Schwerpunkt

Ein Recht auf Naturgenuss

Freier Zugang: Die Natur gehört uns allen

Kommt ihnen das bekannt vor? Sie sind im Wald auf einem Weg unterwegs und stehen plötzlich vor einem Schild „Privatgrund – Betreten verboten“. Da stellt sich die Frage: Darf und soll ich nun weitergehen oder nicht? Gerade in den letzten Jahren wurden Wanderwege vermehrt von Grundeigentümer:innen gesperrt. Die beliebten Wege zu sperren, daran denken aktuell auch zwei Almbesitzer im Nationalpark Kalkalpen. Diese fordern mehr Rechte für ihre eigenen Almen – zum Beispiel private Auto-Zufahrten – und gleich auch noch weniger strenge Naturschutzauflagen. Wanderwege für die Allgemeinheit sperren – geht das denn so einfach in Österreich? 

An sich nicht. Es gilt generell im Wald und im Bergland ein Recht auf Wegefreiheit. Anders ist die Lage bei einem Wanderweg, der rund um einen See führt. Hier gilt die Wegefreiheit nicht. Solch ein Spazierweg rund um einen See kann vom Grundeigentümer jederzeit gesperrt werden. Daher gab es auch große Aufregung um einen Bergsee in Salzburg, wo der Grundeigentümer einen beliebten Wanderweg mit einem hohen Zaun absperren wollte. Schwieriger wird es auch beim Schwammerl- und Beerensuchen. Da ist die Rechtslage nicht eindeutig und führt immer wieder zu Konflikten zwischen Grundesitzer:innen und Erholungssuchenden. In Kärnten stellen Waldbesitzer:innen immer wieder Verbotsschilder für das Pilzesuchen im Wald auf. Selbst unter Juristen und Juristinnen ist nicht klar, ob das nun erlaubt ist oder nicht. Auch das Radfahren im Wald führt immer wieder zu Konflikten zwischen Eigentümern und Radler:innen. Denn: Radfahren/Mountainbiken im Wald ist gesetzlich verboten. Selbst auf breiten Forstwegen, die mit öffentlichen Geldern finanziert und von großen Forstmaschinen benutzt werden. Damit Radfahren und Mountainbiken im Wald möglich ist, gibt es Vertragsregelungen mit den Grundeigentümer:innen. Angebote, die von den  Erholungssuchenden gerne genutzt werden. 

Sommerzeit ist Badezeit. Es gibt in Österreich über 25.000 Seen. Leider sind viele Seeufer für die Allgemeinheit unzugänglich. In der Vergangenheit wurden diese mit Villen, Hotels und Zweitwohnsitzen zugebaut. Negativbeispiel ist der Wörthersee: 82 Prozent seines Ufers sind bereits privat. Nur neun Prozent sind öffentlich zugänglich. Glücklicherweise bemüht sich die Landes­regierung seit ein paar Jahren diesen Trend umzukehren. Auch 76 Prozent des Attersees und des Ossiacher Sees sind ebenfalls in privater Hand. Das Problem für Erholungssuchende: In privaten Seen und Gewässern ist das Baden nur mit der Erlaubnis der Eigentümer:innen möglich. Oft ist der Zugang bei privaten Stegen mit hohen Pachtgebühren oder mit Eintrittsgeldern in Seebäder verbunden. Gerade in Zeiten steigender Preise ist es aber noch wichtiger freie Zugänge zu schaffen, damit Baden nicht zum Luxusgut wird. 

Recht auf Wegefreiheit 

Schon vor der Pandemie war zu beobachten, dass immer mehr Menschen ihre Zeit in der Natur verbringen, egal ob im Wald, in den Bergen oder an Seen. Dieser Trend hat sich nun verstärkt. Umso bedauerlicher war es, dass im ersten Jahr der Corona-Pandemie der Zugang zu öffentlichen Parkanlagen, Seen und Wäldern mancherorts erschwert wurde. Besonders willkürlich waren die Sperren der großen Bundesgärten sowie der Parkplätze, die Ausgangspunkt von Wanderwegen sind, wo der Zugang am unproblematischsten gewesen wäre.

Zur Erholung in der freien Natur fehlt in Österreich bislang ein allgemeines Recht, das die Wegefreiheit und den Zugang gewährleistet. Dass es auch anders geht, zeigen Beispiele in Europa. So ist in der bayrischen Verfassung bereits seit 1947 ein „Grundrecht auf Naturgenuss und Erholung in der freien Natur“ verankert. Es ist festgehalten: „Staat und Gemeinden sind berechtigt und verpflichtet, der Allgemeinheit die Zugänge zu den Bergen, Seen und Flüssen und sonstigen landschaftlichen Schönheiten freizuhalten und allenfalls durch Einschränkung des Eigentumsrechts freizumachen.“ In den skandinavischen Ländern gilt das „Jedermannsrecht“, das Recht aller, die Natur und deren Früchte kostenlos zu nutzen. In der Schweiz gibt es weiter gefasste Betretungsrechte für die Allgemeinheit. Diese Beispiele zeigen, dass ein besserer Zugang zur Natur in einer Gesellschaft, in der es allen gut gehen soll und das Bedürfnis nach Erholung befriedigt werden kann, keine Utopie ist.

Eigentum verpflichtet sozial zu handeln

In Österreich gab es die ersten Bestrebungen für ein Gesetz über die Wegefreiheit im Bergland bereits im Jahr 1908 – also vor mehr als hundert Jahren. Vor fast 50 Jahren, im Juli 1975 wurde im Nationalrat das Forstgesetz beschlossen. Dies erlaubte erstmals allen per Gesetz den Wald zu betreten und sich dort aufzuhalten. Ein Meilenstein! Die Debatte zum Forstgesetz wurde im Nationalrat vom Kärntner SPÖ-Abgeordneten Herbert Pansi mit den Worten eröffnet. „Durch die Öffnung des Waldes wird aber auch die Bewegungsfreiheit unserer Staatsbürger wesentlich erweitert, denn der Mensch kann sich nun im Wald frei bewegen, und es werden zweifellos nunmehr die Waldbesucher im Wald jene Erholung finden, die sie von ihm erwarten“.

Nun, fast 50 Jahre danach, ist es hoch an der Zeit, einen nächsten Schritt zu setzen und ein Grundrecht auf Natur in der Verfassung zu verankern (siehe Seite 18–21) und das gesetzlich erlaubte Betreten zur Erholung nicht nur auf den Wald zu beschränken. Der Zugang zur freien Natur ganz allgemein, inklusive See- und Flussufern, Ödland, Almen, etc. sowie nicht zuletzt die Nutzung bestehender Straßen und Wege sollte hier inkludiert sein.  Damit sich die Menschen überall in der Natur erholen und frei bewegen zu können. 

Zur Klarstellung: Ein Grundrecht auf Naturgenuss stellt keine Enteignung der Eigentümer:innen dar. Vielmehr wird damit das Thema der Sozialpflichtigkeit des Eigentums in den Mittelpunkt gerückt. Es gibt keinen Quadratmeter Grund und Boden, der nicht irgendwem gehört. Rund 80 Prozent des Waldes und viele kleinere österreichische Seen sind im Privateigentum. Daher ist die Zugänglichkeit für die Allgemeinheit ungemein wichtig. Im deutschen Grundgesetz ist klar festgehalten, dass Eigentum zugleich auch dem Wohle der Allgemeinheit zu dienen hat. Der Abgeordnete Pansi formulierte es in der Debatte zum Forstgesetz 1975 so: „Wir hätten ja einen komischen Zustand, wenn jeder, der Eigentum besitzt, das Eigentum restlos nur für sich in Anspruch nehmen könnte und alle anderen ausschließt, weil ja nur ein kleiner Teil der österreichischen Bevölkerung in der Lage ist, Eigentum an Grund und Boden zu besitzen. Wir glauben, dass dann, wenn die breite Masse das Bedürfnis hat und ein echtes Bedürfnis auch wirklich gegeben ist, das Eigentum bestimmte Beschränkungen auf sich nehmen muss.“ Diese Worte gelten auch heute mehr denn je – in Zeiten, wo die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter aufgeht. 

Auch die öffentliche Hand, also Bund, Länder und Gemeinden, sind gefordert, den freien Zugang zu Natur und Landschaften zu fördern. Positivbeispiele gibt es. So ist in Wien fast das gesamte Donauufer frei zugänglich – auch die notwendigen sanitären Anlagen werden zur Verfügung gestellt. Und viele Städte und Gemeinden legen Wanderwege an. 

Schonender Umgang mit der Natur 

Es geht auch nicht um einen freien Zugang zur Natur der einlädt, sich in der Natur rücksichtslos zu verhalten. Es geht darum, sich in der Natur zu erholen. Für diesen Zweck ist ein freier Zugang unabdingbar. Wer die Natur genießen möchte, sollte auch verantwortungsvoll und schonend mit ihr umgehen. Klare Rechtsnormen mit effizienten Verfahren sind die Grundlage konfliktarmen Zusammenlebens. 

Das Wort „Overtourism“ deutet an, was passiert, wenn viele Menschen gleichzeitig am selben Ort Erholung suchen. Das Angebot für die Erholungssuchenden müsste dort, wo der Druck bereits jetzt schon besonders hoch ist, jedenfalls verbessert werden. Schon lange vor der Pandemie sind Erholungsgebiete in manchen Regionen an ihre Kapazitätsgrenzen gestoßen. Das Bedürfnis sich in der Natur aufzuhalten und zu bewegen wird wohl weiter zunehmen. Freizeitangebote auszubauen und gemeinsam Lenkungskonzepte für besonders beliebte Ausflugsziele zu entwickeln, könnte hier Abhilfe schaffen. Damit werden negative Auswirkungen auf Mensch und Natur vermieden. (siehe Seite 14 bis 16)

Je mehr Menschen sich im Wald, auf den Bergen oder an den Seen aufhalten, umso wichtiger ist es, den gemeinsamen Lebens- und Erholungsraum zu schonen und respektvoll mit allen Bewohner:innen und Nutzer:innen dieses Lebensraumes umzugehen. Daher sind bestimmte Spielregeln, wie man sich in der freien Natur verhalten sollte, wichtig. Folgende Regeln sollten gelten: Fußgeher:innen haben Vorrang gegenüber anderen Sportler:innen. Die Natur ist (ein) Lebensraum für viele Wildtiere. Diese dürfen nicht unnötig gestört werden. Freier Zugang zur Natur bedeutet auch, sich aktiv über den notwendigen fairen und respektvollen Umgang zu informieren. Und dort, wo Konflikte auftreten, ist der Dialog wichtig. 

Der Schutz der Natur ist zu jeder Jahreszeit wichtig. Im Winter sind es vor allem Wintersportler:innen abseits der Pisten, die in der unberührten Natur auf Schneehühner, Rehe oder Gemsen treffen. Forschungen zeigen, dass Birkhühner bei Schneearmut im Winter in höhere Lagen wandern. Sie können erst ab 30 cm Schneehöhe Schneehöhlen bauen, die sie zum Leben brauchen. Das ist nicht allen Skitourengehenden oder Schneeschuhwandernden wirklich bewusst. Daher sind Schutz- und Schongebiete für die Tiere notwendig, die von den Erholungssuchenden auch zu beachten sind. 

Wichtig ist angesichts der Klimakrise auch die Frage: Wie kommen wir überhaupt in die Natur? Mit dem Auto, dem Zug, dem Bus oder dem Fahrrad? Der Linienbusverkehr ist auf den Schul-, Einkaufs- und Berufsverkehr ausgerichtet. Dies erschwert die Planung von Wander-, Rad- oder Schitouren mit öffentlichen Verkehrsmitteln, oft ist dies kaum oder gar nicht möglich. In Österreich sollen bis 2030 die Treibhausgase beim Verkehr auf 15,7 Mio. Tonnen CO2 reduziert werden. Um dieses Ziel zu erreichen, muss auch der Pkw-Verkehr stark reduziert werden. Besonders im ländlichen Raum gibt es hier erheblichen Aufholbedarf. Es braucht dringend bessere Lösungen, damit Erholungssuchende die Natur mit öffentlichen Verkehrsmitteln gut erreichen können. Ansätze wie „Wanderbusse“ oder „Zug zum Berg“ gibt es – diese sind aber stark ausbaufähig.

Der Blick über unsere Grenzen zeigt, dass ein besserer und liberalerer Zugang zur Natur bereits gelebte Praxis in einigen europäischen Ländern ist. Es gilt nun, diese gelebte Praxis auch in Österreich umzusetzen.