Politik
Pkw-Abgasvorschriften der EU: Bloß heiße Luft?
Personenkraftwagen (Pkw) sind aus dem täglichen Leben nicht wegzudenken. Rund 950 Milliarden Personenkilometer werden damit jährlich in der EU zurückgelegt. Laut Zahlen der EU-Kommission werden in der EU jährlich rund 16 Millionen Pkw produziert. Das ergibt rund vier Prozent der EU-Wirtschaftsleitung bzw. drei Millionen Arbeitsplätze direkt in der Herstellung. Aber erst in den letzten Monaten sickerte es in das allgemeine Bewusstsein der Öffentlichkeit durch: Überprüft wurden die Emissionswerte der Pkw nie, die in Europa von den Herstellern typisiert wurden und die Fabrikshallen verlassen haben.
Unzureichende Kontrolle
Die Ursachen dafür liegen in der Funktionsweise des EU-Binnenmarktes: Eine Behörde in einem EU-Mitgliedstaat genehmigt die Typenzulassung für einen Hersteller, die anderen Mitgliedstaaten müssen damit das Inverkehrbringen akzeptieren. Den Verdacht, dass die Behörden z.B. in Deutschland, Frankreich, Italien oder in Großbritannien damit auch Industriepolitik zugunsten „ihrer“ Hersteller betrieben, konnten sie eigentlich nie wirklich entkräften. Was wirklich geschieht, wenn eine nationale Typisierungsbehörde die Entscheidungen der anderen anzweifelt, ist nicht ausjudiziert. Hinzu kommt, dass technische Prüfinstitute bei Abgasbescheinigungen für Autohersteller einem gnadenlosen Wettbewerb unterliegen und einige Dienstleister mit zweifelhaftem Ruf in Luxemburg, Malta oder Spanien dadurch beträchtliche Marktanteile erworben haben. Vervollständigt wird das Vollzugsfiasko durch unklare EU-Vorschriften (siehe Kasten Seite 29) und einem falsch verstandenen „Bürokratieabbau“, der „unproduktive“ (Personal-)Ressourcen in nicht-gewinnorientierten öffentlichen Prüfanstalten weggespart hat und eine materielle Überprüfung von Gutachten gänzlich unmöglich macht.
Die EU-Kommission hat als Reaktion einen Verordnungsvorschlag für mehr Marktüberwachung und eine strengere Typenzulassung von Pkw vorgelegt. Demnach müssen nationale Behörden die Herstellerangaben erstmals tatsächlich überprüfen, wenn der Pkw das Fließband verlassen hat (Konformität) bzw. ob die bereits vorgeschriebenen Emissionsgrenzwerte für 160.000 km (in-use-compliance) auch tatsächlich eingehalten werden. Technische Prüfinstitute sollen einer rigorosen Qualitätsprüfung auf EU-Ebene unterzogen und durch Gebührenvorschreibungen von der Abhängigkeit der Autohersteller befreit werden. Wirklich viel verändern könnten aber die Kontrollrechte für die EU-Kommission, die aufgrund besonderer Verdachtsmomente in den Mitgliedstaaten aktiv werden kann: Strafen bei Abgasbetrug (z.B. Verwendung von trügerischer Software und Abschaltvorrichtungen) sollen ähnlich dem Wettbewerbsrecht künftig abschreckend sein und bis zu 30.000 Euro pro vorschriftswidrigem Fahrzeug oder Fahrzeugteil betragen.
Kein fairer Deal in Sicht
Die Gesetzgeber im Rat und EU-Parlament haben die Verhandlungen dazu erst begonnen. Es ist aber anzunehmen, dass der Vorschlag nicht ohne Abstriche beschlossen werden wird. Obwohl die Mitgliedstaaten eindrucksvoll bewiesen haben, dass sie der Sache in keinster Weise gewachsen sind, bekämpfen sie vor allem Kontroll- und Durchgriffsrechte der EU-Kommission massiv. Auch der britische Berichterstatter im federführenden Ausschuss des EU-Parlaments, Daniel Dalton, hat eine Streichung fast aller Änderungen am derzeitigen Kontrollregime empfohlen.
Die EU-Kommission hat vorerst ihre Unterstützung für die vom VW-Skandal geschädigten KonsumentInnen bekundet und eine Überprüfung von EU-Verbraucherschutzvorschriften angedroht. Ähnlich dem Rechtssystem in den USA sollen diese eine Entschädigung bekommen, wenn ein Kauf- oder Leasingvertrag eines Autos durch irreführende Werbung oder nicht in Übereinstimmung mit der Konformitätsbescheinigung (z.B. illegale Abschaltvorrichtungen) zustande gekommen ist. Bekanntermaßen haben BesitzerInnen von VW-Modellen in den USA hierfür eine Entschädigung – je nach Pkw-Modell – zwischen 12.500 und 44.000 US-Dollar bekommen. In Europa dagegen müssen FahrzeugbesitzerInnen und Verbraucherverbände aufwendige zivilrechtliche Verfahren mit ungewissem Ausgang für alle Beteiligte anstreben.
Im Gefolge des großen VW-Abgasskandals konnte innerhalb kurzer Zeit zumindest eine neue Untergrenze für die Messung von Pkw-Abgasen festgesetzt werden.
Im Februar dieses Jahres verständigten sich Parlament und Rat der EU darauf, dass im realen Fahrbetrieb die Laborwerte (80mg/km) des gemessenen Stickoxid-Ausstoßes (NOx) bis 2021 „nur“ ums 2,1-Fache, ab 2021 immer noch um das 1,5-Fache überschritten werden dürfen. Diese sogenannte „Euro 6c-Norm“ für Diesel-Pkw ist zwar ein Kompromiss, stellt aber ab, dass auch moderne Diesel-Pkw den Grenzwert meistens um den Faktor 6 überschreiten. (Weitere Details in Kasten Seite 29). Ungeklärt ist dagegen immer noch, ob moderne Benzin-Pkw ebenso strenge Partikelfilter-Anforderungen ab 2018 bekommen wie Diesel-Pkw. Weil einer breiteren Öffentlichkeit immer noch völlig unbekannt ist, dass die vermeintlich „sauberen Benziner“ vor allem durch Direkteinspritzung mehr Feinstaubpartikel als „schmutzige Diesel-Pkw“ ausstoßen, leistet die Autolobby hier zähen Widerstand.
Ein Neuanfang?
Bei der Messung von Normverbrauch und CO2-Ausstoß wurde ebenfalls ein Neuanfang gesetzt. Mit 1. September 2017 müssen alle neuen Fahrzeugtypen bzw. spätestens bis 1. September 2018 alle Pkw-Modelle nach dem WLTP (Worldwide Harmonized Light Duty Test Procedure) zugelassen werden. Diese neue Testprozedur löst den NEFZ (Neuer Europäischer Fahrzyklus) ab, der durch „Flexibilitätsspielräume“ für Hersteller in Verruf gekommen ist und eine Lücke von durchschnittlich 30 bis 45 Prozent zwischen Typenangaben und Realbetrieb beim CO2-Ausstoß aufgetan hat. Der neue WLTP-Zulassungszyklus wird diese „Wirklichkeitslücke“ aber auch nicht abstellen, sondern nur vermindern. Politisch offen ist noch, ob der WLTP mit einer realen Emissionsprüfung ab 2019 ergänzt werden soll. Laut jüngsten Messungen der Gemeinsamen Forschungsstelle (GFS) der EU-Kommission werden die ausgewiesenen CO2-Zahlen dadurch um durchschnittlich elf Prozent ansteigen, wobei der Anstieg bei Diesel-Pkw unwesentlich höher als bei Benzinern ausfallen wird.
Klimapolitik und Treibstoffkosten hängen nicht unwesentlich davon ab, ob die Automobilproduzenten immer verbrauchsärmere Modelle auf den Markt bringen. Per EU-Ordnungsrecht muss daher jeder Hersteller, für alle im Jahr 2021 im EU-Binnenmarkt verkauften Pkw maximal 95 Gramm CO2 pro Kilometer (Verbrauch: 4,1 l/100 km bei Benzinern bzw. 3,6 l/100km bei Diesel-Pkw) im Durchschnitt ausweisen können. Durch den Wechsel von NEFZ auf WLTC musste somit ein Bezugsrahmen gefunden werden, der den Herstellern eine „vergleichbare Stringenz“ bei den Anstrengungen zu CO2-Einsparungen auferlegt, ohne die „exzessive Auslegung“ der Hersteller beim NEFZ-Zyklus (vor allem externe Aufladung der Lichtmaschine vor Prüfzyklus, Messtoleranz von vier Prozent, etc.) zum Schaden von KonsumentInnen und Klimapolitik nachträglich zu legitimieren. Unter Ausschluss der Öffentlichkeit haben im Juli 2016 die Mitgliedstaaten das Software-Tool CO2MPAS beschlossen, das ab 2017 nach WLTC-typisierte Pkw in den NEFZ „rückübersetzt“. Über die Berechnungsparameter dieses Software-Moduls liegen bis dato keine Informationen vor. Schon im nächsten Jahr will die EU-Kommission neue Vorschläge für CO2-Vorgaben an die Autohersteller vorstellen, die die ehrgeizigen EU-Klimaziele 2030 erreichbar machen sollen. Bleibt zu hoffen, dass diese Ziele nicht schon wieder durch technische Details bei der Messung konterkariert werden.