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Gute Planung

Planlose Energiewende geht nicht, Österreich probiert’s trotzdem

Österreich braucht erhebliche Investitionen in Speicherinfrastruktur und Übertragungs- und Verteilnetze. So steht es im Länderbericht Österreich der Europäischen Kommission, ob das EU-Umweltrecht korrekt umgesetzt ist. Wir wissen, dass wir außerdem noch mehr Kapazitäten zur Erzeugung von Erneuerbarer Energie brauchen. Zu alldem wären verbindliche Planungen und Verfahren, in denen diese Sachplanungen mit der Raumordnung in den Bundesländern abgestimmt werden, nötig. Doch so etwas haben wir in Österreich nicht. Ein von der Wirtschaft mit viel Nachdruck vorgetragenes Narrativ lautet dagegen: „Die Verfahren gemäß Umweltverträglichkeitsprüfungsgesetz (UVP-G) dauern viel zu lange und verhindern so die nötigen Energieerzeugungs- und -leitungsanlagen“. So tönt es seit Jahren und diese Haltung prägt jetzt auch wieder die Debatte um die anstehende Novelle zum UVP-Gesetz. Erklärtes Ziel ist, für die Projektbetreiber Verfahrenserleichterungen, Abschwächungen von den Umweltanforderungen und weniger Beteiligung der Zivilgesellschaft in den Verfahren zu erreichen. Sinnvoll? Zurecht?

Hauptsache schnell?

Projektgenehmigungsverfahren sind kein Selbstzweck. Sie sollen Gewähr für Projekte auf einem hohen qualitativen Standard in einem transparenten, faktenbasierten Verfahren unter ausreichender Beteilung der Öffentlichkeit sicherstellen. Das braucht halt Zeit. Natürlich sollen solche Verfahren nicht über Gebühr lange dauern, sind zügig abzuschließen, gerade wenn die zu errichtenden Projekte wichtige Bausteine für die Energiewende und somit im öffentlichen Interesse sind. Zurecht erwarten Betreiber Planungs- und Rechtsicherheit und sollen darauf vertrauen können, dass Behörden und Gerichte genug Personal, und vor allem die nötigen Sachverständigen haben, um die Verfahren bestmöglich zu managen.

Dass es zu kurz greift, ständig nur am UVP-Gesetz zu drehen, zeigt der seit Februar 2021 vorliegende Bericht der Arbeitsgruppe UVP-Verfahrenseffizienz. Er enthält einsichtige Vorschläge und ist in seinen Schwerpunktsetzungen zu unterstützen: 

  • Nach wie vor fehlt es an ausreichendem Personal in Behörden und Gerichten. 
  • Zweifelsohne braucht es Verbesserungen in den Verfahrensvorschriften und im Verfahrensmanagement der Behörden (~ Strukturierung der Verfahren, Prüftiefe, …). 
  • Natürlich fehlt noch immer die überfällige Vollkonzentration im 3. Abschnitt des UVP-G (Schiene, Straße).

Bericht hat „blinde Flecken“

Der Bericht hat aber zwei gravierende Schwächen. Große Infrastrukturvorhaben wie Straßenbau, Schienen oder Starkstromtrassen leiden darunter, dass ungelöste Planungskonflikte oft erst im Zuge des UVP-Verfahrens angesprochen werden können. Diese Probleme lassen sich dort jedoch nicht mehr lösen.

Es fehlt an förmlichen Planungsverfahren im Vorfeld, wo all diese Fragen zur Trassen- oder Alternativenwahl transparent unter angemessener Beteiligung der Öffentlichkeit abgearbeitet und mit einer förmlichen, rechtlich verbindlichen Planung (z.B. in Form einer Trassenverordnung) abgeschlossen werden können. Das könnte Akzeptanz fördern und die nachfolgenden UVP-Verfahren von solchen Streitigkeiten entlasten. 

Der Bericht geht zweitens nicht darauf ein, dass wichtige in der UVP mitanzuwendende Materiengesetze (zu Straßen, Flughäfen, Schienenwegen und Starkstromwegen!) nicht nur in dieser Hinsicht veraltet sind, sondern zudem keinerlei Schutzstandards vorsehen, welche dann in den UVP-Verfahren aufs immer Neue erst entwickelt werden müssen. 

Paradebeispiel ist das Starkstromwegerecht, das keinerlei Grenzwerte für die zulässige, nicht-ionisierende Strahlung enthält. Eine Festlegung von Grenzwerten wäre aus Sicht der Verfahrenseffizienz und -beschleunigung sehr sinnvoll. Auch die Erdkabelfrage ist ungelöst.

Infrastrukturplanung ist privatisiert und dereguliert

Beide Themenbereiche werden von der Wirtschaft und der maßgebenden Politik regelmäßig „unter den Tisch gekehrt“, weil man noch immer meint, dass zeitgemäße Umweltstandards wie förmliche Infrastrukturplanung nicht opportun sind, und weil man Projekte in den gegebenen unverbindlichen Strukturen verlässlicher und schneller umsetzen könne.

Man kann hier von einem regelrechten Planungsregulierungsparadigma sprechen, das für weite Bereiche der österreichischen Infrastrukturpolitik vorherrscht. Planungsverantwortung ist da faktisch an betraute, meist staatsnahe Unternehmen überantwortet. Staatliche Steuerung und Einflussnahme sind auf eine periodische Abstimmung des laufenden Arbeitsprogramms des Unternehmens beschränkt, so wie es jüngst beim ASFINAG-Bauprogramm zu beobachten war. Infrastrukturplanung ist in Österreich somit privatisiert und komplett dereguliert. Mangels eines Planungsabstimmungsverfahrens kann es auch keine förmliche Beteiligung von Betroffenen, etwa Kommunen und Ländern geben. So ist es für Autobahnen, Schienenwege, die Luftfahrt und für Starkstromwege („NEP“) sowie andere Energienetze festgelegt. Auch der gemäß dem Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz (EAG) auszuarbeitende Integrierte Netzinfrastrukturplan (NIP) ist diesem Paradigma verhaftet. Obzwar eine strategische Umweltprüfung mit Öffentlichkeitsbeteiligung vorgesehen ist, leidet der NIP selber wiederum an Unverbindlichkeit. Wie die Ziele für den Erneuerbarenausbau auf die Bundesländer heruntergebrochen werden, ist offengelassen! 

Standortentwicklungsgesetz Fehlanzeige

Immerhin zeigt der Bericht der Arbeitsgruppe UVP-Verfahrenseffizienz, dass dort zur Planungsfrage Handlungsbedarf artikuliert worden ist, und er regt eine weitere Arbeitsgruppe an. Was er empfiehlt, greift aber viel zu kurz. In Wahrheit sollte man endlich „Tacheles“ reden: Das von der Wirtschaft als Verfahrensbeschleunigungsturbo gedachte Standortentwicklungsgesetz (StEntG) ist ein Symbolgesetz geblieben. Bis heute gibt es keinen einzigen Anwendungsfall. Dabei ist die Idee, dass der Staat Projekten im öffentlichen Interesse „unter die Arme greift“, grundrichtig, die Lösung in Form einer Bevorzugungserklärung der Bundesregierung aber eine komplette Fehlkonstruktion. 

Aber könnten nicht verbindliche Fachplanungen, z.B. wo es in Österreich noch zusätzliche Starkstromleitungen braucht, viel eher der Grundidee zum Durchbruch verhelfen und gleichzeitig die nötigen Räume für Transparenz und Beteiligung aufmachen?

Welchen Beitrag verbindliche Fachplanungen des Bundes samt einer Planungskoordination, also Abstimmung mit der Raumordnung der Länder liefern können, war Thema einer von Ökobüro und AK am 12. September veranstalteten Fachtagung „Zukunftsorientierte Energieraumplanung für eine naturverträgliche Energiewende“. Am Beispiel Schweiz sieht man, wie Planung und Planungsabstimmung organisiert sein kann – Österreich schafft das leider nicht. Raumplanung ist hierzulande noch viel zu politisch. Kooperation muss am Schluss in verbindliche Lösungen münden können. Für vieles davon fehlt es in Österreich an den nötigen gesetzlichen Grundlagen, sodass es oft beim kleinsten gemeinsamen Nenner bleiben muss:

  • Erstens fehlt eine Pflicht des Bundes zu verbindlichen förmlichen Planungen in raumbedeutsamen Maßnahmenbereichen.
  • Zweitens fehlen Verfahrensregeln für verbindliche Planungsabstimmung im Bundesstaat, und zwar: Wer plant, ist verpflichtet sich mit anderen betroffenen Planungsträgern abzustimmen, die das auch einfordern können (Abstimmungspflicht). Und jeder Planungsträger muss dann das Abstimmungsergebnis auch in seinen Planungen berücksichtigen (Berücksichtigungspflicht); wenn keine Einigung gelingt, braucht es ein Bereinigungsverfahren, in dem der Bund das letzte Wort hat.
  • Drittens braucht es eine Behörde dazu. In der Schweiz ist dafür das Bundesamt für Raumentwicklung (ARE) zuständig, wofür es in Österreich kein Gegenstück gibt.

Bundesraumordnungsgesetz gefragt

Konkret ist zu fragen, ob es nicht förmliche Korridorplanungsverfahren z.B. für Starkstromwege braucht, um die UVP-Verfahren von den raumbedeutsamen Fragen zu entlasten. Es könnten sich auch verbindliche Sachpläne nach Schweizer Vorbild für die einzelnen Infrastrukturbereiche empfehlen. Die bestehenden Kompetenzen zum Elektrizitätswesen wie zu Starkstromwegen, aber auch die im EAG eingeräumte Kompetenz würde schon jetzt ermöglichen, Planung und Planungskoordination im Ansatz zu verankern. 

Nähert man sich diesen Fragen, gelangt man schnell zu den Grundsätzen und Eckpunkten, wie sie schon 1990 für ein zu schaffendes Bundesraumordnungsgesetz skizziert worden sind. Es ist offensichtlich, dass Fragen der Planungsabstimmung zwischen dem Bund und den Ländern nicht bloß auf das Thema Energie beschränkt sind, sondern alle Infrastrukturbereiche (Straße, Schiene, Luftfahrt) betreffen. Darüber hinaus gibt es viele aktuell bedeutsame Maßnahmenbereiche in Klima- und Bodenschutz, die ein kooperatives Vorgehen nötig machen. Hier verfügen weder der Bund noch die Länder über ausreichende Kompetenzen (Querschnittsmaterie). Kurzum: Es sollte endlich über ein Bundesraumordnungsgesetz auf der Basis einer neuen Grundsatzgesetzgebungskompetenz im B-VG geredet werden.