Schwerpunkt
Güterverkehr wohin
Handel, Fracht & Treibhausgase: Kein Ende der Fahnenstange?
Die Wirtschaftsgeschichte seit der Mitte des letzten Jahrhunderts ist auch eine der globalen Handelsbeziehungen. Der Welthandel ist dabei in den meisten Jahren schneller gewachsen als die globale Wirtschaftsleistung. Obwohl die höchsten Wachstumsraten in den 1950er und 1960er Jahren erzielt wurden, kam es nicht zuletzt zum Ende des Jahrhunderts zu einem massiven Globalisierungsschub. Selbst der Einbruch des Welthandels von 2008 auf 2009 im Verlauf der großen Finanz- und Wirtschaftskrise, der stärkste in der Handelsgeschichte seit 1950, konnte bereits im darauffolgenden Jahr wieder wettgemacht werden. Auch in den 2010er Jahren ging es weiter bergauf. Dabei sind die Handelsvolumina Chinas im 21. Jahrhundert wesentlich schneller gewachsen als jene der EU oder der USA. China ist dadurch zur weltweit führenden Handelsnation geworden. Verglichen mit den Anfangsjahren des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens GATT beträgt das weltweite Handelsvolumen heute rund das 40-fache. Allerdings verstärkten sich in der pandemiebedingten Krise auch Trends, die für die heutige Form der Globalisierung charakteristisch sind: Der Welthandel zeigt stärkere Schwankungen als die globale Wirtschaftsleistung. So ist sein Wert im Jahr 2020 mit einem Minus von rund 10 Prozent wesentlich stärker eingebrochen als die globale Wirtschaft; dafür ist er 2021 umso stärker wieder angestiegen. Insgesamt belief sich der Wert des Warenhandels im Jahr 2020 auf rund 17 Billionen US-Dollar (nach 19 Billionen 2019), der Handel mit Dienstleistungen auf rund 5 Billionen US-Dollar (nach 6 Billionen 2019). Damit übertrifft der Wert des Handels die Wirtschaftsleistung der USA, der nach wie vor größten Volkswirtschaft der Welt.
Waren dominieren die Handelsströme
Die absoluten Zahlen verdeutlichen, dass physische Güter in den internationalen Handelsbeziehungen weiterhin klar im Vordergrund stehen, der Anteil der Dienstleistungen liegt seit vielen Jahren bei rund 20 Prozent. Allerdings ist dieser weniger volatil als der Güterhandel, der stark von Wirtschaftskrisen gebeutelt wird. Lediglich die Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie führten im Jahr 2020 auch dort zu einem deutlichen Rückgang (Stichwort Tourismus). Beim Warenhandel entfällt etwas weniger als die Hälfte des Werts auf den Handel mit Zwischenerzeugnissen, rund ein Viertel auf Konsumgüter und der Rest auf Primärerzeugnisse und Kapitalgüter. Die Anteile der verschiedenen Kategorien sind dabei in den letzten 15 Jahren relativ stabil geblieben sind.
Im Unterschied zum Dienstleistungshandel, der weiterhin vom globalen Norden dominiert wird, hat der globale Süden beim Warenhandel stark aufgeholt. Die Struktur der Exporte unterscheidet sich aber deutlich: Während der globale Norden bei den Exporten von Fahrzeugen und chemischen Erzeugnissen führt, exportieren Länder des globalen Südens deutlich mehr Kommunikationsausrüstung und Textilien. Im Zuge der Handelsbeziehungen „importiert“ der globale Norden bei einer konsumbasierten Betrachtung des globalen Ausstoßes von Treibhausgasen auch Emissionen. Die Entstehung zusätzlicher Emissionen ist aber nicht zuletzt auf den Frachtverkehr zurückzuführen, übertreffen doch bei vielen Gütern die Emissionen des Transports jene der Produktion. Welche Auswirkungen Vorhaben zur resilienteren Gestaltung von Lieferketten oder kreislaufwirtschaftliche Ansätze auf die Kräfteverhältnisse in den Handelsbeziehungen sowie deren Beitrag zu den globalen Treibhausgasemissionen haben werden, wird erst die Zukunft zeigen.
Güterverkehr und Emissionen in der EU
Auch in der EU ist das Frachtvolumen in der jüngeren Vergangenheit weiter angestiegen, die Tonnenkilometer im Binnengüterverkehr beispielsweise von 2010 bis 2019 um 10,8 Prozent. Selbst im Pandemiejahr 2020 wurden acht Prozent mehr Fracht verschickt als 2010, auf der Straße sogar plus 12 Prozent, wobei einige Mitgliedstaaten wie Litauen, Lettland oder Tschechien noch deutlich höhere Wachstumsraten auf der Straße aufweisen. Damit lag der Anteil des Güterverkehrs auf der Straße 2020 im Binnenverkehr durchschnittlich bei 77,4 Prozent. 2012 betrug der EU-Durchschnitt noch 73,5 Prozent. Gleichzeitig ist der Anteil der Schiene und der Binnenschifffahrt spiegelbildlich gesunken: Die Bahn hatte 2011 und 2012 noch Anteile von mehr als 19 Prozent, 2020 waren es nur noch knapp 17 Prozent. Anteile von mehr als 50 Prozent weisen nur Litauen und Lettland auf; dort lag der Bahnanteil im Frachtverkehr aber lange Zeit bei 70 bis 85 Prozent. Der Anteil der Binnenschifffahrt ging von den frühen 2010er Jahren bis 2020 von rund 7 Prozent auf knapp 6 Prozent zurück; in den Niederlanden beträgt ihr Anteil aber immerhin mehr als 40 Prozent. Freilich stehen nicht in allen Mitgliedstaaten sämtliche Verkehrsträger zur Verfügung. In den Inselstaaten Zypern und Malta gibt es im Binnengüterverkehr keine Alternative zur Straße, ihr Anteil beträgt daher 100 Prozent. Berücksichtigt man neben dem Güterverkehr in den einzelnen EU-Mitgliedstaaten auch den Flugverkehr und die Seeschifffahrt innerhalb der EU, beträgt der Anteil des Straßenverkehrs am gesamten Frachtaufkommen in der EU im Jahr 2020 knapp 55 Prozent, jener des Seeverkehrs 29 Prozent. Die Luftfahrt hat mit 0,3 Prozent weiterhin einen vergleichsweise marginalen Anteil.
Gerade in Österreich galt der Verkehr lange Zeit beinahe als Unheilbringer der Klimabilanz, selbst im Pandemiejahr 2020 lagen seine Treibhausgasemissionen – einschließlich des „Kraftstoffexports im Tank“, auf den im Jahr 2020 rund 25 Prozent der Verkehrsemissionen entfallen sind – um mehr als 50 Prozent über dem Basisjahr 1990, 2019 waren es sogar 74 Prozent. Verantwortlich dafür ist der Straßenverkehr, mit einem Anteil von 99 Prozent dominiert er klar die Emissionen des gesamten Sektors. Deutlich mehr als ein Drittel der Emissionen werden dabei von Lkw verursacht, die auch durch einen steigenden Anteil von Leerfahrten zum Wachstum beitragen. In der EU zeigt sich ein ähnlicher Trend, hier fällt das Wachstum aber geringer aus: Die Emissionen des Straßenverkehrs lagen 2020 11 Prozent höher als im Basisjahr 1990, im Jahr 2019 29 Prozent. Der CO2-Ausstoß von leichten Nutzfahrzeugen legte bis 2019 sogar um 63 Prozent zu. Im Gleichschritt damit ist auch die Zahl der Kfz in der EU massiv gewachsen, neben knapp 250 Millionen Pkw waren 2019 35 Millionen Transportfahrzeuge in den EU-27 registriert. Damit verursacht der Straßenverkehr rund ein Viertel der Treibhausgasemissionen der EU, Schwerlastwagen und Busse haben daran einen Anteil von 28 Prozent, leichte Nutzfahrzeuge von 11 Prozent. Vergleichsweise unbedeutend wirkt demgegenüber der Treibhausgasausstoß des gesamten Schienenverkehrs in der EU, sein Anteil an den EU-weiten Emissionen betrug im Jahr 2017 lediglich 0,5 Prozent. Auch bei globaler Betrachtung zeigt sich ein ähnliches Bild: Leichte und schwere Nutzfahrzeuge haben dann einen Anteil von knapp 30 Prozent an den gesamten Verkehrsemissionen, die Schifffahrt von knapp 11 Prozent, der Frachtverkehr in der Luft von etwas über zwei Prozent. Von der Klimaneutralität bis 2050 ist man damit noch weit entfernt: Zumindest in der EU sollen entsprechend den Plänen des Europäischen Grünen Deals die Emissionen des Verkehrssektors bis 2050 um 90 Prozent sinken.
Ein Blick in die Zukunft
Der Transport Outlook 2021 des International Transport Forum (ITF) der OECD entwirft unterschiedliche Szenarien für die weitere Entwicklung des Verkehrsvolumens bis 2050 und die daraus entstehenden Emissionen. Werden keine entschlosseneren Maßnahmen ergriffen, wird sich demnach das weltweite Transportvolumen mehr als verdoppeln: Verglichen mit dem Basisjahr 2015 wird der Personenverkehr um das 2,3-fache anwachsen, der Güterverkehr gar um das 2,6-fache. Dass die Wachstumsprognosen im Vergleich zur Vorgängerversion des ITF Transport Outlook reduziert wurden, liegt sowohl an weniger optimistischen Aussichten für die wirtschaftliche Entwicklung als auch an den Klimaschutzverpflichtungen der Jahre 2018/19. Da das anhaltende Wachstum der globalen Wirtschaft und der Weltbevölkerung aber jedenfalls neue Verkehrsströme generieren werden, könnten auch die verkehrsbedingten globalen Emissionen den Schätzungen zufolge von 2015 bis 2050 weiterhin ansteigen – insgesamt um 16 Prozent, jene des Frachtverkehrs gar um 22 Prozent. Das Wachstum der Verkehrsströme würde also erzielte Emissionseinsparungen mehr als kompensieren. Mit ambitionierteren Maßnahmen könnten die Emissionen des Verkehrs allerdings auch bei einem steigenden Transportvolumen und einer anhaltenden Dominanz des Straßenverkehrs um bis zu 70 Prozent sinken, jene des Frachtverkehrs gar um 72 Prozent. Das erfordert aber, dass der Frachtverkehr mehr politische Aufmerksamkeit bekommt als in der Vergangenheit.
In Übereinstimmung mit vielen Verkehrsexpert:innen zielen die Politikempfehlungen der OECD darauf ab, den Gütertransport auf nachhaltigere Verkehrsträger zu verlagern, nicht zwingend notwendige Verkehre zu vermeiden, die Umstellung auf E-Fahrzeuge zu beschleunigen, sowie im gesamten Sektor die Energieeffizienz zu steigern und emissionsarme Technologien rasch zum Einsatz zu bringen. Dabei geht es auch um die Verbesserung der Distributionsinfrastruktur, die Zusammenarbeit in Lieferketten und die Konsolidierung von Frachten, Investitionen in Ladeinfrastruktur, Digitalisierung und Standardisierung sowie maßgeschneiderte regionale Lösungen. Gerade Städte müssen aufgrund ihrer räumlichen Struktur einen entscheidenden Beitrag zur nachhaltigeren Gestaltung des Verkehrssystems leisten. Die aktuelle Diskussion zur Resilienz von Lieferketten spielt der Dekarbonisierung des Frachtverkehrs zusätzlich in die Hände. Dementsprechend empfiehlt die OECD, Resilienz und Dekarbonisierung auch systematisch in der Wirtschaftspolitik zu verankern, unter anderem im Rahmen der Aufbauprogramme zur Bekämpfung der Folgen der Pandemie. Freilich würde auch die höhere Bepreisung von emissionsintensivem Frachtverkehr den Umbau beschleunigen, wobei bei der Schaffung von mehr Kostenwahrheit einerseits auf die Verteilungswirkungen umfassender Preismechanismen zu achten ist. Andererseits müssen auch sonstige soziale Kosten, nicht zuletzt die Arbeitsbedingungen im Verkehrssektor, bei dieser Diskussion unbedingt berücksichtigt werden. Schlussendlich geht es auch um enge internationale Zusammenarbeit, etwa im Seeverkehr, der von den nationalen Klimaschutzambitionen ausgenommen ist. Zwar hat sich die Internationale Seeschifffahrts-Organisation bereits Dekarbonisierungsziele gesetzt, bisher aber nicht auf ausreichende Maßnahmen geeinigt.