Schwerpunkt

Knapper Boden

Der Boden unseres Wohlstands

Böden sind Lebensgrundlage und Lebensraum für Menschen, Tiere, Pflanzen und Bodenorganismen. Nach unten durch festes oder lockeres Gestein und nach oben durch eine Vegetationsdecke sowie die Atmosphäre begrenzt, leisten sie einen Großteil der stofflichen Umbau- und Abbauprozesse im Naturhaushalt. Böden dienen auch als wichtige Filter, Puffer und Speicher für den Wasser- und Stoffhaushalt: Nach den Weltmeeren sind sie der zweitgrößte Kohlenstoffspeicher der Biosphäre und daher von entscheidender Bedeutung für den globalen CO2-Haushalt. Ein Quadratmeter organischer Boden ist zudem in der Lage, Wasser bis zur fünffachen Menge des eigenen Gewichts aufzunehmen – und hat daher eine wichtige Rolle im Schutz vor Überflutungen. Für uns Menschen sind Böden darüber hinaus eine wichtige Grundlage wirtschaftlicher Entwicklung und materiellen Wohlstands: Sie sind Basis der Entwicklung von Städten, Dörfern, Gewerbegebieten und Verkehrsinfrastrukturen, dienen als Lagerstätten für Bodenschätze und Energiequellen, sind Grundlage der gesamten Land- und Forstwirtschaft und nicht zuletzt bewahrendes Archiv der Natur- und Kulturgeschichte. Böden stellen allerdings auch begrenzte Ressourcen dar, die durch die vielen Formen von Belastungen durch uns Menschen irreversibel verbraucht beziehungsweise zerstört werden. In Mitteleuropa benötigt die natürliche Neubildung einer fünfzig Zentimeter tiefen Bodenschicht rund 10.000 Jahre. 

Umkämpfte Ressource

Die begrenzte Verfügbarkeit von Böden führte schon immer zu verschiedensten, meist sehr emotional geführten Nutzungskonflikten bis hin zu kriegerischen Handlungen. Zweifellos eine Form des dauerhaft ausschließenden Wettbewerbs stellt dabei die klassische Nutzung als Siedlungsflächen oder befestigte Verkehrsflächen dar, weil hierbei alle weiteren, oben genannten Funktionen von Böden für mehrere Generationen (irreversibel) ausgeschaltet werden. Daneben gibt es aber auch (agrar)ökonomische, ökologische sowie soziale Konflikte hinsichtlich verschiedener Formen der Bodenbewirtschaftung, da diese die einzelnen Bodenfunktionen ebenfalls ungleich bis konträr beeinflussen. Lebhafte Beispiele solcher Auseinandersetzungen aus aller Welt sind Ackerbau versus Weidewirtschaft (z.B. in Darfur), Genmais versus konventionelle Sorten, Landwirtschaft versus ökologische Ausgleichsflächen sowie Nahrungsmittel versus Energiepflanzen. Und wenn es auch hierzulande so manche gern verleugnen: Angesichts der globalisierten Welt, in der wir heute leben, gilt für viele dieser Bewirtschaftungskonflikte zusätzlich das Problem „indirekte Landnutzungsänderung“ in Betracht zu ziehen. Paradebeispiel hierfür ist die weltweite Biotreibstoffproduktion, die immer mehr Anbauflächen für Lebensmittel in ökologisch sensible Gebiete wie Regenwälder verdrängt. 

Bodenverbrauch

Am anschaulichsten zeigt sich Bodenverbrauch in Österreich an der rasant voranschreitenden Flächenversiegelung. Bis vor einigen Jahrzehnten war noch der Kirchturm, eine Burg, eventuell auch ein Schornstein oder Getreidesilo der markanteste Blickfang vieler Ortschaften. Heute wird man hingegen von der stolzen Marktgemeinde aufwärts bereits an den extravaganten Kreisverkehren der Ortseinfahrt von überdimensionalen, nachts romantisch gelb beleuchteten Einkaufssackerln, noch gigantischeren roten Stühlen, kurvigen M’s und Co. eingeladen, doch gleich ins neue „Geschäfts- und Kommunikationszentrum“ der Region – der imposanten Shopping-Mall auf der vormals grünen Wiese – zu kommen: Parkplätze für Hundertschaften und alle westlichen Markentrends garantiert. Entschließt man sich dann doch, den „historischen“ Ortskern zu besuchen, wähnt man sich häufig in einem Freilichtmuseum inklusive „Übriggebliebener“ als Protagonisten meist älteren Semesters. Wer von den jungen BewohnerInnen keine Anstellung im Gewerbegebiet am Ortseingang gefunden hat, sucht mangels Alternativen sein Glück am Arbeitsmarkt längst in den größeren Ballungszentren. 

Umgekehrt verweisen aktuelle Jugendstudien darauf, dass sich immer mehr junge Menschen in den Städten nach einem (Einfamilien-)Haus im vorzugsweise stadtnahen, da arbeitsnahen Grünen sehnen. Gerade in Hinblick auf den Mangel an für Jungfamilien geeignetem, leistbarem Wohnraum in den Zentren ist dies ein sehr nachvollziehbarer Wunsch. Wachsen nun aber die Speckgürtel aufgrund der anhaltenden Suche nach günstigem Bauland immer mehr in die Breite, kommen zusätzliche Kosten für öffentliche Infrastrukturen hinzu. Dabei werden auch die Rufe nach den Umfahrungen der Umfahrungsstraßen noch länger nicht verhallen. Wenn für das freie Auge nicht unbedingt so sichtbar wie die Bodenversiegelung, so tragen jedoch auch andere Bereiche kräftig zu anhaltendem Verlust und dauerhafter Zerstörung von Böden bei. Hierzu zählen die (diffuse) Kontamination mit Schwermetallen aus der Industrie sowie Pestiziden und Düngern aus der Landwirtschaft, tief reichende (irreversible) Bodenverdichtung mit schweren Landmaschinen, oder großflächige Bodenerosion aufgrund nicht standortgerechter Bodenkultivierung. Zusammengefasst zeigt sich, dass Bodenverlust ein gesamtgesellschaftliches Problem und Bodenschutz somit eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist. 

Bodenschutz

Als Verbindung zwischen Wasser, Luft und Erde ist Boden eine Querschnittmaterie, die von verschiedenen gesetzlichen Regelungen (auch je nach Bodentyp) in unterschiedlichem Ausmaß unter Schutz gestellt wird. Eigentlich wäre Bodenschutz hierzulande sogar bereits seit 1984 als Teil des umfassenden Umweltschutzes verfassungsrechtlich verankert (BGBl Nr. 491/1984). 

Mit Ausnahme von Waldböden – die flächendeckend durch das Forstgesetz auf Bundesebene geschützt sind – verdeutlicht die in allen anderen Bereichen anhaltende Situation leichtfertigen Bodenverbrauchs jedoch wieder einmal, wie rechtlich zahnlos Verfassungsbestimmungen in Österreich sein können. Das Problem dabei liegt wieder einmal im Föderalismus. Während man etwa im nicht so kleinen Deutschland den Bodenschutz durch ein bundesweites Gesetz regelt, ist man in Österreich weiterhin fest davon überzeugt, dass burgenländische Böden rein gar nichts mit steirischen Böden und schon überhaupt nichts mit niederösterreichischen Böden gemein haben, was eine einheitliche Regelung verhindert. Das vorherrschende Kompetenz-Wirrwarr, verschiedene  Länder-Bodenschutzgesetze sowie eine Vielzahl weiterer bodenschutzrechtlicher Regelungen  schwächen effektiven Bodenschutz.

Das Problem der unterschiedlichen Zuständigkeiten besteht aber auch in anderen EU-Ländern. Zur Lösung legte die EU-Kommission 2007 einen Vorschlag zu einer einheitlichen EU-Bodenschutzrichtlinie vor. Auch wenn dieser das Problem der Bodenversiegelung aufgrund der subsidiären Zuständigkeiten durch die Raumordnung leider weitgehend ausgesparte, so sah der von der AK unterstützte Entwurf der Kommission dennoch vor, Prioritätsgebiete des Bodenschutzes auszuweisen und eine Basis für konkrete Maßnahmen, ein Meldesystem an die EU sowie einen Rahmen für Sanktionen zu schaffen. Großbritannien, Frankreich, Deutschland, die Niederlande und Österreich (nach Beschluss der Bundesländerkonferenz) lehnten den Vorschlag allerdings letztlich ab. „Zu aufwendig, zu teuer, zu bürokratisch, unnötig“, argumentierten die vehementesten Gegner – die Agrarlobbys der Länder. Ob hier nicht doch viel eher die Angst vor mehr dahinter steckte? Denn eigentlich hätte besonders Österreich mit Blick auf den sehr hohen Anteil an biologisch – und hierbei bodenverträglich – bewirtschafteter Agrarfläche (18 Prozent), ein bereits bestehendes bundesweites Altlastensanierungsgesetz sowie bereits teils umfangreiche Bodendatenbestände, insgesamt gute Voraussetzungen für eine erfolgreiche Umsetzung der Richtlinie. Bis es aber zu einem neuen Anlauf von EU-Seite kommt, bleibt derzeit nur, auf nationaler Ebene die Lücken in den vielfältigen bodenschutzrelevanten Regelungen zu flicken und dabei weichen Formulierungen wie „sparsame und schonende“ Bodennutzung endlich Substanz und der übergeordneten Raumordnung endlich Zähne zu geben. 

Auf der Ebene konkreter Maßnahmen wären unter anderem verbesserte Rahmenbedingungen für die Revitalisierung von brachliegenden Industrie- und Gewerbeflächen zu schaffen sowie das Förderregime zugunsten des Baus und der thermischen Sanierung auch mehrgeschoßiger (Miet-)Wohnungen zu ändern. Allgemein gilt, bei allen Verwaltungsbehörden die Sensibilität für den Bodenschutz zu erhöhen. Denn wenn wir heute nicht handeln, ziehen uns ein engstirniger Föderalismus im Kleinen und eine zu oft zuerst an den globalen Märkten statt an lokalen (Boden-)Standortgegebenheiten orientierte (Land-)Wirtschaftspolitik im Großen, gemeinsam den  Boden unter den Füßen weg.