Politik

Grenzausgleich für Klimaschutz

Protektionismus ist die Wirtschaftspolitik der Populisten. Durch Hindernisse für den Freihandel wollen sie die Wirtschaft vor ausländischer Konkurrenz schützen. So feiert der Protektionismus heute fröhliche Urstände. Die USA schotten sich gegen China ab und entfachen einen Wirtschaftskrieg, Großbritannien will seine einstige Größe durch neuerliche Isolation erreichen, und Indien versucht seine Wirtschaft durch steigende Importzölle zu schützen – drei Beispiele von vielen Staaten, in denen Populisten die Oberhand haben.

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Dabei ist eine aktive Industriepolitik auch bei offenen Grenzen möglich. Aktive Industriepolitik bedeutet, den produzierenden Sektor im wirtschaftlichen Gesamtgefüge bewusst zu stärken. Das kann etwa durch gezielte Ausbildungsmaßnahmen oder durch Anreize für Effizienz und Innovation geschehen. Das schafft ein Gegengewicht gegen die Tendenz zur Verlagerung von Unternehmen wegen niedriger Arbeits- oder Umweltkosten. Staaten mit einem starken Produktionssektor bewältigen Krisen besser als Staaten, die vor allem auf den Dienstleistungsbereich setzen. 

Faire und unfaire Vorteile 

Wenn Unternehmen aufgrund besserer Technik oder geringeren Energieverbrauchs kostengünstiger produzieren können als Konkurrenten im Ausland, ist es gerechtfertigt, dass ihnen dieser Kostenvorteil auch im internationalen Handel nützt. Wenn sie aber Kostenvorteile durch Sozialdumping oder Umweltverschmutzung erzielen, wird dies als ungerecht empfunden. 

Ein Unterschied in den Umweltkosten, der für einige europäische Unternehmen Bedeutung hat, sind die Kosten für Emissionszertifikate von Treib­hausgasen. Bei der Produktion in der EU kostet beispielsweise die Herstellung einer Tonne Stahl (beim gegenwärtigen Preis der Emissionszertifikate) etwa 40 Euro mehr als in Staaten, die bisher den Ausstoß von Treibhausgasen nicht beschränken. Bei einem Weltmarktpreis von etwa 600 Euro pro Tonne entspricht dies Mehrkosten von circa 7 Prozent.

Der europäische Emissionshandel (EU ETS) ist die wichtigste Klimaschutzmaßnahme in der EU. Sein Kernstück ist die Begrenzung der Gesamtmenge der Treibhausgase, die die teilnehmenden Industrieunternehmen gemeinsam ausstoßen dürfen. Diese Gesamtmenge wird von Jahr zu Jahr verringert, so dass die Gesamtemissionen sinken – bis 2030 um 43 Prozent gegenüber 2005. Ohne hier auf die Details des EU ETS einzugehen: Der Effekt ist, dass die Emission einer Tonne Kohlendioxid (CO2) in der EU derzeit etwa für Produktionsunternehmen mit 25 Euro zu Buche schlägt.

Carbon Leakage

Diese Kostennachteile gegenüber Importen können theoretisch einen Anreiz für die Verlagerung der Unternehmen in Länder außerhalb der EU – in sogenannte Drittstaaten – darstellen, ein Effekt, der als „Carbon Leakage“ bezeichnet wird. Es gibt bisher keinen Nachweis, dass eine solche Verlagerung wegen der CO2-Kosten tatsächlich stattfindet. Dennoch bekommen die produzierenden Unternehmen seit der Einführung des EU ETS im Jahr 2005 den Großteil der Zertifikate kostenlos zugeteilt. Der Effekt ist eine Subventionierung der europäischen Industrie, die 2018 in Summe etwa 9 Milliarden Euro ausmachte.
Diese Subvention wird unabhängig davon gewährt, ob tatsächlich billigere Konkurrenzprodukte aus Drittstaaten in der EU auf den Markt kommen oder ob EU-Unternehmen mit ihren Produkten am Weltmarkt durch die Mehrkosten einen Nachteil haben. Damit ist die Subvention durch Gratiszertifikate sowohl ineffizient als auch sehr teuer.

Als Alternative zu diesem ineffizienten System der Gratiszuteilung wird seit geraumer Zeit eine Art Zoll diskutiert. Werden Produkte wie Stahl, Zement oder Kunstdünger in der EU produziert, so fallen für sie Kosten für die ETS-Zertifikate an. Werden sie aus Drittstaaten importiert, in denen der Ausstoß von Treibhausgasen nichts kostet, so sollen sie mit einem Zoll belegt werden, der so hoch ist, dass der Kostenunterschied gerade ausgeglichen wird. Da das Wort „Zoll“ einen negativen Beigeschmack hat, wird stattdessen gern von einem „Grenzausgleich“ gesprochen, zu Englisch „Border Adjustment“ oder „Border Carbon Adjustment“ (BCA). Umgekehrt müssten für Exporte aus der EU in Drittstaaten die bei der Produktion gezahlten Zertifikatskosten rückerstattet werden. Damit würde sicher gestellt, dass Produkte aus der EU am Weltmarkt keinen Kostennachteil hätten.

Ein treffsicherer Ausgleich

Der Vorteil eines derartigen Zolls besteht in seiner Treffsicherheit. Denn es wird nur der konkret auftretende Kostennachteil der Produktion in der EU wettgemacht. Der Nachteil besteht darin, dass der Zoll nicht konstant sein kann, da er ja den jeweils geltenden Preis der ETS-Zertifikate ausgleichen soll; ihr Preis schwankt mit der Zeit.

Eine weitere Schwierigkeit besteht darin, dass auch in einigen anderen Staaten CO2-Emissionen einen Preis haben. In Südkorea, dem Land mit dem größten Emissionshandelssystem nach der EU, lag der CO2-Preis 2018 bei etwa 20 Euro. China hat Pilotprojekte für den Emissionshandel gestartet; in der Region Peking lag der Preis 2018 bei etwa 10 Euro. Werden aus derartigen Regionen Produkte importiert, so ist nur ein Zoll in der Höhe gerechtfertigt, der dem Unterschied zwischen den CO2-Preisen entspricht. 

Ein Grenzausgleich, der die Mehrkosten der Produktion in der EU wirklich ausgleicht, würde die Gefahr bannen, dass Unternehmen wegen der höheren CO2-Preise in der EU in Drittstaaten abwandern. Daher könnte – oder vielmehr müsste – dann auch das ineffiziente und kostspielige System der Gratiszuteilungen aufgegeben werden. 

Zulässige Beschränkung des Freihandels?

Zu den geschilderten Schwierigkeiten bei der Gestaltung eines zielgenauen Grenzausgleichs kommt ein weiteres Problem: Es ist offen, ob dieses System mit den Regeln der Welthandelsorganisation WTO vereinbar ist. Erstens dürfen nämlich für gleichartige Produkte nicht unterschiedliche Zollsätze angewendet werden. Ein Unterschied bei den Zollsätzen ist nur zulässig, wenn Unterschiede an den Produkten selbst feststellbar sind, nicht aber, wenn sie sich nur nach der Herstellungsweise unterscheiden. Ob bei der Produktion viel oder wenig Treibhausgase emittiert wurden, darf bei der Bemessung des Zolls nicht berücksichtigt werden. Zweitens dürfen importierte Produkte nicht mit einem höheren Zoll belegt werden als die in der EU produzierten. Drittens dürfen keine Exportsubventionen vergeben werden. 

Doch auf der anderen Seite wird ausdrücklich festgelegt, dass nichts im Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommen der WTO Umweltschutzmaßnahmen entgegenstehen darf. JuristInnen wälzen derzeit die Frage hin- und her, ob diese Ausnahme auch für Klimaschutz gilt. 

Auf europäischer Ebene hat Frankreich seit längerem die Idee eines Grenzausgleichs propagiert und dementsprechend bereits viel zur Vereinbarkeit des Instruments mit den WTO-Regeln erarbeitet. Nun hat auch die designierte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in ihrer Rede vor dem Parlament angekündigt, dass unter ihrer Präsidentschaft ein solcher Grenzausgleich eingeführt wird, um die europäische Industrie vor Carbon Leakage zu schützen. 

Dies ist ein Schritt in die richtige Richtung. Aber der Weg ist nicht einfach. Denn es gilt, den Grenzausgleich so gestalten, dass er gleichzeitig administrierbar und treffsicher ist. Nur so kann die EU zeigen, dass sie nicht dem protektionistischen Impuls nachgibt und den Grenzausgleich zur Abschottung der Wirtschaft verwendet.