Schwerpunkt

Klimaresiliente Infrastruktur

Ein Land im Ausnahmezustand

Im September 2024 brachte Sturm Boris unglaubliche Wassermassen in kürzester Zeit. Große Teile Niederösterreichs standen unter Wasser, das gesamte Bundesland wurde zum Katastrophengebiet. Ganze Häuser wurden zerstört, insbesondere solche, die erst vor wenigen Jahren errichtet worden waren. Mühsam erwirtschaftete Existenzen wurden vernichtet. Nicht nur Privatpersonen hatten zu leiden, komplette Industrien und deren Infrastruktur versanken in den Fluten. Die erst kürzlich errichtete Westbahnstrecke über das Tullnerfeld stand teilweise vollständig unter Wasser. Pendler:innen und Zugreisende wurden nach dem „1000-jährlichen Hochwasser“ lange auf die Probe gestellt. Drei Monate lang musste die Westbahnstrecke über das Tullnerfeld aufgrund der schweren Schäden gesperrt bleiben, da die nötigen Bauteile zur Reparatur nicht verfügbar waren. Bei diesem Extremereignis hat das Wetter nicht einmalig „verrückt gespielt“, sondern es ist unmittelbare Folge der Klimaerhitzung. Weltweit war 2024 das wärmste Jahr seit Beginn der Aufzeichnungen und das erste mit einer Durchschnittstemperatur von mehr als 1,5 Grad Celsius über dem vorindustriellen Niveau. Wenn gegen die Klimakatastrophe nicht rasch und energisch gehandelt wird, werden weitere, schwere Hochwasser folgen. 

Zugleich zeigte das Hochwasser aber auch, wie gut die Warnungen und der Katastrophenschutz in Österreich funktionierten. Es waren „nur“ vier Todesopfer zu beklagen, während es bei den Überschwemmungen im Oktober in Valencia Hunderte Opfer gab. Hier wurden die Menschen zu spät und nur unzureichend gewarnt. Dass es dennoch auch in Österreich so viele Betroffene gab, lag an den unglaublichen Wassermengen, die Sturm Boris in kürzester Zeit vom Himmel fallen ließ. Die wirtschaftlichen Folgen sind enorm. Das WIFO berechnete die Kosten des Sturms in einer Schnelleinschätzung mit 1,3 Milliarden Euro für Österreich. Die Schäden für die Landwirtschaft werden auf rund 14 Millionen Euro und die für private Haushalte auf 700 Millionen Euro beziffert. Die wirtschaftlichen Schäden an Eisenbahninfrastruktur oder Dämmen sind dabei noch nicht eingerechnet. Die ÖBB kalkulieren Reparaturkosten im dreistelligen Millionenbereich für ihr Streckennetz. Diese Schäden könnten aber noch viel höher sein, hätte Österreich in den vergangenen Jahren nicht erhebliche Summen in den Hochwasserschutz investiert.

Das Herausbilden von Resilienz – in diesem Fall die vorausschauende Investition in die Hochwasserschutz-Infrastruktur – macht sich also bezahlt. Hätten die verheerenden Folgen des Hochwassers noch mehr gemindert werden können? Kritiker:innen führen an, dass der Perschling-Hochwasserdamm in Niederösterreich gebrochen ist, der seit über 20 Jahren auf seine Sanierung wartet. „Handeln so rasch wie notwendig“ sollte somit die Devise der nächsten Jahre lauten. Trotz Budgetengpässen sind für Hochwasserschutz inklusive Renaturierung ausreichend Finanzmittel vorzusehen, um weitere Katastrophen zumindest abzumildern. Genauso wichtig ist vorausschauende Planung mit Bauverboten in Gebieten mit Hochwassergefahr.

Dürre – die stille Bedrohung 

Während Hochwasser augenscheinliche und dramatische Schäden verursacht, ist Dürre oft eine schleichende Gefahr, deren Auswirkungen sich erst nach und nach offenbaren. In den letzten Jahren haben die Häufigkeit und Intensität von Dürreperioden in Österreich und Europa zugenommen. Laut einer Studie der Europäischen Umweltagentur (EEA) erlebten Länder wie Spanien, Italien und Griechenland gravierende Trockenperioden, die sich direkt auf die Landwirtschaft und Wasserreserven auswirkten. Der zunehmende Wassermangel führt bereits zu Konflikten zwischen Landwirtschaft und Tourismus in Spanien. In Frankreich gab es große Proteste gegen den Bau eines Wasserspeichers für die Landwirtschaft. Die Menschen sorgen sich, dass künftig zu wenig Trinkwasser zur Verfügung steht. In Deutschland wird über die Erweiterung des Tesla-Werkes Gigafactory Grünheide heftig diskutiert – es wird befürchtet, dass die Industrienutzung die Trinkwassersicherung gefährdet. 

Auch im ehemals wasserreichen Österreich ist die Dürre angekommen. Die Bilder des ausgetrockneten Zicksees und die niedrigen Pegelstände des Neusiedler Sees im Jahr 2021 erregten österreichweit große Aufmerksamkeit. Ein paar Jahre später sind beide Seen zwar wieder gut gefüllt, doch einzelne Regentage mit großen Mengen können nicht darüber hinwegtäuschen, dass es im Seewinkel generell zu wenig Wasser gibt. Insgesamt könnten in Österreich die Grundwasserressourcen bis 2050 um etwa 23 Prozent schwinden, während der Wasserbedarf um 13 Prozent steigt. Nutzungskonflikte rund ums Wasser werden zunehmen. 

Klimawandelanpassung ist das Gebot der Stunde

Es wird in den kommenden Jahren nicht gerade gemütlicher in Österreich werden – das lässt sich mit naturwissenschaftlicher Genauigkeit vorhersagen. So zeigt beispielsweise eine neue Studie des Wasser- und Umweltministeriums, dass die Klimakrise die Hochwassergefahr an kleinen Gewässern verstärkt. Höhere Temperaturen erlauben der Atmosphäre mehr Wasser zu speichern, wodurch extreme Niederschläge begünstigt werden. Der Klimawandel verändert zudem die globalen Niederschlagsmuster, sodass mehr Hochwässer durch Starkregen ausgelöst werden. Kurzzeitige Extremniederschläge nahmen in Österreich um 15 Prozent zu, und mittlerweile leben über 800.000 Menschen in Überschwemmungsgebieten.

Europäische Prognosen zeigen, dass Überschwemmungen und Dürren aufgrund sich ändernder Wettermuster in ganz Europa zunehmen werden. 2024 erlebten Österreich und Europa laut Copernicus-Klimawandeldienst den heißesten Sommer seit Beginn der Aufzeichnungen, der zu vielen Dürren führte. Zugleich sind zwischen 1998 und 2020 bereits 43 Prozent der Katastrophen­ereignisse in Europa auf Überschwemmungen zurückzuführen. Die bislang geplanten europäischen Strategien und Anpassungsmaßnahmen werden den zunehmenden Risiken nicht gerecht, wodurch sowohl Ökosysteme, Infrastruktur als auch Lebensmittelversorgung bedroht sind. 

Ein Blick auf die Kosten zeigt: Die wetter- und klimabedingten Schäden in Österreich belaufen sich aktuell auf rund 1 Milliarde Euro pro Jahr. Bis 2050 könnten die jährlichen gesamtwirtschaftlichen Schäden auf bis zu 8,8 Milliarden Euro steigen. Viel Geld also, das besser in klimafreundliche Infrastruktur investiert wäre, wie den Umstieg auf erneuerbare Energie, den Ausbau des öffentlichen Verkehrs, die Sanierung kommunaler Gebäude oder die Begrünung von Kommunen. Schätzungen zufolge ist in den Jahren von 2036 bis 2065 mit jährlichen Schäden von 430 Millionen bis 1.800 Millionen Euro zu rechnen. Extremereignisse wie ein 100-jährliches Hochwasser könnten Gebäudeschäden von 4 bis 7 Milliarden Euro verursachen, bis Ende des Jahrhunderts bis zu 41 Milliarden Euro. Allein um diese gigantischen Kosten abzuwehren, muss jetzt in die Klimawandelanpassung und das Herausbilden von Resilienzen investiert werden. 

Damit die Grundpfeiler unserer Daseinsvorsorge – Wohnen, öffentlicher Verkehr, Energie- und Wasserversorgung sowie auch die Gesundheitseinrichtungen – sicher bleiben, braucht es eine Infrastruktur, die auf die neuen Gegebenheiten vorbereitet ist. Bei Planung und Bau ist Klimaschutz zu berücksichtigen und Bodenversiegelung zu vermeiden, da versiegelte Flächen kein Wasser speichern können. Städte und Gemeinden spielen dabei eine Schlüsselrolle, stehen aber vor finanziellen Herausforderungen. Daher schlägt die Arbeiterkammer einen Klimainvestitionsfonds vor, um besser und zielgerichteter planen zu können.

Wie Resilienz ausbauen?

Auf europäischer Ebene wird der Kurs des European Green Deal nur schleppend fortgesetzt. Eine europäische Wasserstrategie soll dabei helfen, dass die Mitgliedstaaten künftig besser bei der Sicherung der Wasserresilienz zusammenarbeiten. Ihr Ziel ist es, Wasser für den menschlichen Gebrauch zu sichern, naturbasierte Lösungen zu stärken und eine wettbewerbsfähige EU-Was­serwirtschaft und -Kreislaufwirtschaft zu fördern. Wasser ist ein Menschenrecht. Eine EU-Strategie zur Stärkung der Widerstandsfähigkeit gegenüber Wasserknappheit muss in erster Linie den allgemeinen Zugang zu sauberem und erschwinglichem Trinkwasser und grundlegender Sanitärversorgung gewährleisten. In Zeiten zunehmender Wasserknappheit und konkurrierender Interessen bei der Wassernutzung muss klar sein, dass die öffentliche Wasserversorgung für den menschlichen Bedarf Vorrang hat. Um dies angesichts der immer schlimmer werdenden Wasserkrisen in der gesamten EU zu erreichen, sind öffentliche Kontrolle und Eigentum an Wasserressourcen, Betreibern und Infrastrukturen von entscheidender Bedeutung. Je mehr öffentliche Kontrolle, desto größer die Fähigkeit, öffentlich auf Wasserkrisen zu reagieren. 

Investitionen in Hochwasserschutzanlagen, wie etwa Dämme, Rückhaltebecken oder Zisternen, sind notwendige Maßnahmen für die Zukunft. Gleichzeitig brauchen Flüsse mehr Raum, um bei Starkregen nicht so stark anzusteigen (siehe Interview). Die nationale Umsetzung der Wiederherstellung von Ökosystemen ist dabei ein wichtiger Meilenstein. Wasser sollte bereits an Quell- und Nebenflüssen zurückgehalten werden, etwa durch Renaturierungsmaßnahmen an Bächen und Flüssen sowie durch den Schutz und die Wiederherstellung von Auwäldern. Weitere Maßnahmen zur Stärkung des natürlichen Wasserrückhalts umfassen dezentrale Regenwasserversickerung, Entsiegelung von Flächen, konservierende Bodenbearbeitung und Grünlandschaffung in der Landwirtschaft sowie veränderte Waldbewirtschaftung, Aufforstung und Wiedervernässung von Feuchtgebieten und Mooren. Diese Maßnahmen unterstützen nicht nur Gewässer-, Natur- und Klimaschutz, sondern erhöhen zugleich die Erlebbarkeit von Natur für den Menschen. Wo einst Wasser in Betonkanälen geflossen ist, entstehen nun wieder Biotope und Artenvielfalt. 

Viele Klimaentwicklungen sind leider längst unumkehrbar und wir werden mit verschärften Wetterextremen wie Hochwasser, Dürren oder Muren leben müssen. Um die negativen Auswirkungen für Mensch und Umwelt so gering wie möglich zu halten, sind jetzt Maßnahmen zu setzen: Einerseits muss der Ausstoß von klimaschädlichen Treibhausgasen so rasch wie möglich gestoppt werden und andererseits ist Klimawandelanpassung notwendig, die Menschen und Infrastruktur besser schützt. Öffentliche Investitionen und klimagerechte Planung entscheiden heute darüber, wie lebenswert unsere Zukunft wird.