hineingeströmt war. Am Ende stand es im Tunnel einen Meter siebzig hoch. Die Schäden werden sich laut ÖBB auf 100 Millionen Euro belaufen. Bis zum 15. Dezember soll zumindest provisorisch die Hochgeschwindigkeitsstrecke wieder befahrbar sein. Ein enormer Kraftakt für alle Beteiligten. 

Auch der Serverraum im Bahnhof Tullnerfeld stand unter Wasser. Der ist notwendig, weil auf der Strecke ein digital gesteuertes Zugsicherrungssystem verbaut ist. Über sogenannte Balisen (die als kleine gelbe Kästen auf den Schwellen zu erkennen sind) wird mit den vorbeifahrenden Zügen elektronisch kommuniziert. Wartungsanfälligere Signale sind deshalb nicht mehr nötig und so kann die Strecke mit einer Höchstgeschwindigkeit von 250 km/h gemäß ETCS (Level 2) befahren werden. Unter anderem wurde diese Technik durch das Hochwasser zerstört und muss jetzt binnen kürzester Zeit mittels schwer zu beschaffender Ersatzteile aus ganz Europa ersetzt werden.

Einsatz, damit der Zug fährt

Vieles funktionierte damals gut, im Angesicht der Katastrophe. Betroffenen Bahnstrecken wurden frühzeitig gesperrt, Reisewarnungen rechtzeitig ausgegeben. Als die Menschen sahen, dass Flüsse und Bäche immer bedrohlicher anstiegen, hielten sie zusammen. Die Freiwilligen Feuerwehren unterstützen die Unternehmen ÖBB und EVN im Kampf um den Erhalt der lokalen Infrastruktur. Deren Mitarbeiter:innen leisteten freiwillige Zusatzdienste, obwohl sie in Sorge um das eigene Haus sein mussten, das ebenso von den Fluten bedroht war.

Die Schwierigkeiten der Aufräumarbeiten begleiten die Eisenbahner:innen seit dem. Im Katastrophenfall erweisen sich die Liberalisierungen der letzten Jahre durchaus als hinderlich, deutet Robert Hofmann, Zentralbetriebsratsvorsitzender der ÖBB Infra, im Gespräch mit der Wirtschaft und Umwelt an. Beispielsweise wird mittlerweile die Baustellenabsicherung an Drittfirmen vergeben. Die Kolleg:innen dort arbeiten gut und sorgfältig, nur sind sie nicht mehr Teil des Bahnunternehmens. In einem integrierten Konzern kommunizieren die Akteur:innen mehr miteinander und sie identifizieren sich mit dem Unternehmen. Insbesondere im Streckenmanagement und der Anlagentechnik arbeiten sehr unterschiedliche Berufsgruppen zusammen.

Angesichts der Überschwemmungen wurde jedes Paar helfende Hände gebraucht und die „Eisenbahnfamilie“ hielt zusammen. Damit dies auch weiterhin so sein kann, muss dem zunehmenden Fachkräftemangel begegnet werden. In den nächsten Jahren werden bei den ÖBB 17.500 Mitarbeiter:innen in Pension gehen. Der Markt für Fachkräfte ist weitgehend lehrgefegt und deswegen kommt der Lehrlingsausbildung eine große Bedeutung zu. Im Betrieb sollte der Wissenstransfer zwischen den älteren Kolleg:innen und den Auszubildenden gelingen.   

Gemeinsam die Krise meistern 

Das kann nur glücken, wenn die Verkehrsbetriebe attraktive Arbeitgeber bleiben. Die zunehmenden Extremwettereignisse verändern die Arbeitswelt. Noch immer ist das Arbeitsrecht auf den Regelbetrieb ausgelegt. Aber die Lage verändert sich drastisch: Neue Berufskrankheiten entstehen unter Eisenbahner:innen, beispielsweise durch die vermehrte UV-Strahlung. In den Kernberufen des Eisenbahnsystems, von den Verschieber:innen bis zu den Sicherheitstechniker:innen, müssen viele arbeiten, wenn teilweise 40–50 Grad Celsius über den Gleisbetten herrschen. In den Böschungen erzeugt das Ragweed Hautausschläge.

All diesen neuen Schwierigkeiten kann durchaus mit einzelnen Gegenmaßnahmen begegnet werden, wie beispielsweise mit klimatisierten Triebfahrzeugen, dem Weißen der Gleise, um weniger hitzebedingte Gleisverwerfung zu haben, oder stärkeren Abpumpanlagen. Viele dieser Maßnahmen erfordern zugleich einen höheren Personalbedarf. 

Das Pflichtbewusstsein ist noch immer auf hohem Level bei den ÖBB, meint Robert Hofmann, aber die dauernden Bilder von Katastrophen, verärgerte Fahrgäste und die immer selteneren Ruhephasen eines überblickbaren Normalbetriebs machen auch seelisch etwas mit den Kolleg:innen. In den Betrieben müssen die Mitarbeiter:innen vor Überlastung geschützt werden und der Fokus muss verstärkt auf der betrieblichen Gesundheitsförderung liegen. Es braucht Arbeitsbedingungen, die den aktuellen Entwicklungen angepasst sind, um gemeinsam die zukünftigen Herausforderungen zu meistern. Denn Jobs mit Nachtschichten, sowie Sonn- und Feiertagsarbeiten stehen aktuell nicht sehr weit oben in der Beliebtheitsskala von Arbeitnehmer:innen