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Naturschutz

Finanzprodukt Natur

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Unsere Wirtschaft kann sich keine Planungsprozesse leisten, die teuer oder ineffizient mit Biodiversität umgehen, oder die Bauvorhaben und Infrastruktur blockieren, die unsere Wirtschaft braucht um zu wachsen. […] zum Glück gibt es einen Weg, unsere Planungsverfahren noch besser für Umwelt und Projektentwickler zu gestalten: Biodiversitätszertifikate“, so das Vorwort der Regierung Großbritanniens im Diskussionspapier von 2013 zur Einführung von Biodiversitätszertifikaten bei UVP-pflichtigen Bauvorhaben. 

Biodiversitätszertifikate

Großbritannien ist zum Vorreiter der monetären Bewertung von Natur und insbesondere der Weiterentwicklung von Ausgleichsinstrumenten in der Raumplanung avanciert. Infrastrukturprojekte im Wert von ca. 300 Milliarden GBP (Pfund Sterling) oder 368,7 Milliarden Euro sind geplant, und viele der Vorhaben bedürfen einer Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP). Bürger­Innen-Initiativen gegen viele der schon in Planung befindlichen Projekte zeigen, dass Betroffene vielerorts schon heute auf eine unbefriedigende Berücksichtigung ihrer Anliegen im Planungsprozess reagieren. Derzeit laufen insgesamt sechs Pilotverfahren, in denen die Regierung die Nutzung von Biodiversitätszertifikaten erproben lässt. Erfahrungen mit zwei konkreten Bauvorhaben zeigen bereits jetzt, wie Biodiversitätszertifikate benutzt werden, um formale Einwände einer BürgerInnen-Initiative bzw. eines Kreistags (District Council) gegen strittige Bauvorhaben abzuweisen. 

In North Tynside in Nordengland legten BürgerInnen-Initiativen Einspruch  gegen Bebauung einer als ‚Site of Special Interest‘ ausgewiesenen Fläche ein. Planungsrat und Schlichter begründeten die Bewilligung des umstrittenen Bauvorhabens eines Privatinvestors explizit mit der Option, dass zu erwartende Habitatzerstörung durch Biodiversitätszertifikate an anderer Stelle ausgeglichen werde. Einer der Hauptgründe für die Bewilligung des Projekts war dabei die Zusage der ‘Environment Bank’, einem privaten Anbieter von Kompensationsflächen, entstehende negative Auswirkungen auf Biodiversität durch Bereitstellung adäquater Flächen an anderer Stelle kompensieren zu können.

In Essex, im Süden Englands, ließ der Schlichter die Beschwerde eines Privatinvestors zu, der gegen die Ablehnung seines Neubaukomplexes durch den Kreistag klagte. Der Kreistag begründete die Ablehnung vor allem mit dem Risiko des Verlusts von Habitat für eine bedrohte Eidechsenart sowie unzureichende Prüfung auf Vorkommen anderer geschützter Arten auf dem vom Bau betroffenen Gelände. Der Investor hatte vorgeschlagen, die Habitatzerstörung durch Finanzierung einer größeren Fläche Habitats niedrigerer Qualität zu kompensieren, auf der die geschützte Art aber nicht vorkam. Auch sollte die Zerstörung des Habitats durch Finanzierung der Ausgleichsfläche über nur 25 Jahre abgegolten sein, unabhängig vom Zustand der Flächen zu diesem Zeitpunkt. ◊Biodiversitätszertifikate retten Essex Baukomplex“, titelte die lokale Tageszeitung.

Weitere Beispiele, bei denen Biodiversitätszertifikate benutzt werden, um umstrittene Infrastrukturprojekte gegen lokalen Widerstand durchzusetzen, finden sich in der Kurzbroschüre ‚Case studies of biodiversity offsetting‘. Das Netzwerk ‚No to Financialization of Nature‘ hat dazu ergänzend eine Fotodokumentation zusammengetragen.

Irrwege

Neu sind solche Erfahrungen nicht. Sie spiegeln vielmehr die Erfahrungen vieler Gemeinden im globalen Süden wider, auf deren Land Waldschutzprojekte unter dem Deckmantel des Klimaschutzes umgesetzt wurden und werden. Besonders deutlich zeigen unter dem Namen REDD (Reducing Emissions from Deforestation and Forest Degradation) vermarktete Projekte die Folgen einer monetären Bewertung, die Natur auf sogenannte Ökosystemleistungen – hier die Kohlenstoffspeicherkapazität der Wälder – reduziert. Befürworter solcher Kompensationsprojekte argumentieren ähnlich wie die Befürworter von Biodiversitätszertifikaten: Natürlich sollten zunächst Emissionen soweit möglich vermieden bzw. reduziert werden, aber immer noch besser, nicht vermeidbare Emissionen zu kompensieren, um den Schaden möglichst gering zu halten. 

Unberücksichtigt bleibt hier unter anderem die Frage, wer darüber entscheidet, was vermeidbar ist und was nicht – und wessen Stimme bei diesen Entscheidungen ignoriert wird. Bei Biodiversitätskompensation wird Natur auf eine Ansammlung von biologischer Vielfalt reduziert, deren Entwicklung der Mensch stört und vor dem Natur folglich geschützt werden muss, um sie zu erhalten. Die Argumentation hat sich schon im Zusammenhang mit Kompensationsprojekten im Klimaschutz als Irrweg erwiesen. Auch hier wurde argumentiert, dass eine Tonne CO2 in z.B. Österreich freizusetzen den selben Beitrag zum Klimawandel leistet wie eine Tonne CO2 in z.B. Indien oder Brasilien. Auch hier wird die Frage des sozialen Kontextes, in den Kohlenstoff – und CO2-Emissionen – eingebettet sind, ignoriert. Die Reduktion von Treibhausgasemissionen auf ihre chemische Zusammensetzung und Interaktion in der Atmosphäre verkennt, dass Kohlenstoff und seine Nutzung in spezifische soziale Strukturen, (Land-)Nutzungsformen und Produktionssysteme eingebunden sind, die eben nicht auf CO2-Äquivalenzen reduzierbar sind. 

REDD-Kompensationsprojekte zeigen, was passiert, wenn man dies doch tut. Im Süden Brasiliens etwa verloren traditionelle BewohnerInnen Zugang zu ihren Waldgärten, als die Wälder im Rahmen eines von der Naturschutzorganisation The Nature Conservancy unterstützten Projekts zum Lieferanten von CO2-Zertifikaten für die Konzerne General Motors, Chevron und American Electric Power deklariert wurden. Im brasilianischen Bundesstaat Amazonas gefährdet ein REDD-Projekt die Existenz von Kleinbauern, die ihre minimalen Kohlenstoffemissionen aus kleinflächigem Wanderfeldbau reduzieren oder die Bewirtschaftung aufgeben müssen, damit die Luxushotelkette Marriott Hotel trotz Emissionen, die um Größenordnungen über denen liegen, die die Kleinbauern verursachen, ihren Gästen klimaneutrale Übernachtungen anbieten kann. An der großflächigen Waldzerstörung durch industrielle Viehzucht und Infrastrukturprojekte wie dem Belo Monte Mega-Staudamm, deren Treibhausgasemissionen zudem um Größenordnungen höher liegen, ändern solche Kompensationsprojekte nichts. Dem Käufer der Zertifikate – ob Biodiversität oder CO2 – erlauben sie, klima- und biodiversitätsschädigendes Verhalten unter dem Deckmantel der Kompensation ungestört und guten Gewissens fortzusetzen. Die Webseite des World Rainforest Movement enthält eine umfangreiche Dokumentation über die Folgen solcher Klimaschutzkompensationsprojekte im Wald.

Die Schattenseiten der Kompensation, und der mit ihr verbundenen monetären Bewertung von Natur, wirken weit über Konflikte über individuelle Projekte hinaus. Sie sind Teil eines beginnenden Paradigmenwechsels in der Umweltgesetzgebung, der – sollte er erfolgreich sein – weitreichende Folgen für unseren Umgang als Gesellschaft mit natürlichen Lebensräumen – und miteinander – haben wird. Umwelt- und Naturschutzgesetzgebung sind seit 1992 durch Festsetzung klarer Grenzwerte und der Verankerung des Verursacherprinzips gekennzeichnet. Bei Nichteinhaltung gesetzlich festgesetzter Grenzwerte droht bisher eine zivil- oder strafrechtliche Verfolgung, deren finanzielle Folgen für Konzerne schwer kalkulierbar sind. Es besteht bisher somit ein klarer Anreiz zur Vermeidung. Wenn marktbasierte Instrumente wie Biodiversitätszertifikate in Umweltgesetzgebung und Raumplanungsverfahren verankert werden, führt dies in der Folge dazu, dass ehemals zivil- bzw. strafrechtlich relevante Verstöße gegen gesetzlich festgesetzte Grenzwerte mittels Zahlung einer Gebühr (Erwerb von Kompensationszertifikaten) gesetzeskonform werden. Zivil- bzw. strafrechtliche Verfolgung sind dann kaum noch möglich, weil das Gesetz Nichteinhalten von den festgesetzten Grenzwerten nicht mehr per se als Verstoß gegen das Gesetz definiert, sondern mittels marktkonformer Instrumente bzw. Zahlung von Gebühr als gesetzeskonform definiert. Damit werden auch die Kosten für Verletzung von Grenzwerten kalkulierbar für Konzerne, und somit versicherbar, steuersparend gegen Gewinne aufrechenbar, etc.. 

Folgenreicher Umbau

Ein solcher paradigmatischer Umbau der bestehenden Umweltgesetzgebung reduziert somit zwangsläufig den Anreiz für Vermeidung. Mehr noch, ein solcher Wandel schwächt auch einen der Grundpfeiler unseres demokratischen Verständnisses - dass vor dem Gesetz alle gleich sind. Eine Verankerung von Kompensationszertifikaten in Umweltgesetzgebung und Raumplanung, wie sie sich derzeit abzeichnet, eröffnet somit die Option, mittels Kompensationszertifikaten das Recht zu kaufen, gesetzlich festgelegte Grenzwerte zu missachten. Auch deshalb sind Kompensationszertifikate und die damit einhergehende monetäre Bewertung von Natur ein gefährlicher Irrweg, dem es sich zu widersetzen gilt.