Schwerpunkt

Ein Recht auf Naturgenuss

Für einen freien Zugang zur Natur & ein faires Miteinander

Weite Teile der österreichischen Wälder und Berge befanden sich Anfang des 19. Jahrhunderts im Besitz des Kaiserhauses sowie einflussreicher Adeliger und Industrieller, die diese Gebiete für die Forstwirtschaft und Jagd nutzten. Holz war einer der wichtigsten Rohstoffe, die Jagd diente vorwiegend dem Vergnügen – ein Vergnügen, das zunehmend durch Touristinnen und Touristen gestört wurde. Schon 1902 beschwerte sich die Naturfreunde-Ortsgruppe Neuberg bei ihrer Generalversammlung über die „Chikanierung der Touristen im Schneealpengebiet seitens des Forstpersonals“. Viele Grundbesitzer:innen versuchten immer öfter und in allen Regionen Österreichs, Wege, die auf Berggipfel führten, abzusperren. Vor allem im Wienerwald sowie in den nieder- und oberösterreichischen Voralpen. Um Gebiete betreten zu dürfen, die in kaiserlichem Besitz waren, brauchte man sogar eine Erlaubniskarte. Das freie Wegerecht im Bergland wurde in einigen Bundesländern nach dem Ersten Weltkrieg gesetzlich verankert. Die freie Begehbarkeit des Waldes wurde erst 1975 im Rahmen des Forstgesetzes festgeschrieben. 

Rechtssicherheit oder gar eine Konfliktbereinigung konnte damit jedoch leider nicht geschaffen werden. Die aktuellen gesetzlichen Regelungen betreffend Zugangs- und Nutzungsrechte der Allgemeinheit an Landschaftsflächen Österreichs sind unvollständig und bilden vielfach die Grundlage für Rechtsunsicherheit. Der Umfang der Wegefreiheit im Wald und vor allem die Allgemeinnutzung wirtschaftlich nicht genutzter Flächen (Ödland) werden nach wie vor von Grundeigentümerinnen und -eigentümern sowie von Jägerinnen und Jägern in Zweifel gezogen. Kurzum: Ob, beziehungsweise inwiefern die Allgemeinheit die Natur Österreichs benutzen darf, ist laut der im April 2022 präsentierten Studie „Recht auf Natur – Freier Zugang zur Natur“ rechtlich (noch) nicht ausreichend klar geregelt. Die für Erholungsuchende negativen Auswirkungen dieser Rechtsunsicherheit können die alpinen Vereine schon seit einigen Jahren beobachten: Es wird vermehrt versucht, den freien Zugang zur Natur einzuschränken, zum Beispiel mit ungerechtfertigten Wegesperren.

Fair Play zum Wohle von Mensch und Natur

Die alpinen Vereine betrachten es als essentiell, den Zugang zur Natur auf keinen Fall einzuschränken. Vielmehr sollte man die Menschen bewusst und vermehrt in die Natur führen. Die Devise sollte heißen, naturverträglich aktiv zu sein, mit offenen Augen und mit Interesse die Natur zu erleben, Brut- und Ruhezeiten von Vögeln und Wildtieren zu beachten, sowie Ausflüge verantwortungsbewusst zu planen.

Beschränkt man den freien Zugang zur Natur, verhindert man, dass die Menschen von Kindesbeinen an lernen, wie man sich richtig in der Natur verhält; ohne Erfahrungen zu sammeln kann man nichts lernen. Aber es müssen gewisse Regeln eingehalten werden. Fair Play in der Natur ist gefragter denn je. Bewusstseinsbildung ist daher das Gebot der Stunde. Denn kaum jemand zerstört bewusst den Naturraum, den er in seiner Freizeit nutzt – vieles passiert aus Unwissenheit und Gedankenlosigkeit. Erholungsuchende beeinflussen mit ihrem Verhalten das Naturerlebnis ihrer Mitmenschen. Ihr Verhalten ist auch entscheidend, wenn es um den Schutz sensibler Lebensräume sowie gefährdeter Tier- und Pflanzenarten geht. Aber natürlich spielt auch die Sicherung der vielfältigen Leistungen der Ökosysteme und die Wahrung der Interessen der Grundbesitzer:innen und Bewirtschafter:innen eine Rolle.

Die alpinen Vereine nehmen ihre Verantwortung sehr ernst und werden im Bereich Bewusstseinsbildung konsequent weiterarbeiten – für ein konstruktives und respektvolles Miteinander in der Natur. Beispielsweise setzen sie sich für ein richtiges und vor allem sicheres Verhalten auf Almen ein und klären ihre Mitglieder seit vielen Jahren darüber auf, keine Abfälle zurückzulassen, Lärm zu vermeiden, keine Pflanzen zu pflücken, Schutzgebiete zu respektieren und die Wild- und Weidetiere nicht zu beunruhigen.

Hotspots und Lenkungsmaßnahmen 

Je mehr Natur zugänglich ist, desto besser verteilen sich die Erholungsuchenden, viele überfüllte Destinationen könnten vermieden werden. Natürlich arbeiten die alpinen Vereine bei punktuellen Hotspots an Lenkungsmaßnahmen mit. Betretungseinschränkungen oder Verbote müssen aus wildökologischer Sicht begründbar sein und nicht aus jagdlichen Interessen erfolgen. 

Besucher:innenlenkung findet vor allem auch im digitalen Raum statt. Viele Menschen informieren sich kurz vor ihrer Reise oder vor ihrem Ausflug über Tourenportale. Oft sind diese jedoch gemeinschaftsbasierte (community-based) Tourenportale. Sie haben allerdings den Nachteil, dass man nicht weiß, ob die beschriebenen Routen auf legalen Wegen verlaufen und ob es etwa aus forstwirtschaftlichen Gründen Wegesperren gibt. Die im Jahr 2020 gegründete Plattform „Digitize the Planet“ setzt hier an und stellt Routen mit aktuellen Infos bereit. Ziel ist die Digitalisierung aller relevanten Regeln, Gesetze und lokalen Vereinbarungen für die Nutzung in der Natur. Erholungsuchende können sich also im Vorfeld oder vor Ort über Beschränkungen in Schutzgebieten oder Wegesperren informieren.

Besucher:innenlenkung funktioniert vor allem bei Touristinnen und Touristen. Aber auch die Einheimischen müssen davon überzeugt werden, sich an bestimmte Regeln zu halten. Um das zu erreichen, bietet sich eine Kombination aus digitaler Lenkung und einer Lenkung vor Ort an. Der Naturpark Nagelfluhkette, zwischen Allgäu und Bregenzerwald, setzt bei der Besucher:innenlenkung beispielsweise vermehrt auf Ranger:innen, die im Naturpark unterwegs sind; auf der Website nagelfluhkette.info gibt es jede Menge guter Tipps und eine digitale Naturparkschule.

Die wohl effektivste Besucher:innenlenkung ermöglichen die alpinen Vereine mit ihrem riesigen Hütten- und Wegenetz, das auch die tragende Säule des Sommertourismus in Österreich darstellt.

Die Natur bewahren, Littering vermeiden

Obwohl in Österreich ein gutes Bewusstsein hinsichtlich Müllentsorgung vorherrscht, ist das Thema „Littering“, also das achtlose Wegwerfen von Müll in der Natur, brandaktuell. Dem Müllproblem begegnet man vor allem in Naturschutzgebieten mit der Strategie „Weniger ist mehr“. In vielen Schutzgebieten gibt es keine Mistkübel mehr. Für die Entsorgung von Abfällen sollen nur mehr die Besucher:innen zuständig sein. Auf Dauer soll ein Bewusstsein dafür geschaffen werden, dass es selbstverständlich ist, seinen Müll mit nach Hause zu nehmen („leave no trace principle“). Auch bei den alpinen Vereinen gibt es schon seit Langem die Regel, dass Abfälle nicht in der Natur weggeworfen und auch nicht in Hütten abgegeben werden sollen. Das Motto lautet: Was man auf den Berg hinauftragen kann, kann man auch hinuntertragen!

Eine weitere wichtige Erkenntnis ist, dass Menschen eher dort Müll liegen lassen, wo sich schon welcher befindet. Das ist der sogenannte Broken-Window-Effekt, den man durch konsequente Beseitigung von Müll-Hotspots, verhindern kann. Für Orte, an denen oft Müll liegen gelassen wird, ist folgende Maßnahme zu empfehlen: Man verpasst dem Ort im wahrsten Sinn des Wortes ein Gesicht. In England wurden beispielsweise Bäume in einem durch Filme bekannt gewordenen Wald mit Gesichtern versehen und das Littering ging zurück, weil sich die Menschen beobachtet fühlten.

Respect Nature

Die Naturfreunde starteten im Juni 2021 das fünfjährige Projekt „Respect Nature“, das in Kooperation mit den Österreichischen Bundesforsten realisiert wird. Den Auftakt bildete mit dem Slogan #WeRespectNature eine große Social-Media-Kampagne. Neben Aktionen zur Bewusstseinsbildung mit humorvoller Aufbereitung von Dos und Don’ts sind auch regionale Pilotprojekte geplant, in deren Rahmen gemeinsam mit den Grundbesitzer:innen konkrete Lösungsansätze für die in der Region vorherrschenden Konfliktfelder entwickelt werden; mehr darüber auf umwelt.naturfreunde.at/respect-nature/.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass bewusstseinsbildende Maßnahmen für ein respektvolles Verhalten in der Natur eine Kombination aus unterschiedlichen Ansätzen sind. Man sollte sich innovative digitale Angebote zunutze machen, aber nicht auf lokale, analoge Leitsysteme verzichten. Zusätzlich kann man sich psychologischer Erkenntnisse bedienen, die Überzeugungsarbeit unterstützen. Nudging etwa ist eine Methode, mit der man jemanden dazu bewegt, etwas Bestimmtes einmalig oder dauerhaft zu tun oder zu lassen. Das englische Wort „nudge“ bedeutet „anstoßen“, „schubsen“. Manchmal reicht schon ein kleiner Schubs, damit sich Leute richtig verhalten. Nudging findet auch in der Besucher:innenlenkung gute Anwendungsmöglichkeiten. Wichtig ist, dass die gewünschte Verhaltens­änderung ohne Druck und Verbote herbeigeführt wird. Die Botschaften sollten daher transparent sein und immer positiv formuliert werden.

Aber nicht nur die Kommunikation mit Erholungsuchenden ist wichtig, sondern auch der Austausch zwischen den verschiedenen Stakeholder:innen sowie Initiativen; man sollte sich gegenseitig auf dem Laufenden halten und Synergien nutzen. In diesem Zusammenhang hervorzuheben ist die Workshop-Reihe „Waldbesuche im Fokus“ der österreichischen Vertretung der Alpenschutzkommission CIPRA, die relevante Akteurinnen und Akteure zusammenzubringt, um gemeinsam Ansätze in Sachen Besucher:innenlenkung zu erarbeiten. Auch die Naturfreunde und der Alpenverein sitzen in der Steuerungsgruppe dieses Projekts und arbeiten aktiv mit.