Schwerpunkt

Naturschutz

Die Natur und ihr Schutz

In Österreich wiegen wir uns sehr gern in dem Gedanken, in einem wahren Naturparadies zu leben: Die landschaftliche Vielfalt Österreichs in Verbindung mit einem breiten Klimaspektrum ermöglicht unterschiedlichste natürliche Lebensräume und eine hohe Anzahl an Tier- und Pflanzenarten. Die Wasserqualität der österreichischen Seen und Flüsse ist vor allem dank verstärkter Investitionen in die Abwasserreinigung in den vergangenen Jahrzehnten wieder sehr gut. Der Waldanteil an unserem Staatsgebiet, der auch aufgrund einer langen Tradition ressourcenbezogen-nachhaltiger Forstbewirtschaftung und einem recht strengen Bundesforstgesetz sogar weiter zunimmt, beträgt heute rund 47 Prozent. Die (noch) vorwiegend kleinbetriebliche Struktur der österreichischen Landwirtschaft birgt zumindest Potenzial für eine vielfältige Gestaltung natürlicher Lebensräume und naturnahe Bewirtschaftungsformen: 2012 nahmen bereits über zwei Drittel aller landwirtschaftlichen Betriebe am „Österreichischen Programm zur Förderung einer umweltgerechten, extensiven und den natürlichen Lebensraum schützenden Landwirtschaft“ (ÖPUL) teil und rund 20 Prozent der Nutzfläche werden heute biologisch bewirtschaftet. Ist aus Naturschutzsicht also alles in eitler Wonne? 

Fakt ist auch, dass bereits seit den 1950ern sehr viele natürliche Refugien unserer Kulturlandschaft in Form von Feuchtgebieten, Feldrainen, Hecken und wilden „Gstettn“ der allgemeinen Mechanisierung und Intensivierung der Landwirtschaft zur Ernährungssicherung weichen mussten und heute selbst auf biologisch bewirtschafteten Flächen großräumig verschwunden sind. Der politisch geförderte ökonomische Wachstumsdruck auf den Sektor, aber auch der zusätzliche Feldanbau von Rohstoffen zur Energiegewinnung sowie die voranschreitende Bodenversiegelung verschärfen die Flächenkonkurrenz zu verbliebenen naturnahen Landschaftselementen nun noch weiter. Der Wegfall dieser natürlichen Korridore gefährdet aber letztendlich selbst den nachhaltigen Erhalt ausgewiesener Schutzgebiete (siehe Kasten Seite 17), die immer häufiger nur mehr isolierte ökologische „Inseln“ bilden. Die aus klimapolitischer Sicht positiv bewertete Steigerung der Nachfrage nach Biomasse für Heizzwecke erhöhte zudem den Anreiz, die Wälder gründlicher auszuputzen – mit entsprechend negativen Folgen für Waldökosysteme. Noch deutlicher betrifft dieser Zielkonflikt zwischen Klimaschutz und Naturschutz den natürlichen (morphologischen) Zustand der österreichischen Fließgewässer. Laut Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft (BMLFUW) sind bereits rund 80 Prozent aller Flüsse mit einem Einzugsgebiet größer als 100 km² durch Verbauungen wie Kraftwerke beeinträchtigt. Als überdies zunehmende Probleme für die heimische Artenvielfalt gelten die unkontrollierte Verbreitung gebietsfremder Arten (Neobiota) sowie der Klimawandel. 

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In Anbetracht dieser komplexen wie vielfältigen Bedrängnisse der heimischen Natur wurde das weitgefasste Ziel eines Stopps des weiteren Verlusts an biologischer Vielfalt bis 2010, zu dem sich Österreich im Rahmen der ersten EU-Biodiversitätsstrategie im Jahr 2002 bekannte, wohl auch mangels bereichsübergreifender Koordination verfehlt. Umso wichtiger bleibt daher die Aufgabe von Naturschutz-NGOs und der EU-Kommission, alle hierzulande Verantwortlichen in die Pflicht zu nehmen, Schutzziele erfolgreicher umzusetzen. Aber wie steht es dabei um die Wirksamkeit der eingesetzten Instrumente?

Rechtlicher Fleckerlteppich

Der rechtliche Naturschutz ist in Österreich in Gesetzgebung und Vollziehung Bundesländersache. Nach einheitlicher Definition der Länder besteht dabei eine allgemeine Verpflichtung zum Schutz und zur Pflege der Natur als Lebensgrundlage für Menschen, Tiere und Pflanzen. Nichtsdestotrotz gibt es dennoch neun eigene Landes-Naturschutzgesetze, in denen auch EU-weit geltende Richtlinien wieder in unterschiedlicher Ausprägung umgesetzt werden. Verkomplizierend kommen die einzelnen Landesjagd- und Fischereigesetze hinzu, welche ebenfalls den Umgang mit bestimmten Arten regeln. Als Konsequenz muss man sich in der österreichweiten Naturschutzarbeit mit dutzenden länderspezifisch verschiedenen Gesetzen auseinandersetzen – exklusive noch vieler angelagerter Verordnungen. Einzige Ausnahme bildet die Errichtung und Erhaltung von Nationalparks, die mittels des klassisch-österreichischen Minimalkompromisses einer Bund-Länder-Vereinbarungen gemäß Artikel 15a der Bundesverfassung geregelt ist. Eine einheitliche Regelung des Naturschutzes auf Bundesebene wie in der Schweiz, oder ein Bundesnaturschutzgesetz wie in Deutschland scheiterte in Österreich bislang am Widerstand der Länder. Der rechtliche Fleckerlteppich verhindert so weiterhin die wirksame Umsetzung vieler international vereinbarter Schutzziele: Tiere halten sich nun einmal nicht an Ländergrenzen, zudem kann eine Art oder ein Lebensraumtyp in einem Bundesland noch verbreiteter vorkommen, bundesweit dennoch Seltenheitswert haben. 

Zuckerbrot

Ein hierzulande ergänzend sehr häufig eingesetztes Instrument ist der Vertragsnaturschutz – sei es im Aufbau von Naturwaldreservaten, bei Natura 2000, besonders aber in der Landwirtschaft (ÖPUL). Dabei wird von der Behörde mit den GrundeigentümerInnen gegen finanzielle Aufwands- und Ertragsentschädigung vereinbart, naturverträgliche Formen der Flächenbewirtschaftung in der Kulturlandschaft anzuwenden sowie bestimmte Pflegearbeiten durchzuführen. Derzeitige ÖPUL-Naturschutzmaßnahmen umfassen beispielsweise die Erhaltung von Streuobstwiesen, Blühstreifen, oder die Mahd von Steilflächen. Im Gegenzug erhalten die teilnehmenden ÖPUL-Betriebe zurzeit insgesamt rund 540 Millionen Euro pro Jahr, wobei etwa die Hälfte EU-Mittel sind. Grundsätzlich können solche Vertragsnaturschutz-Modelle dort, wo naturschutzrechtliche Verbote sowie Anzeige- und Bewilligungspflichten – aus welchen Gründen auch immer – kaum durchsetzbar sind, effektive Instrumente sein, um den Erhalt von Arten und Lebensräumen zu verbessern. Allerdings diente das ÖPUL bisher mehr der Sicherung agrarischer Einkommen als dem Naturschutz, denn die Vergabe hierfür eingesetzter öffentlicher Mittel zielte nur auf die Einhaltung der definierten Bewirtschaftungs- und Pflegemaßnahmen ab, nicht jedoch auf deren tatsächliche, d.h. ökologische Wirksamkeit. Besonders auch im Interesse der SteuerzahlerInnen braucht es deshalb in Zukunft unbedingt mehr begleitendes Monitoring sowie mit den jeweiligen GrundeigentümerInnen konkret vereinbarte Erhaltungs- bzw. Schutzziele.

Schützen versus 
konservieren

Unabhängig von den Schwachstellen in der Anwendung beschriebener Instrumente steht man in öffentlichen Diskussionen und Interessenskonflikten wiederholt vor dem Problem fundamentaler Auffassungsunterschiede darüber, was Naturschutz eigentlich bewirken soll. Paradebeispiel ist der sogenannte „Käseglocken-Naturschutz“, der zwar in heutigen Naturschutzkreisen weitgehend als veraltete Sichtweise gilt, von SchutzgebietsgegnerInnen aber immer noch als gängiges Angst-Argument einer drohenden weitläufigen Außernutzungsstellung verwendet wird: In der Kulturlandschaft Österreichs ist die vermeintliche Wiederherstellung eines natürlichen „Urzustandes“, indem man Natur „unter den Glassturz“ stellt und damit allen menschlichen Einflüssen entzieht, in Wirklichkeit gar nicht möglich und erwünscht. Viele hier seltene „ursprüngliche“ Ökosysteme sind in ihrem Erhalt schon seit Jahrtausenden – nach Wegfall großer Pflanzenfresser wie Wildpferde oder Auerochsen – auf eine „ersatzweise“ Bewirtschaftung durch den Menschen angewiesen. Landschaften und mit ihnen die Lebensräume von Tieren und Pflanzen verändern sich zudem ständig auch ohne Zutun des Menschen, sind also nicht statisch. Die naturschutzrelevante Frage in einer Kulturlandschaft ist deshalb weniger, ob bewirtschaftet wird, sondern wie und mit welchem Ergebnis. 

Ausblick

Naturschutz verlangt nach einer zielorientierten Steuerung dynamischer Prozesse. Dabei kann diese Aufgabe nicht bloß in den Händen einer kleinen Gruppe von besonders Interessierten liegen, sondern muss auf breiter Ebene getragen und umgesetzt werden. Immerhin dient Naturschutz neben dem nachhaltigen Erhalt von natürlichen Ressourcen sowie funktionierender ökologischer Kreisläufe ebenso der Sicherung von Erholungs- und Erlebnisräumen als Quellen unserer aller Kreativität und Schaffenskraft. Um das allgemeine Bewusstsein für diese gemeinsame Schutzaufgabe überhaupt wecken zu können, muss als Voraussetzung genügend Wissen über heimische Tier- und Pflanzenarten vorhanden sein: vom Kindergarten über die Schulen bis hin zu den Beschäftigten in der Land- und Forstwirtschaft kann erst dann Natur wieder intensiv erlebbar werden. Denn nur was man kennt, kann man auch schätzen, nur was man schätzt, will man auch schützen, und nur was man schützt, bleibt auch für die Zukunft erhalten.