Schwerpunkt

Raum für gutes Leben

Ist die räumliche Entwicklung am Limit?

Österreich wächst, seit 1990 von 7,6 auf 8,9 Mio. EinwohnerInnen. Das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf hat sich in dieser Zeit auf ca. 42.000 Euro beinahe verzweieinhalbfacht, was uns 2018 weltweit in dieser Wertung an die 14. Stelle gebracht hat. Seit 1990 wurden ca. 1 Mio. zusätzliche Wohnungen und Einfamilienhäuser gebaut, die Anzahl der Autos hat sich von ca. 2,9 auf ca. 5 Mio. erhöht. Mit ca. 1,7 m2 Verkaufsfläche pro Kopf sind wir in Europa Spitzenreiter. Aber das Wachstum ist nicht gleich verteilt. Städte und deren Umland wachsen vielfach, etliche Gemeinden stagnieren, andere sind mit Schrumpfung konfrontiert. Diese Prozesse setzen sich innerhalb der Gemeinden fort. Vielfach ist der Ortskern von Unternutzung betroffen, am Ortsrand, auf der „grünen Wiese“ wird hingegen munter gebaut. Wachstum ist zwar einerseits vielfach gewünscht, andererseits mit negativen Folgen verbunden: landwirtschaftliche Produktionsflächen gehen verloren, sodass wir uns mit vielen Grundnahrungsmitteln nicht mehr selbst vollständig versorgen können. Trotz zahlreicher Bemühungen im Klimaschutz, etwa in der Gebäude­sanierung und im Ausbau erneuerbarer Energieträger – wo durchaus Erfolge zu vermelden sind – sind seit 1990 die Treibhausgasemissionen in Österreich gestiegen, und zwar vor allem durch zunehmende Emissionen des Verkehrs. 

Raumplanung bedeutet Lebensraumgestaltung

Wie kann dies aus raumplanerischer Perspektive interpretiert werden? Raumplanung bedeutet Lebensraumgestaltung, indem Baugebiete für Wohnen, Betriebe, Versorgung etc. ausgewiesen, die nötigen Erschließungen, sowie die von Bebauung freizuhaltenden Grünräume festgelegt werden. Damit werden räumliche Strukturen geschaffen, die unser Verhalten lenken, wie am Beispiel der Mobilität gezeigt werden kann. Werden die verschiedenen räumlichen Nutzungen (Wohnen, Einkaufen, Bilden, Versorgen, Arbeiten, Erholen) in kurzer Distanz und in einer ausreichenden Dichte angeboten, entstehen kurze Wege, die zu Fuß, mit dem Fahrrad und dem öffentlichen Verkehr – dem Umweltverbund – zurückgelegt werden können. So kann nachgewiesen werden, dass Personen, die in Städten oder Kleinstädten leben, erheblich kürzere Wegdistanzen pro Jahr zurücklegen und dies zu einem höheren Anteil im Umweltverbund tun, als Menschen im suburbanen „Speckgürtel“ oder im ländlichen Raum.

Umgekehrt beeinflusst auch unser Verhalten die räumlichen Strukturen. Wenn beispielsweise Geschäfte im Einkaufszentrum am Stadtrand stärker nachgefragt werden, ziehen sich die Geschäfte aus dem Ortskern zurück. Im Ortskern stehen die Erdgeschoßzonen oder ganze Gebäude vielfach leer. Dies betrifft in erster Linie kleinere bis mittlere Städte und Gemeinden. Aber auch in größeren Städten ist der Rückzug des Einzelhandels aus den Nebenstraßen und -gassen zu beobachten. Oft fehlt dann eine zündende Idee für die Nachnutzung der leerstehenden Gebäude oder Gebäudeteile. Häufig stehen sie aus verschiedenen Gründen, z.B. aus emotionalen Gründen oder in der Hoffnung auf Wertsteigerungen, teilweise auch mangels Nachfrage, leer. Begleitet sind diese Entwicklungen auch verstärkt mit großflächigen Einfamilienhausgebieten am Ortsrand oder in Siedlungssplittern. Damit steigt der Flächenbedarf für Bauland und Infrastruktur, die Nutzungsdichte sinkt und die Versorgung mit sozialen Einrichtungen, Bildungseinrichtungen, öffentlichem Verkehr und Nahversorgung ist gefährdet, weil die Zahl von potenziellen NutzerInnen in einem bestimmten Raum eine kritische Masse und damit eine sinnvolle Auslastung unterschreitet. Dies ist das Produkt von Einzelentscheidungen, die für sich genommen wenig erheblich scheinen mögen, aber in Summe massive Auswirkungen auf Struktur und Nutzung des Raumes haben. 

Die Dynamik in den Regionen

Aus einer regionalen bzw. überregionalen Perspektive haben diese Entwicklungen höchst unterschiedliche Ausprägungen. In den Wachstumsregionen ist Bauland knapp, die Baulandpreise werden dadurch in die Höhe getrieben. Die Leistbarkeit des Wohnens sinkt. Die Dichte übersteigt mancherorts das erträgliche Maß, in erster Linie auf Kosten von Freiraumfunktionen wie Erholung. Die Biodiversität leidet. Gleichzeitig erreicht das Verkehrssystem seine Kapazitätsgrenzen bzw. werden diese regelmäßig überschritten, wie die täglichen Staumeldungen im Verkehrsfunk genauso zeigen, wie übervolle PendlerInnenzüge. Die Nachfrage nach sozialen Dienstleistungen, Bildungseinrichtungen und Kinderbetreuungseinrichtungen steigt. Hier werden die Städte und Gemeinden vor die Aufgabe gestellt, das Wachstum in geeignete Bahnen zu lenken und die Finanzierung der öffentlichen Infrastruktur zu gewährleisten. Wachstum erfolgt aber häufig durch Zuzug. In den peripheren ländlichen Regionen sinkt hingegen die Bevölkerungszahl. Die Gemeinden kämpfen hier mit der Kehrseite dieser Wachstumsdynamik: mit abnehmender Bevölkerung geht auch die Nachfrage nach Nahversorgung, sozialen Diensten etc. zurück. Die Kosten für die Infrastrukturerhaltung müssen von weniger Personen getragen werden. Auch dies stellt die Gemeinden vor enorme Herausforderungen.  

Lösungsansätze

Was wäre zu tun? Raumplanungsfachlich ist die Lage relativ klar, seit Jahrzehnten weisen die Leitbilder nachhaltiger Raum- und Stadtentwicklung dieselben Planungsprinzipien aus: Nutzungsmischung, maßvolle Dichte, kurze Wege, Innenentwicklung, Energieeffizienz und Ressourcenschonung, sowie eine ausreichende Durchgrünung des Baulandes zur Hebung der Lebensqualität und Minderung von Klimawandelfolgen. Regional soll das Wachstum von Stadtregionen durch entsprechende Angebote in ausgewählte Kleinstädte bzw. ländliche Gemeinden gelenkt werden, die nach den genannten Planungsprinzipien entwickelt und durch einen leistungsfähigen öffentlichen Verkehr miteinander verbunden werden. Damit könnte der überwiegende Teil der negativen Effekte der Raumentwicklung für Umwelt und Gesellschaft vermieden und positive Effekte in Bezug auf die Lebensqualität der Bevölkerung herbeigeführt werden, und zwar sowohl in wachsenden, stagnierenden als auch schrumpfenden Gemeinden. 

Schutz von Grünland ist nötig

Im Wesentlichen würde das bedeuten, die Baulandentwicklung innerhalb der bestehenden Siedlungsränder voranzutreiben und nur in Ausnahmefällen, z.B. bei Industrieansiedlungen, diese zu überschreiten. Das schützt das Grünland und dämmt die Flächen­inanspruchnahme für Bauland und Infrastruktur ein. Damit können Lebensräume für wildlebende Tiere und Pflanzen sowie Flächen für die landwirtschaftliche Produktion gesichert werden. Gleichzeitig sorgt dies für eine bessere Ausnutzung des Baulandes, einen effizienteren Infrastrukturbetrieb und die Unterstützung der Energiewende (siehe Kasten rechts). Damit werden die Nahversorgungs- und öffentlichen Einrichtungen abgesichert und die öffentlichen Haushalte langfristig entlastet. Das Erzielen einer nachhaltigen räumlichen Entwicklung kann nur durch die Abstimmung von raumplanerischen Entscheidungen, Steuern und Förderungen, öffentlichen Investitionen und Bewusstseinsbildung in BürgerInnenbeteilungsprozessen gelingen. Raumplanung geht uns alle an, und es gibt viel zu tun!