Schwerpunkt
Umwelt und Verteilungsgerechtigkeit
Umweltpolitik ist sozial gerecht gestaltbar
Mit dem Klimaabkommen von Paris im Dezember 2015 hat sich die internationale Staatengemeinschaft das Ziel gesetzt, die Erderwärmung auf deutlich unter zwei Grad Celsius zu begrenzen. Gemäß wissenschaftlichem Konsens ist dafür bis Mitte des Jahrhunderts eine Reduktion des Treibhausgasausstoßes der Industrieländer um mindestens 80% gegenüber 1990 unerlässlich. Dies wird Maßnahmen zum Ausstieg aus der Nutzung fossiler Energie und eine weitgehende Transformation des Energiesystems erfordern. Wenn dabei die Verteilungsgerechtigkeit berücksichtigt und eine faire Gestaltung der Maßnahmen angestrebt wird, kann das auch ihre Umsetzung erleichtern.
Umweltpolitik und Verteilungsgerechtigkeit beeinflussen sich gegenseitig. Einerseits treffen Umweltbelastungen Menschen mit niedrigem Sozialstatus tendenziell stärker als jene mit höherem Status. Eine Verbesserung der Umweltsituation hat daher auch einen positiven Verteilungseffekt zur Folge. Andererseits verursachen Menschen mit höherem Einkommen mehr Umweltbelastungen. Dies bietet Ansatzpunkte, Umwelt- und Klimapolitik treffsicher und effektiv zu gestalten.
Wechselwirkungen
Studien für Österreich, Deutschland und die USA zeigen, dass der soziale Status eine Rolle dabei spielt, wie stark Menschen durch Umweltschadstoffe belastet sind. Sozioökonomische Faktoren wie Herkunft, Bildung und Einkommen beeinflussen Wohnbedingungen, Lebensstile, verfügbare Ressourcen und damit verbundene Gesundheitsrisiken. Zum Beispiel wohnen Menschen mit geringem Einkommen häufiger in der Nähe von Industrieanlagen oder stark befahrenen Straßen und sind deshalb tendenziell höherer Schadstoff- und Lärmbelastung ausgesetzt. Sie verfügen oft nicht über die nötige Information bzw. das Einkommen, um Umweltbelastungen auszuweichen. Die dadurch verursachten gesundheitlichen Effekte haben wiederum negative Auswirkungen auf Lebenseinkommen und Lebenserwartung.
In Österreich werden diese Zusammenhänge bislang nicht systematisch erfasst. Eine Analyse der Statistik Austria aus dem Jahr 2014 zeigt erstmals die Betroffenheit verschiedener Einkommensgruppen durch Umweltbelastungen. Es zeigt sich ein deutliches Gefälle nach Einkommensgruppen (Jahreshaushaltseinkommen): Menschen mit niedrigem Einkommen fühlen sich deutlich stärker durch Lärm, Gerüche/Abgase und Staub/Ruß im Wohnbereich belastet als jene mit hohem Einkommen.
Umweltpolitische Maßnahmen, die Schadstoff- und Lärmemissionen etwa aus Industrie und Verkehr reduzieren, können die Verteilungsgerechtigkeit erhöhen, weil sie Gesundheit und damit auch das zu erwartende Lebenseinkommen sozial Schwächerer steigern. Quantifizierungen dieser Wirkungen auf die Verteilung von Einkommen und Vermögen existieren für Österreich bisher nicht.
Bei der Umsetzung umweltpolitisch relevanter Maßnahmen wie Steuern und Förderungen ist zu beachten, dass diese häufig regressiv wirken, d.h. sie stellen für untere Einkommensgruppen im Verhältnis zu ihrem Einkommen eine größere Belastung dar. Besonders für die direkte Besteuerung von Energieverbrauch wie Abgaben auf Brennstoffe oder Elektrizität wurde dieser Effekt nachgewiesen. Das liegt daran, dass sozial Schwächere relativ gesehen einen größeren Anteil ihres verfügbaren Haushaltseinkommens für notwendige Ausgaben wie Heizung und Warmwasser aufwenden müssen und über weniger Substitutionsmöglichkeiten verfügen. Durch Ausgleichszahlungen an betroffene Haushalte kann dies jedoch kompensiert werden, z.B. in Form von Gutschriften und Rückvergütungen, oder durch die Förderung von Maßnahmen zur Verringerung des Energiebedarfs für Einkommensschwächere. Auf diesem Weg könnte sogar erreicht werden, dass umweltpolitische Maßnahmen eine positive Verteilungswirkung haben. Das erfordert jedoch eine genaue Analyse des länderspezifischen Steuer- und Transfersystems und dessen Wirkung auf verschiedene Einkommensgruppen.
Umwelt- und klimapolitische Maßnahmen sind umso effektiver, je mehr sie bei den AkteurInnen ansetzen, deren Verhalten am meisten zu Umweltproblemen beiträgt. Die Bilanzierung sogenannter „konsumbasierter“ Emissionen (auch ökologischer Fußabdruck genannt) zeigt, dass sowohl innerhalb Österreichs als auch im internationalen Vergleich die Einkommensstärksten für hohe Treibhausgas (THG)-Emissionen und einen überproportionalen Ressourcenverbrauch verantwortlich sind. Über Anreize zur Verhaltensänderung dieser Bevölkerungsgruppen und Länder könnte daher sehr viel erreicht werden.
Ansatzpunkte für Umweltgerechtigkeit
Ergebnisse eines aktuell unter Beteiligung des Umweltbundesamtes laufenden Forschungsprojekts („Innovate“, gefördert durch den Klima- und Energiefonds) zeigen, dass nach konsumbasierter Betrachtungsweise Österreichs THG-Emissionen um 50 Prozent höher sind als nach traditioneller Berechnung. Durch den österreichischen Konsum fallen also zusätzlich zu den im Inland verursachten Emissionen in anderen Ländern noch einmal halb so viele Emissionen an. Mehr als ein Drittel der konsumbasierten Emissionen Österreichs entsteht außerhalb der EU, insbesondere in China, Russland, Kasachstan, den USA und Indien. Um die von ÖsterreicherInnen verursachten Emissionen zu reduzieren, sind also strenge Klimaverpflichtungen in diesen Ländern ebenso wichtig. Der Fußabdruck der ÖsterreicherInnen steigt auch mit dem Einkommen (siehe Grafik unten).
Die mit dem Einkommensniveau ansteigenden Emissionen spiegeln unterschiedliche Verhaltensmuster und Lebensstile wider. Einkommensstärkere Gruppen reisen z.B. häufiger mit dem Flugzeug oder nutzen den PKW stärker, legen also ein emissionsintensiveres Mobilitätsverhalten an den Tag. Hier könnte die Umweltpolitik mit Anreizen zur Verhaltensänderung ansetzen. Im Rahmen des Innovate-Projekts wurden bisher Good-Practice-Beispiele aus verschiedenen Ländern in den Bereichen Mobilität, Bauwirtschaft und Gesundheit zusammengetragen. Beispiele inkludieren Kfz-Steuersätze, die vom CO2-Ausweis des Fahrzeugs abhängen (Niederlande); Fahrradschnellwege (Deutschland, Großbritannien); Kennzeichnungssysteme für nachhaltiges Bauen (Deutschland); und Förderungen für gemeinschaftliches oder temporäres Wohnen (Österreich, Großbritannien).
Auch im internationalen Ländervergleich zeigt der ökologische Fußabdruck des Global Footprint Network aus dem Jahr 2014, dass die entwickelten Länder der westlichen Welt global gesehen den höchsten Ressourcenverbrauch haben. Ganz vorne mit einem Fußabdruck von acht bis zehn Hektar pro Person liegen Länder der arabischen Halbinsel, dicht gefolgt von Dänemark, Belgien, Singapur, den USA und Schweden. Österreich liegt mit knapp unter sechs Hektar an 13. Stelle, deutlich vor Frankreich, Deutschland und Großbritannien. Im globalen Durchschnitt werden mehr Ressourcen verbraucht als die Kapazität der Erde (1,8 Hektar pro Person) hergibt. Um den momentanen Ressourcenverbrauch aufrechtzuerhalten, wären 1,5 Planeten nötig. Für eine Abkehr von diesem Trend ist eine grundlegende Änderung unserer Wirtschafts- und Verhaltensweisen notwendig. ¨