Schwerpunkt

Recht auf Wasser

Wasserkraftausbau und Ökologie

Die Nutzung der Wasserkraft als erneuerbarer und kosteneffizienter Energieträger hat eine jahrzehntelange Tradition in Österreich. Aktuell deckt die Wasserkraft 58,5 Prozent des nationalen Strombedarfs und ist somit ein bedeutender Sektor der österreichischen Energiewirtschaft. Rund zwei Drittel aller Wasserkraftwerke sind Laufkraftwerke, ein Drittel entfällt auf Speicher- und Pumpspeicherkraftwerke. Nach Angaben der für die Strom- und Gaswirtschaft zuständigen Regulierungsbehörde E-Control speisen derzeit 2.619 Wasserkraftwerke in das Stromnetz ein. Das entspricht einem jährlichen Gesamtregelarbeitsvermögen von knapp 40 Terrawattstunden (TWh). Eine Erhebung des Instituts für Wasserwirtschaft, Hydrologie und konstruktiven Wasserbau der Universität für Bodenkultur Wien (BOKU) im Zuge des Forschungsprojektes DSS_KLIM:EN berücksichtigt ebenfalls Eigenbedarfsanlagen und zählt in Summe zirka 5.240 Wasserkraftwerke. 

Spannungsfelder

Diese durchaus hohe Anzahl an Kraftwerksanlagen spiegelt sich auch im ausgebauten Wasserkraftpotenzial wider - etwa 68 Prozent werden bereits energiewirtschaftlich genutzt. Das verbleibende realisierbare technisch-wirtschaftliche Restpotenzial wird auf 12,8 TWh geschätzt, wobei hier bereits ökologisch sensible Gebiete wie Nationalparks und Welterbestätten Berücksichtigung finden. Insbesondere die Nutzung des verbleibenden Wasserkraftpotenzials ist aktuell von einer zunehmend politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Diskussion geprägt. Verschiedene Nutzungsansprüche an Gewässer aus den Bereichen Energie- und Wasserwirtschaft, Klimaschutz und Gewässerschutz führen dabei zu unterschiedlichen Standpunkten. Die Aufgabe der EntscheidungsträgerInnen liegt darin, dieses Spannungsfeld zu überbrücken und zu bewältigen.

Energiestrategie

Gemäß der Erneuerbare-Energien-Richtlinie EE-RL (2009/28/EG) soll bis 2020 der EU-Anteil erneuerbarer Energien am Bruttoendenergieverbrauch auf 20 Prozent steigen. Österreich ist entsprechend dem im Dezember 2008 verabschiedeten Klima- und Energiepaket der EU dazu verpflichtet, den Anteil erneuerbarer Energieträger bis 2020 auf 34 Prozent zu erhöhen. Um dieses Ziel auf nationaler Ebene zu erreichen, wurde im April 2009 eine österreichische Energiestrategie mit Maßnahmenvorschlägen des Bundesministeriums für Wirtschaft, Familie und Jugend und des Lebensministeriums vorgestellt. Für den Sektor Wasserkraft ist vorgesehen, 3,5 TWh oder 12,6 Petajoule (PJ) bis 2015 durch entsprechende energiewirtschaftliche Rahmenbedingungen und Anreize im Ökostromgesetz auszubauen. Verglichen mit der gesamten Stromproduktion aus Wasserkraft würde das einem Zuwachs von neun Prozent innerhalb von knapp sieben Jahren entsprechen. Dabei soll ein Anteil von 0,7 TWh durch Effizienzsteigerungen und Revitalisierungen bestehender Kleinwasserkraftwerke nach modernen Standards erreicht werden. Auf Seiten der E-Wirtschaft gehen die Zielsetzungen weit über jene der österreichischen Energiestrategie hinaus: Die Interessensvertretung der E-Wirtschaft, „Oesterreichs Energie“, veröffentlichte einen Masterplan zum Ausbau des Wasserkraftpotenzials. Zusätzlich zu den 3,5 TWh bis 2015 ist ein Ausbau der Wasserkraft um weitere 3,5 TWh bis 2020 geplant. Darauf aufbauend wurde unter dem Motto „Zeit zum Handeln“ im April 2012 ein Aktionsplan mit konkreten Kraftwerksprojekten präsentiert. Zur Sicherung der Energiezukunft Österreichs sollen im Rahmen eines umfassenden Energiepakets 16,3 Milliarden Euro bis 2020 investiert werden. Davon entfallen 5,6 Milliarden Euro auf Ausbau, Instandhaltung und Erneuerung der Wasserkraftwerke. Auch der Verein der „Kleinwasserkraft Österreich“ hat definierte Ziele: Bis 2020 sollen 1,5 TWh durch neue Kraftwerksprojekte und 0,7 TWh durch Effizienzsteigerungen und Revitalisierungen bestehender Anlagen erreicht werden.

Gewässerbewirtschaftung

Fast zeitgleich mit der Energiestrategie Österreich wurde der „Nationale Gewässerbewirtschaftungsplan“ (NGP 2009) im Rahmen der Umsetzung der EU-Wasserrahmenrichtlinie WRRL (2000/60/EG) veröffentlicht. Als wasserwirtschaftliches Planungsins­trument des Lebensministeriums und der Länder verfolgt der NGP das Ziel, eine flussgebietsbezogene Planung zum Schutz, zur Verbesserung und zur nachhaltigen Nutzung der Gewässer in Österreich sicherzustellen. Neben einer Übersicht zu signifikanten Belastungen und anthropogenen Einwirkungen auf den Zustand der Gewässer, werden gesetzlich vorgeschriebene Umweltziele definiert, die stufenweise bis 2015, 2021 und 2027 erreicht werden sollen. Dies soll durch Maßnahmenprogramme mit Erhaltungs- und Sanierungsmaßnahmen sowie jenen zur Förderung der wasserwirtschaftlichen Entwicklung sichergestellt werden. 

Die Festlegung der zu erreichenden Zielzustände sowie der maßgeblichen Zustände für Typen von Oberflächengewässern erfolgt durch die „Qualitätszielverordnung Ökologie Oberflächengewässer“. Das Hauptziel bis 2015 besteht darin, dass alle österreichischen Gewässer mindestens einen „guten ökologischen Zustand“ beziehungsweise ein „gutes Potenzial“ aufweisen. Ein weiterer Ausbau der Wasserkraft, wie in der Energiestrategie vorgesehen, könnte diese gewässerökologischen Zielsetzungen jedoch gefährden und im Widerspruch zu den Vorgaben der Wasserrahmenrichtlinie (Verschlechterungsverbot beziehungsweise Verbesserungsgebot) stehen. Universitäten und Stakeholder warnen vor ökologischen und flussmorphologischen Auswirkungen, wie zum Beispiel einer Beeinträchtigung der Gewässerdurchgängigkeit für Fische und Feststoffe, der Habitatqualität oder der Artenvielfalt infolge neuer Wasserkraftwerke. Daher soll bundesweit ein „Österreichischer Wasserkatalog“ zu mehr Transparenz bei der Beurteilung neuer Kraftwerks­projekte beitragen. Ebenso wurden die Länder angehalten, Kriterienkataloge als Steuerungsinstrumente zur Unterstützung der Behörde für Rahmenpläne und Regionalprogramme zu erstellen. Als bekanntes Instrument ist hier der sogenannte „Tiroler Kriterienkatalog“ zu erwähnen.

Aktueller Stand

Österreich zählt im Bereich erneuerbare Energien sowie in Hinblick auf ökologische Vorgaben zu den europäischen Vorreitern. Auf nationaler Ebene zeigt sich jedoch, dass erhebliche Probleme bei der Umsetzung der jeweiligen Ziele bestehen. Insbesondere die stark konkurrierenden Zielsetzungen der Klima- und Energiepolitik auf der einen Seite und der Umweltpolitik auf der anderen Seite erschweren eine konsequente Umsetzung der vorgeschriebenen Ziele in beiden Bereichen. 

Seit Veröffentlichung der Energiestrategie wurden 47 große Wasserkraftprojekte mit einer Gesamt-Engpassleistung (maximale Dauerleistung, die ein Kraftwerk unter Normalbedingungen abgeben kann) von 6.152 Megawatt (MW) und einem projektierten Gesamtregelarbeitsvermögen von 4,4 TWh geplant und teilweise bereits umgesetzt. Bei zusätzlicher Berücksichtigung größerer Projekte im Bereich der Kleinwasserkraft liegt dieser Wert bei knapp fünf TWh, wobei die individuelle Realisierung der Projekte zum Teil weit über 2020 hinausgeht. Nach aktuellen Erhebungen können jedoch weder die Ziele der Energiestrategie (3,5 TWh bis 2015) noch jene der E-Wirtschaft (weitere 3,5 TW bis 2020) erreicht werden. Die jeweiligen Zielerfüllungsgrade liegen gemäß Planung bei 29 Prozent bis 2015 beziehungsweise 43 Prozent bis 2020. Gleichzeitig besteht der Zielkonflikt mit den Vorgaben des NGP. Aktuell entsprechen 37 Prozent der Fließgewässer dem Umweltziel „sehr guter und guter Zustand“ bzw. „gutes Potenzial“. Die restlichen 63 Prozent weisen einen schlechteren ökologischen Zustand auf, was zu 94 Prozent auf die belastungsspezifischen Ergebnisse der Qualitätskomponenten Fische und Makrozoobenthos (mit dem Auge noch erkennbare tierische Organismen in Gewässerböden) zurückzuführen ist.

Insbesondere bei Kraftwerksplanungen an Gewässerabschnitten mit geplanten hydromorphologischen Maßnahmen, wie etwa Rückbaumaßnahmen, ist mit einer Verschärfung des Zielkonflikts zu rechnen. Von universitärer Seite zu empfehlen wäre daher eine strategische, österreichweite Planung, welche sowohl klima-, energie- und umweltpolitische Vorgaben als auch gesellschaftliche Aspekte berücksichtigt.