Wissenschaft: Problem Solidarhaftung im Bundesstraßenmautgesetz

Mit dem Bundesstraßen-Mautgesetz (BStMG) 2002 hat der Gesetzgeber in Österreich eine sogenannte „fahrleistungsabhängige Maut“ für die Benützung von Mautstrecken mit mehrspurigen Kraftfahrzeugen eingeführt, deren höchstzulässiges Gesamtgewicht mehr als 3,5 Tonnen beträgt. Das gilt also für LKWs. Diese Maut ist durch sogenannten „GO-Boxen“ im Wege der Abbuchung von Mautguthaben oder der zugelassenen Verrechnung im Nachhinein (Ersatzmaut) zu entrichten. 

In letzter Zeit häufen sich Fälle von in Österreich angestellten LKW-Lenkern, die im Zusammenhang mit dieser Mautentrichtung mit hohen Verwaltungsstrafen konfrontiert sind. Teilweise wussten sie nichts von einer schlechten Anbringung der „GO-Boxen“, teilweise hatten sie die Anweisung ihres Arbeitgebers, die GO-Box nicht anzurühren bzw. die schuldbefreiende Ersatzmaut nicht zu bezahlen, teilweise hat ihr Arbeitgeber zwar Ersatzmaut bezahlt, den LKW-Lenker aber nicht über (weitere) Fehlbuchungen informiert. 

Für all dies muss nach dem Bundesstraßenmautgesetz der Lenker solidarisch mit dem Arbeitgeber haften. In keinem anderen Dienstleistungsbereich ist die Verantwortung für die Einhaltung gesetzlicher Bestimmungen solidarisch zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer geteilt. Gerade hier liegt sie damit de facto in erster Linie beim Arbeitnehmer als Primärschuldner. Das ist eine höchst problematische Situation.

Ergebnisse

Der Studienautor, Univ.-Prof. Dr. Nicolas Raschauer, Institut für Staatsrecht und Politische Wissenschaften, Institut für Umweltrecht, kommt zu folgenden Ergebnissen:

„Die Heranziehung eines angestellten / beschäftigten Berufslenkers als primäres Haftungssubjekt/Mautschuldner im BStMG ist im Lichte der ständigen Rechtsprechung des VfGH verfassungswidrig (Verstoß gegen den Gleichheitssatz). Die Tatsache, dass Haftungs- und Sanktionsnormen des BStMG undifferenziert am Lenker, jedoch erst in zweiter Linie (ergänzend) am Zulassungsbesitzer anknüpfen, ist im Vergleich zu verwandten Regelungsbereichen des öffentlichen Wirtschaftsrechts unsystematisch. Die Mautordnung der ASFINAG stellt keine Rechtsverordnung dar. Die in den AGB konkretisierten Pflichten des Lenkers sind „ausreichend“ gesetzlich determiniert. Eine besondere Weisung des Unternehmers an einen durch ihn beschäftigten Lenker, gesetzliche Pflichten gem. BStMG/MautO nicht einzuhalten, führt ... nicht notwendigerweise zum Entfall der Strafbarkeit (§ 20 Abs 2 BStMG). Anzudenken wäre einen Schuldausschließungsgrund nach Art des § 9 Abs 5 VStG im BStMG zu verankern.

Für die AK ist das Gutachten Anlass genug, eine Änderung der Straf- und Haftungsbestimmungen für die LKW-Maut zu verlangen.

Verkehr und Infrastruktur Nr. 48: Nicolas Raschauer. Problem Solidarhaftung im Bundesstraßenmautgesetz. Verfassungsrechtliche Analyse. Kammer für Arbeiter und Angestellte für Wien, Abt. Umwelt und Verkehr, Wien 2012