Schwerpunkt

Raum für gutes Leben

Aus der Raum!

Wo und wie teuer soll man wohnen? Wie viel Nahrungsmittel sollen vor Ort produziert werden und wie viel Platz brauchen Industrie und Gewerbe? All diese Fragen werden für jeden Standort maßgeblich in der Raumordnung entschieden. Der Raumordnung kommt daher, gewissermaßen als Produzent von Standortqualitäten, große Bedeutung zu. Die Anforderungen an den Raum sind dabei vielfältig und beinhalten Ver- und Entsorgung (Einkaufsmöglichkeiten, Kanal usw.), Freizeit, Verkehr, Bildung, Gesundheit, Land- und Forstwirtschaft, Bergbau, Wohnen und Arbeit. Die Raumplanung hat zwischen diesen Interessen einen sektorübergreifenden Ausgleich zu schaffen. Der Spagat zwischen wirtschaftlicher Entwicklung und Ressourcenschonung ist dabei nicht immer zufriedenstellend zu meistern. 

Zuviel ist nicht genug

Die Raumordnung ist in den letzten Jahrzehnten dadurch geprägt, dass die Agglomerationen und dabei ganz besonders das Stadtumland, der sogenannte Speckgürtel, eine dynamische Entwicklung erfahren. Diesem Zuwachs steht ein Bevölkerungsrückgang in den strukturschwachen Gebieten und den Randlagen gegenüber. Überforderte Städte stehen dabei ebenso überforderten Gemeinden gegenüber. Die Städte schaffen es vielfach nicht, das enorme Wachstum durch Wohnungsneubau, Baulandmobilisierung, Umgestaltung des öffentlichen Raumes, Ausbau des öffentlichen Verkehrs, Qualitäts- und Quantitätssteigerung bei der Grünraumversorgung, Zurückdrängung der flächenfressenden Pkw, in den Griff zu bekommen, und so leistbare Lebensbedingungen für alle zu schaffen. Gemeinden in Randlagen wiederum müssen fast ohnmächtig zusehen, wie die – vornehmlich weibliche – Jugend die Region verlässt und die Bevölkerung schrumpft. Reagiert wird darauf vielfach mit der Ausweisung von noch mehr Bauland. Jedes Potenzial für neue EinwohnerInnen muss, geht es nach den Abwanderungsgemeinden, genutzt werden. 

In Österreich zeigt sich allgemein eine starke Verschiebung von Landwirtschaftsflächen hin zu Bau- und Verkehrsflächen. Letztere sind zwischen 2009 und 2012 um 10% gestiegen. Im gleichen Zeitraum wuchs die Bevölkerung, so das Umweltbundesamt im zehnten Umweltkontrollbericht, um gerade einmal 1,1%. Dies ist insofern umso bemerkenswerter als in Österreich bereits jetzt ein bedeutender „Baulandüberhang“ besteht. Das sind jene Grundstücke, die zwar als Bauland gewidmet, aber nicht als solches genutzt werden. Sie werden gehortet oder dienen der Spekulation und stehen der Entlastung des Wohnungsmarktes nicht zur Verfügung. In Österreich trifft das auf rund ein Drittel des derzeit gewidmeten Baulandes zu. Auf diesen Flächen könnte man allerdings die Hälfte des derzeit bestehenden Gebäudebestandes noch einmal errichten. Das Verprassen von Lebensraum im Rahmen einer ungeordneten Raumentwicklung ist angesichts der Herausforderungen des Klimawandels, der Energie- und Verkehrswende und des demographischen Wandels kontraproduktiv. 

Wer macht eigentlich die Raumordnung?

Trotz der vergleichsweise geringen räumlichen Ausdehnung verfügt Österreich über hochkomplexe und stark ausdifferenzierte Verfahren in der Raumordnung. Die örtliche Raumplanung gehört dabei gemäß der Bundesverfassung in den eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde. Die 2.100 Kommunen entscheiden in den Flächenwidmungsplänen, wo gebaut werden darf, wo Erholung stattfindet, wo Landwirtschaft betrieben und wo sich Betriebe ansiedeln können. Hintergrund dabei ist, dass die Körperschaften vor Ort über die lokalen Bedürfnisse der BewohnerInnen am besten Bescheid wissen. 

Ganz alleine ist ihnen die Entscheidung, wie mit den Flächen umgegangen werden soll, nicht überlassen. Die Landesregierungen fungieren als Aufsichtsbehörde und sollen, aus einer Vogelperspektive, die überörtlichen Auswirkungen der Gemeindeentscheidungen prüfen, bewerten und gegebenenfalls Änderungen urgieren. Die Landtage beschließen dafür in den Raumordnungsgesetzen den rechtlichen Rahmen für die Länder und die Gemeinden. Auch hier ist der Hintergedanke, die Entscheidungen vor Ort zu fällen, um auf die Unterschiede in den einzelnen Bundesländern optimal reagieren zu können. So stellt beispielsweise die „Donauplatte“ in Wien mit ihren zahlreichen, mehrere hundert Meter hohen Gebäuden zweifelsfrei andere Anforderungen an notwendige Regelungen, als freistehende Gebäude im Grünland des Bregenzer Waldes. Bei übergreifenden Planungen, wie der Verkehrs-, Bildungs- und Gesundheitsin­frastruktur, die das Bundesland oder die gesamte Republik betreffen, werden die Planungen, in einer ebenfalls übergeordneten Ebene, von den jeweiligen Landesregierungen, Magistraten und Bundesministerien mit eigenen Fachplanungsabteilungen durchgeführt, untereinander abgestimmt und den Kommunen zur Verfügung gestellt. In der Theorie ist also Vorsorge dafür getroffen worden, den Raum nachhaltig, sektorspezifisch übergreifend zu gestalten.

Was läuft schief?

Es ist richtig, dass die Entscheidungen über die mögliche Grundstücknutzung überwiegend in den Gemeinden getroffen werden. Ihnen alleine die Schuld an der gesamten Raummisere zu geben, ist allerdings unfair und auch sachlich nicht begründet. Tatsache ist, dass in vielen Gemeinden äußerst engagierte Personen agieren, denen das Wohl der Gemeinschaft am Herzen liegt. Zahlreiche Beispiele an positiven Entwicklungen im Bereich der Zentrumsstärkung oder der Absicherung von Einrichtungen der Daseinsvorsorge zeugen davon. 

In manchen Bereichen der örtlichen Raumplanung wird die starke lokale Vernetzung der Entscheidungsträger allerdings zum Fluch, da die Entscheidungen oft (auch) mit Vermögensgewinnen (etwa bei Umwidmungen) verbunden sind. Über klare überregionale Festlegungen ist Distanz zu Anlassfällen sicher zu stellen und so der Druck von den lokalen Verwaltungen zu nehmen. So könnten Vorkaufs- oder Ankaufsrechte der Gemeinden, Anordnungen zur Reduzierung vom Baulandüberhang, Baugebote, Möglichkeiten zur Lockerung des Bestandschutzes oder auch die Mobilisierung der inneren Nutzungsreserven überregional bzw. bundesweit getroffen werden. Viele Festlegungen, gerade jene mit überregionalen Auswirkungen, können auf der lokalen Ebene nicht in ihrer vollen Tragweite beurteilt werden, etwa Regelungen hinsichtlich der hochrangigen Verkehrsanbindungen oder jene des Platzbedarfs für den Hochwasserschutz im Allgemeinen. 

Es sind also mehr Entscheidungen auf Regions-, Landes- oder Bundesebene zu treffen. Regelungsmodi dafür existieren zwar in vielen Landesraumordnungsgesetzen, nur wird in den Gesetzen (sehr bewusst) der Entscheidungsspielraum offengelassen. Auswirkung ist, dass die Aufsichtsbehörden oft sehr nachgiebig, auch gegenüber sehr ambitionierten Widmungen der Gemeinden, sind. Geprüft wird oft nur auf die Übereinstimmung mit den „weichen“ Landesgesetzen, eine (überregionale) Sinnhaftigkeitsprüfung kann so in vielen Fällen nicht ernsthaft stattfinden. 

Gleiches gilt für Entscheidungen auf Bundesebene. Klare Grenzwerte, etwa bei Lärm, Emissionen und Immissionen, die den Schutz der Bevölkerung und die Raumentwicklung bundesweit einheitlich garantieren, sind faktisch inexistent. Über das kürzlich beschlossene Standortentwicklungsgesetz, mit seiner einseitig an vermeintlichem Investoreninteresse ausgerichteten Stoßrichtung, wurden sogar gegenteilige Maßnahmen gesetzt. Statt einer breiten Beteiligung und Einbindung der örtlichen Ebene – auch als Möglichkeit für eine rasche Verfahrensabwicklung und hohe Identifikation mit den Maßnahmen – werden selektiv Einzelinteressen über die der Mehrheit gestellt und ein rücksichtsloses „Durchboxen“ der Interessen der Wirtschaftskammern und der Industriellenvereinigung unterstützt. Eine koordinierte, gerechte Planung ist so unmöglich. 

Alle Jahrzehnte wieder

Raumordnung ist extrem langlebig. Heute gesetzte Maßnahmen entfalten ihre Wirkung erst in einigen Jahrzehnten. Umso bedauerlicher ist es, dass die heutigen Handlungsempfehlungen mit jenen übereinstimmen, die spätestens seit den 1980-er Jahren en vogue sind. Neben der Forcierung einer kompakten Siedlungsstruktur sind demnach polyzentrische Strukturen zur wohnortnahen Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen zu schaffen. Demographisch stabile Klein- und Mittelzentren sollten als Träger der Daseinsvorsorge die ländlichen Räume stützen. Ein siedlungsferner Neubau ist zu vermeiden. Bund, Länder und Gemeinden haben eine aktive Boden- und Wohnbaupolitik zu betreiben, um steuernd auf die Verfügbarkeit von leistbarem Bauland und leistbarem Wohnraum einzuwirken.

Letztlich ist die Zersiedelung mit ihren Auswüchsen hinsichtlich induziertem Verkehr, Land- und Ressourcenverbrauch eine Frage der politischen Courage. So lange der freie Verkehr vor den Gesundheitsschutz und so lange der schrankenlose Flächenverbrauch vor eine ökologische und regionalwirtschaftlich sinnvolle Entwicklung gestellt wird, muss jegliche Nachhaltigkeitsstrategie scheitern. Denn will man wissen was einer verpflichtend nachhaltigen Raumordnung fehlt, ist die Antwort: ebendiese.